Wood | Von Klaus Härtel

Klaus Doldinger stellt ein neues Album vor

Klaus Doldinger
Cover des neuen Doldinger-Albums. Foto: Peter Hönnemann

Klaus Doldinger’s Passport legt eine neue Platte vor. “Motherhood” heißt das gute Stück. Doch Moment mal, “Motherhood” – da war doch was? Stimmt! “Doldinger’s Motherhood” war 1970 das bahnbrechende Album des Saxofonisten, mit dem er vor ei­nem halben Jahrhundert seine musikalische Sprache neu ausrichtete und erweiterte. Wir treffen die Musikerlegende in der Münchner Dependance der Platten­firma Warner Music. Am Gespräch nehmen auch Bassist Patrick Scales und Percussionist Ernst Ströer teil. 

Im Jahr 2020 feiert Klaus Doldinger das 50. ­Jubiläum von “Motherhood”, indem er mit seiner ak­tuellen “Passport”-Besetzung Songs der Band in neuem Sound interpretiert und ­ihnen damit ­neues Leben einhaucht. Das neue Album erscheint im Frühling 2020. Ein echter Leckerbissen – nicht nur für “Motherhood”- und “Passport”-Fans!

Doldinger erweckt die Songs der legen­dären Formation zu neuem Leben! Heißt es auf der Website des Musikers. Aber waren die Songs denn tot? Der 83-Jährige – am 12. Mai wird er 84 – lacht. “Nein, nein! Wenn Sie ein altes Stück neu aufnehmen, dann ist es zu neuem Leben erweckt.” Ein Grund, diese Songs neu zu interpretieren, sei, dass die Platte damals ja nur auf Vinyl erschienen sei und nie neu aufgelegt wurde. Bei Sammlern erzielt die Langspielplatte von damals heute gute Preise. 

Die Titelmelodie des “Tatort” schrieb Doldinger vor 50 Jahren

50 Jahre sind eine lange Zeit, und 1970 ist anders als 2020. Willy Brandt ist Bundeskanzler, auch in Österreich regieren mit ­Bruno Kreisky die Sozial­demokraten. 1970 ist das “In­ternationale Jahr der Bildung” und ­Apollo 13 meldet Houston “ein Pro­blem”. Musikalisch einschneidend in diesem Jahr: Die Beatles trennen sich, kurz ­bevor sie ihre letzte Platte “Let It Be” veröffent­lichen. Im November wird der erste “Tatort” (Taxi nach Leipzig) in Deutschland ausgestrahlt. Die seitdem allgegenwärtige Titel­melodie schrieb: Klaus Doldinger. 

Und doch empfindet Klaus Doldinger die Zeit ­damals gar nicht als so wahnsinnig anders als heute. Klar, Corona war weit weg, doch gestern wie heute gilt: “Es muss klingen!” Die Spiel­freude ist geblieben. Und das spricht für die ­Musik – “aber vor allem für die Musiker”, wirft Doldinger ein. Ernst Ströer ergänzt: “Es ging hier nicht darum, die Stücke von damals eins zu eins nachzuspielen. Es stand die Frage im Raum: Wie können wir als Band – heute – diese Stücke originalgetreu spielen, sodass sie ‘heutig’ klingen.”

Nicht verbiegen, um nostalgisch zu klingen

Man wollte und musste sich nicht verbiegen, um nostalgisch zu klingen. Natürlich sollte der Sound den Songs entsprechend sein. Er selbst hat dafür etwa ein altes Ludwig-Schlagzeug aus den 70er Jahren verwendet. “Wir wollten uns an den Klang anlehnen, den analog ausmacht. Der Klang hat eine gewisse Wärme und ist nicht so scharf in den Höhen.” Es sollte “menschlich” klingen – verbunden mit “unserer modernen Art, zu spielen”. 

