News | Von Antje Rößler

Leseempfehlung: Zen in der Musik

Zen

Jeder, der musiziert, kennt die Situation: Sitzen erst mal die Noten und sind spieltechnische Hürden überwunden, fangen die eigentlichen Probleme erst an: Wie erreicht man, dass das Ergebnis nicht langweilig klingt? Wie kann man “eins” mit der Musik werden und trotzdem der Absicht des Komponisten treu bleiben? Wie fesselt man das Publikum? Der Niederländer Eric Schoones widmet sich in “Die Wege der Meister. Zen in der Musik” diesen Fragen im Licht der spirituellen Praxis des Zen-Buddhismus. Keine Angst, es handelt sich nicht um einen säuselnden New-Age-Ratgeber. Vielmehr ist Schoones den Erfahrungen großer Instrumentalisten, Dirigenten, Komponisten auf der Spur. 

Die englischsprachige Erstausgabe sorgte 2017 für Begeisterung in der Musikwelt. Nun liegt der üppig bebilderte, aktualisierte und erweiterte 530-Seiten-Band endlich auf Deutsch vor. Pluspunkte gibt es für die gelungene Übersetzung in eleganter, unsentimentaler Sprache.

Eric Schoones ist selbst Pianist und gibt die in Benelux und den deutschsprachigen Ländern erscheinende Musikzeitschrift “Pianist” heraus. Für sein Buch hat er eine ganz eigene Form gewählt, zwischen Fiktion und Dokumentation. Im ersten Teil erzählt er eine Geschichte über einen Nachwuchspianisten namens Benjamin, der in Bezug auf seine künstlerische Entwicklung in einer Sackgasse steckt. Er reist nach Japan, um sich beim Zen-Meister Sato Rat zu holen. Obwohl Sato nicht das Geringste über die abendländische Musik weiß, sind dessen Überlegungen über Kunst, Musik und überhaupt das »richtige Leben« für Benjamin (und damit auch für die Leser) außerordentlich hilfreich.

Zen-Prinzipien sind universal

Die Zen-Prinzipien sind universal – das wird offenbar angesichts der Auswahl von hunderten Zitaten, die Eric Schoones kunstvoll in die Kapitel eingeflochten hat. Zu Wort kommen die Pianisten Glenn Gould oder Dinu Lipatti, der Dirigent Sergiu Celibidache, die Geigerin Janine Jansen oder die Sängerin Kirsten Flagstad. Die Äußerungen zeugen von ihrer Suche nach künstlerischer Wahrheit. 

Dabei sind die Parallelen zwischen östlichen Weisheiten und der abendländischen Tonkunst ebenso unübersehbar wie faszinierend. Im tiefsten Kern handelt es sich wohl um ein- und dieselbe Angelegenheit. Und so kann Zen dem Musiker aus dem Westen einen Weg bieten, Geduld und Konzentration zu erhöhen, die Spieltechnik, Haltung und Bewegung zu verbessern – im Einklang mit dem “Erwachen zum wahren Selbst”, wie es im Zen heißt.

Bewusstseinpraxis

Das tägliche Üben am Instrument wird so zu einer Bewusstseinspraxis, vergleichbar mit der japanischen Tee-Zeremonie oder dem Bogenschießen. Der Weg ist hier das Ziel. Oder, wie es der Yoga-praktizierende Herbert von Karajan ausdrückte: “Im Nichtstun liegt das Tun, das heißt, dass zuerst alles getan, geprobt sein muss, um ein Musikstück wie selbstverständlich erklingen zu lassen”.

Eric Schoones gelingt das Kunststück, auch durch die klug ausgewählten Zitate, unmittelbare ästhetische Erfahrungen und das Erleben der Musizierenden anschaulich zu schildern. Dabei geht es durchaus praxisnah zu. Überlegungen zu Körperhaltung und Atmung, zur Bedeutung einer Übungsroutine oder zum Verhältnis zwischen Spieltechnik und Gefühl haben nicht zuletzt einen didaktischen Wert.

Der dritte Teil des Buches umfasst 14 nachdenkliche Interviews, die der Autor mit Künstlern wie András Schiff, Alfred Brendel oder Christa Ludwig führte. Trotz seines Gehalts ist all das kurzweilig zu lesen. Detaillierte Fußnoten vertiefen einzelne Aspekte. Ausdrucksstarke Schwarzweiß-Porträtfotos von Künstlern bereichern das Ganze. 

Der Band ist assoziativ und anekdotenhaft aufgebaut; die meisten Kapitel umfassen nur ein paar Seiten. Man kann ihn irgendwo aufschlagen und wird auf jeder Seite Anregung und Inspiration finden. Eine Bereicherung für das Bücherregal eines jeden Musikers und Musikliebhabers! 

Die Wege der Meister. Zen in der Musik

Eric Schoones; Schott Music, 530 Seiten, 24,90 Euro ISBN13: 978-3-95983-642-5

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