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Der Symphonische Hoagascht: Sir Simon Rattle trifft Blasmusik

Rattle

Sir Simon Rattle, das BRSO und Dominik Glöbl mittendrin! Er kann seine Begeisterung nur schwer verstecken. Muss er ja auch nicht – und schreibt für BRAWOO ein Plädoyer für mehr gemeinsames Musizieren, für mehr Blasmusik. Denn die bringt uns nicht nur zusammen, sie hält uns zusammen!

Da staunte ich nicht schlecht, als vor knapp zwei Jahren das Telefon klingelte und der Bayerische Rundfunk in der Leitung war. Ich dachte, es gehe um die Wirtshausmusikanten, aber weit gefehlt. Man erklärte mir, dass das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der neuen Leitung von Sir Simon Rattle ein besonderes Projekt plane. Sir Simon Rattle, dieser Name klang sofort wie Musik in meinen Ohren. Wer kennt ihn nicht, diesen charismatischen britischen Lockenkopf, weltoffen und volksnah und mit einer Ausstrahlung wie der Dalai Lama.

Ich fragte sofort nach: Der Sir Simon Rattle, der 2003 das viel umjubelte »Rhythm is it!« realisiert hat? 250 Kinder aus 25 Nation von Berliner Problemschulen tanzten dabei gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern Strawinskis Sacre du Printemps. Der Sir Simon Rattle, der für unzählige tolle Einspielungen mit den Berliner Philharmonikern und dem London Symphony Orchestra verantwortlich ist? Ja genau, dieser Sir Simon Rattle, sprach die Stimme auf der anderen Seite der Leitung. 

Ich war baff. Um welches Projekt geht es denn? 

Sir Simon möchte die Musik und die Kultur Bayerns näher kennen lernen, wurde mir erklärt. Als Teenager trat er selbst als Perkussionist im Merseyside Youth Orchestra und in großen Blaskapellen Englands auf. Er kennt diese Tradition und weiß, welches Gefühl von Gemeinschaft beim Musizieren in solchen Ensembles entsteht. Nun ist er unser Chefdirigent und weiß, dass viele seiner Orchestermusiker:innen hier in Bayern genau so einen musikalischen Hintergrund haben. Er möchte eine Verbindung herstellen zwischen dem Orchester und der Musikkultur Bayerns. Es geht ums gemeinsame Musizieren und um den Austausch vor der Bühne, hinter der Bühne und natürlich in der Musik. Was für eine tolle Idee, sagte ich und was darf ich dazu beitragen? Wir wollten, dass Sie zusammen mit Luise Kinseher diesen Abend für uns präsentieren. Wow, wie schön! 

Das musste ich erst einmal ein wenig sacken lassen. Sir Simon Rattle, das BRSO und ich darf dabei sein. Ja die Blasmusik ist meine Welt, ich bewege mich täglich in ihr und liebe sie, weil sie ein Teil von mir ist. Die große Welt der Klassik ist für mich, wie vielleicht für viele von Ihnen, eine Hochkultur, die ich bewundere. Ich höre gerne klassische Musik, bin ein großer Bruckner-Fan und mag natürlich alles, wo viel Gebläse dabei ist. Aber das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist dann doch etwas Anderes als die Stadtkapelle Geiselhöring. Und genau dort begannen meine ersten musikalischen Gehversuche. 

“Von da an liebte ich die Blasmusik!”

Als ich 13 Jahre alt war, besuchte ich dort die erste Probe, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Ich spielte vielleicht ein Jahr Trompete aber mein Lehrer meinte, man lernt richtig Musik machen nur in einem Ensemble. Also betrat ich am Freitag den Probenraum, setzte mich stumm neben einen alten Musiker, der mein Opa hätte sein können, und wartete ab. Die Probe begann und ein Stück wurde aufgelegt, die “Fuchsgraben Polka”. Der alte Mann sagte zu mir: Keine Angst, du spielst jetzt einfach mit mir mit und hörst zu, wie ich das mache. Der Klang und die Musik haben mich sofort gepackt! Der alte Mann hat sich von da an um mich gekümmert, ich habe immer bei ihm zugehört und mitgespielt. Bei Auftritten hat er mir ein Getränk geholt und mir alles gezeigt. Er wurde mein erster Freund dort und von da an liebte ich die Blasmusik. 

Klar kann man die Stadtkapelle Geiselhöring nur schwer mit dem BRSO vergleichen, aber das, was mit mir damals passiert ist, passiert hier bei uns in Bayern ganz oft. Die Blasmusik verbindet! Ich habe meinen Platz in der Stadtkapelle Geiselhöring gefunden. Jeder findet seinen Platz in einer Blaskapelle, ob jung oder alt, klein oder groß, gut oder weniger gut. Die Blasmusik ist ein gesellschaftlich übergreifendes Medium, nicht nur bei uns in Bayern, sondern auf der ganzen Welt! Musik verbindet, das wissen wir eh alle, aber Blasmusik verbindet besonders! Warum ist das eigentlich so? Ich glaube, weil es eine Musik ist, die besonders stark in unsere Seele eindringt und darin etwas berührt, was für uns Bayern ebenfalls enorm wichtig ist. Gemütlichkeit. Gemütlichkeit entsteht, wenn Zeit und Menschen zusammenkommen. 

