Ein Erinnern, ein Mahnen, ein Zeichen gegen den Krieg. Was als Idee im Lockdown des Jahres 2020 entstand, nämlich Kompositionen aufzunehmen, die wachrütteln, die die Zuhörenden mahnen sollen, sich angesichts der Schrecken vergangener Kriege auf die Wichtigkeit von Frieden und Versöhnung zu besinnen, ist jetzt, wo der Tonträger “Oh Mensch! Gib acht!” von Reinhold Friedrich vorliegt, wichtiger denn je! Ein Krieg auf europäischem Boden, ein eskalierter Konflikt im Nahen Osten, der sich zu einem Flächenbrand auszuweiten droht und eine wirtschaftliche Situation in Deutschland, die die Bevölkerung in die Arme der radikalen Politik treibt, sind Ereignisse, die auch viele Kulturschaffende tief betroffen machen.
Zeichen gegen den Krieg
Mit “Oh Mensch! Gib acht!” setzen der Trompeter Reinhold Friedrich und Sebastian Küchler-Blessing, Organist am Essener Dom, Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, ein Zeichen gegen den Krieg. Mit der Einspielung von Kompositionen, die die Erinnerung an unsere deutsche Katastrophe des 20. Jahrhunderts, den Zweiten Weltkrieg sowie den Holocaust wachhalten, setzen sie ein musikalisches Zeichen, was eindrucksvoller nicht sein könnte: Den Arrangements von romantischen und spätromantischen Klassikern wie “O Tod, wie bitter bist Du” aus den “Vier ernsten Gesängen” op. 121 von Johannes Brahms (1833–1897), dem ursprünglich für Cello und Orchester komponierten “Kol Nidrei” op. 47 von Max Bruch (1838–1920) sowie dem titelgebenden Werk “Oh Mensch! Gib acht!” aus der 3. Sinfonie in d-Moll von Gustav Mahler (1860–1911) in einem Arrangement für Trompete, Ferntrompete, Orgel und Terza Mano stehen fünf schwergewichtige Werke zeitgenössischer Komponisten gegenüber.
Reinhold Friedrich macht mit seinem in allen Lagen satten, wandelbaren Klang, den reizvollen Phrasierungen und seiner musikalischen Schöpferkraft klar, dass er unangefochten zur Weltspitze gehört. Als würdiger Musizierpartner und als musikalisches Kraftwerk erweist sich der 1987 geborene Organist Sebastian Küchler-Blessing an der Essener Domorgel, einem mit riesenhaften Klangfarben ausgestatteten Instrument aus dem Jahr 2004. André Schoch, Trompeter der Berliner Philharmoniker und gefragter Kammermusiker sowie seine Schwester, die renommierte Blockflötistin Kristina Schoch, sind ebenfalls auf diesem Tonträger zu erleben. Mit ihrem Können tragen beide ebenfalls dazu bei, dass diese Aufnahmen mehr als einfach nur hörenswert sind: »Oh Mensch! Gib acht!« ist ein Must-have!
Macht betroffen
Geradezu betroffen macht die Hörenden “… ad memoriam …” des 1939 im Süden Ungarns geborenen Komponisten und Hochschulprofessors Zsigmond Szathmáry. Er beschreibt mit seiner Musik das Holocaustmahnmal am Brandenburger Tor.
Seelenwanderung und christlich-jüdischer Dialog stehen im Zentrum von “Gilgul”, geschrieben vom italienisch-israelischen Tondichter Luca Lombardi (*1945). Der aus Hamburg stammende Jan Müller-Wieland hat erinnert mit seinem Opus “Musik für eine Kirche” an das SS-Massaker 1944 im toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema, bei dem über 550 Menschen und hiervon etwa 130 Kinder auf bestialische Weise ermordet wurden.
“Santa Teresa” für Blockflöte und Orgel stammt von Norbert Linke (1933–2020). Die Blockflötistin Kristina Schoch und Sebastian Küchler-Blessing an der Orgel interpretieren das den im Konzentrationslager Theresienstadt Umgekommenen gewidmete Musikstück, in welchem Ghetto-Melodien und verfremdete Musikzitate des in Theresienstadt ermordeten Siegfried Translateur enthalten sind.
Wie sollte es anders sein, schließt dieses musikalische Mahnmal mit dem Wunsch nach Frieden: In “Hevenu shalom aleichem – vier Epigramme nach hebräischen Liedern” des 1955 geborenen Komponisten Otfried Büsing ist wieder die fabelhafte Blockflötistin Kristina Schoch begleitet von Küchler-Blessing an der Orgel zu erleben. Büsings Werk schließt mit der Melodie “Hevenu shalom aleichem” − “Friede sei mit euch!” respektive “Mögen wir Frieden für alle bringen!”
Die sehr gelungene Zusammenstellung der Kompositionen, die geradezu brennende Aktualität von »Oh Mensch! Gib acht!« und die hervorragende und äußerst hörenswerte Umsetzung von Reinhold Friedrich (Trompete) und Sebastian Küchler-Blessing sowie André und Kristina Schoch (Trompete und Blockflöte) machen diesen Tonträger zu einem Mahnmal, welches gleichzeitig ein Gesamtkunstwerk ist. Ein Kunstwerk gleich Nietzsches Gedicht “Oh Mensch! Gib acht!”.