Dass er 1970 den gerade geborenen Hybrid-Ausdruck “Jazzrock” mitprägte, sei ihm erst bewusst geworden, als er die beiden alten “The Motherhood”-Scheiben wieder zur Kenntnis nahm, führt Klaus Doldinger aus. Und doch ist einer der Beweggründe für die Neuaufnahmen von zehn “The Motherhood”-Stücken und einer Nummer aus dem Kanon seiner späteren Band auch dem Bewusstsein geschuldet, dass das Projekt “The Motherhood” die Blaupause für die Band “Passport” war. 

Klaus Doldinger

Schon 1971 gründete Klaus Doldinger seine bis heute bestehende Band »Passport«, die unter anderem auch die »Tatort«-Titelmelodie einspielte (mit Udo Lindenberg am Schlagzeug). Der Rest ist Geschichte: Bis heute nahm Doldinger fast 30 »Passport«-Alben auf und schuf Filmmusik zu Kinofilmen wie »Das Boot« und »Die unendliche Geschichte«. Er wurde er mit hochkarätigen deutschen Jazz- und Filmmusik-Preisen sowie vielen weiteren Ehrungen ausgezeichnet. Mit den Versionen der »Motherhood«-Hits schließt sich nun der Kreis und eröffnet die Aussicht auf Projekte in der Zukunft.

Foto: Peter Hönnemann

Deutlich wird der Übergang zwischen Doldingers Jazzrock-Projekt und seiner bis heute ­währenden Band “Passport” in den aufeinanderfolgenden Stücken “Soul Town” und “Loco­Motive” des neuen Albums “Motherhood”. Während die 1969 entstandene “Seelenstadt” in selbstverständlicher Unbekümmertheit mitsamt Hammond-Orgel-Solo Richtung Funk groovt, greift das Neuarrangement den unbeschwerten Sinn fürs Melodische auf, führt ihn aber in Latin-Jazz-Manier aus.

Zu hören: Udo Lindenberg

Die Neueinspielung von “Turning Around” wartet mit einer handfesten Über­raschung auf. Klaus Doldinger höchstselbst stand für das halb im Chanson stehende La­men­to vor dem Gesangsmikrofon. Der Blaxploitation-Disput-Song “Women’s Quarell” hieß im Ori­ginal “Men’s Quarell” und wurde von China ­Moses sublim umgeschrieben, um ihrer durchdringend-weiblichen Sängerinnen-Perspektive gerecht zu werden. Max Mutzke wuchtet seine Guturallaute derweil im “Song Of Dying” durch die Live-im-Studio-Neuaufnahme. Udo Lindenberg, der kurz nach dem Ende von “The Motherhood” erster Schlagzeuger von “Passport” wurde, gibt in “Devil Don’t Take Me” noch mal gesanglich den Soul-Rocker. 

Die Instrumental-Komposition “Circus Polka” schließt den 50 Jahre währenden Kreis zwischen “The Motherhood” und dem neuen Album “Motherhood” mit allem, wofür “Klaus Doldinger’s Passport” seit den frühen 70er Jahren steht: klare Strukturen, jubelnde Melodien und Saxofon-Soli, großzügig geschaffene Plätze für Improvisationen und Motive, die, ähnlich dem “Tatort”-Thema, ewig im Gedächtnis bleiben.

Weiterer Special Guest: Joo Kraus

“Wade In The Water” mit Joo Kraus an der Trompete führt als letzter Titel schließlich mit ­locker-groovigem Rhythmus und klangästhetischer Erinnerung an Zeiten, in denen sich deutsche Unterhaltungsshows noch Bigbands im TV-Studio leisten wollten, aus dem “Motherhood”-Album. Das unterstreicht einmal mehr den Ehren­platz, den sich Klaus Doldinger längst erspielt hat.

Im Gespräch hat man den Eindruck, dass es Klaus Doldinger eigentlich gar nicht so wichtig ist, über seine Musik zu sprechen. “Letztendlich kommt es doch auf die Vorstellungsfähigkeit und die Kraft der Musiker an”, findet er. Er will lieber seine Musik sprechen lassen – und das am besten auf der Bühne. Er liebt diese leichte An­spannung kurz vor dem Auftritt. Zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht klar, wie lange Corona das Kulturleben im Griff haben würde.