Blasmusik bringt uns zusammen

Und diese Gemütlichkeit kann durch den Faktor Musik noch verstärkt werden. Die Blasmusik bringt uns zusammen, viel mehr noch, sie hält uns zusammen. Das Woodstock der Blasmusik, die Brasswiesn, Bezirksmusikfeste, Fahnenweihen, Fronleichnamsprozessionen, all das ist Ausdruck unserer Kultur und unserer Lebensfreude. Und da ist es egal, ob man jung oder alt, schwarz oder weiß, rot oder grün oder männlich, weiblich oder divers ist. Da ist ein “Wir” wichtig und das Einzige, was zählt. Nun ist Gemütlichkeit vielleicht das falsche Wort, wenn man an ein Symphonieorchester denkt, aber ein »Wir«-Erlebnis gibt es schon dort auch, sogar ein sehr Starkes. 

Über 50 Topmusiker:innen sitzen auf der Bühne und haben nichts anders im Sinn, als top Musik zu machen. Und wer jemals schon mal in einem Symphoniekonzert war, der weiß, was ich meine. Das ist ein absolut faszinierendes Erlebnis und tief ergreifend. Was will also Sir Simon ­Rattle mit diesem Projekt machen? Er will diese beiden Klangwelten zusammenbringen. Die Blasmusik mit all ihren Facetten und diesen Klangkörper von Weltruhm. Was dabei herauskommt? Er weiß es nicht genau, keiner weiß es, aber es wird mit Sicherheit sehr bewegend und schön werden. 

Glöbl
Foto: Christian Jobst

Aber es steckt noch viel mehr hinter dieser Idee. “Rhythm is it!”, das Tanzprojekt, das Sir Simon mit den Berliner Philharmonikern und über 250 jugendlichen Tänzerinnen und Tänzern von sozial benachteiligten Schulen in Berlin auf die Bühne gebracht hat, war eine außergewöhnliche Performance in der deutschen Kulturlandschaft im Jahr 2003. Sir Simon geht es um eine gesellschaftliche Sache. Er wollte die klassische Musiklandschaft entkoppeln von einer elitären Grundhaltung. Musik ist nicht ein “die da oben” und “wir hier unten”. Musik ist ein “wir alle gemeinsam”.

Und diesen Gedanken finde ich besonders wichtig in der jetzigen Zeit. Unserer Gesellschaft stehen schwierige Zeiten bevor. Viele empfinden, die da oben machen was sie wollen, sie sehen uns hier unten nicht mehr. Wir hier unten lassen uns das aber nicht länger gefallen. Der Ton wird rauer, die Luft für jede inhaltliche Diskussion dünner. Wir müssen uns die Demokratie wieder zurückholen, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, wir sind das Volk!

Viele vergessen, dass ein “Wir” bedeutet, dass wir uns alle wieder mehr zuhören sollten. Zuhören, aufeinander hören, aufeinander eingehen, miteinander sprechen. All das passiert in einer Musikprobe, egal ob beim BRSO oder bei der Stadtkapelle Geiselhöring. Jeder Musiker:in muss hören und fühlen, welche Stimme er spielt und was er zum Gesamtklang eines Stückes beitragen kann. Wo bin ich wichtig, wo bin ich vielleicht weniger wichtig. Dann entsteht Musik und jeder Musiker:in kann bestätigen, dass es einfach Spaß macht, wenn man gemeinsam musiziert. 

Mehr gemeinsam musizieren!

Sir Simon Rattle will also, dass wir mehr gemeinsam musizieren. Viele seiner Musikerinnen und Musiker der Symphoniker haben einen musika­lischen Background in der Blasmusik. Die Solotrompeter Martin Angerer und Johannes Moritz sind Österreicher und schon von Kindheit an mit Blasmusik aufgewachsen. Der Soloposaunist Felix Eckert stand schon in jungen Jahren als Solist mit der Brassband Würzburg auf der Bühne. Viele Holz- und Blechbläser teilen die Emotionen, die wir alle in unseren Blaskapellen kennen. Und doch sind sie eben für uns »die da oben«, die Stars!

Umso schöner, dass das BRSO mit Sir ­Simon Rattle nun einen Chefdirigenten hat, der nicht mehr die Klassik als Musik für einen elitären Kreis sieht, sondern Musik als das begreift und auch praktiziert, was es auch meiner Meinung nach ist. Ein Medium für Kommunikation und für uns alle! Das wurde auch schon beim ersten Treffen mit Blasmusikerinnen und Blasmusikern bei einer Probe in München mit Sir Simon Rattle und dem Orchester deutlich. Danach stand man noch lange beisammen und ratschte ungezwungen über alles Mögliche, Sir Simon Rattle mittendrin. 

Und so blicke ich voller Vorfreude auf das, was da am 7. Juli im Münchener Showpalast kommen mag. Vier verschiedene Blaskapellen aus ganz Bayern werden auf der Bühne sitzen, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Sir Simon Rattle ebenso und ich mittendrin. Und ich denke dabei an den alten Mann zurück, der in der Stadtkapelle Geiselhöring neben mir saß und mit dem ich das erste Mal in meinem Leben die “Fuchsgraben Polka” spielen durfte. Und ich denke an den wunderschönen Satz, den Sir Simon Rattle in seiner ersten Pressekonferenz über seine Idee des symphonischen Hoagascht gesagt hat. “Der Hoagascht ist der perfekte Weg, um neue Freunde zu finden.”

Rattle

Sendetermine

  • Sonntag, 7. Juli 2024 um 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen
  • Sonntag 7. Juli 2024 ab 17 Uhr online im Live Stream.
  • Mittwoch, 10. Juli 2024 Radioreportage auf Bayern 2 „Nah dran“ kurz nach 11.00 Uhr.
  • Freitag, 19. Juli 2024 BR Klassik Radiomitschnitt des Konzertes um 18.05 Uhr.
  • Sonntag, 21. Juli 2024 BR Fernsehen Dokumentation von Felix Hentschel.

Dominik Glöbl