Orchestra | Von Sophie Stahl

Die Hand – das wichtigste Werkzeug, um Musik zu machen

Hände
Foto: Dovile Sermokas

Die Hand ist eines der wichtigsten Werkzeuge um Musik zu machen. Flink bewegen sich die Finger über die Klappen, filigran bessert sie die Mundstücke aus, mit großer Kraft hebt sie die Tuba auf den Schoß und hält über lange Zeiträume das Instrument. Doch was steckt hinter diesen Fähigkeiten? Warum stoßen Musikerinnen und Musiker immer wieder an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Schnelligkeit der Finger?

Um diese Fragen beantworten zu können lohnt sich zunächst ein Blick auf die Anatomie, Funktion und Physiologie von Unterarm, Hand und Finger. Das Handgelenk ist ein komplexes Konstrukt. Acht kleine Handwurzelknochen in zwei gewölbten Reihen bilden das Handgelenk. Zusammengehalten werden sie durch zahlreiche Bänder und ermöglichen eine große Beweglichkeit.

Das Handgelenk lässt sich Strecken (ca. 70 °) und Beugen (ca. 80°) . Weiter lässt es sich in Richtung Daumen (ca. 20°) sowie in Richtung kleinen Finger (ca. 20°) bewegen. Neben diesen reinen Bewegungen gibt es die Kombinierten. Lässt du dein dein Handgelenk kreisen oder eine liegende Acht beschreiben, handelt es sich um eine Kombination von oben beschriebenen Bewegungen.

Die Beuger (rot) ziehen über Sehnen zum Handgelenk und den einzelnen Fingern. Die Sehnen verlaufen durch die Sehnenscheiden (dunkelgrau).

Illustration: Henrike Haselhuhn

Das nach oben und unten Drehen der Handfläche ist eine weitere Bewegung. Wider erwarten findet die Einwärtsdrehung (ca. 90°) sowie die Auswärtsdrehung (ca. 85°) überwiegend nicht im Handgelenk statt. Elle und Speiche drehen sich in zwei Gelenken am Handgelenk und dem Ellenbogengelenk umeinander und ermöglichen so die Drehung der Hand.

Je nach Instrument, werden einzelne Funktionen der Hände und Unterarme stark belastet, während andere Bewegungsrichtungen kaum beansprucht werden. Hier ist es wichtig einmal selbst zu überlegen aus welchen Bewegungsrichtungen sich die eigene Spielposition zusammen setzt. Um Überlastungen zu vermeiden empfiehlt es sich, bewusst darauf zu achten, nach Beenden des Übens die Übeposition am Instrument zu verlassen und durch lockeres Bewegen, z.B. in entgegen gesetzte Richtung, für Entlastung zu sorgen.

In der Praxis lässt sich eine Tendenz beobachten. Viele Musiker.innen neigen eher zu hypermobilen, also sehr beweglichen Handgelenken. Wie bereits erwähnt, ist das Handgelenk ein sehr mobiles, eher instabiles Gelenk, welches kaum durch passive Strukturen gesichert wird. Besteht bereits eine große Beweglichkeit in diesem Bereich ist zusätzliches Mobilisieren wie z.B. das Dehnen wenig förderlich. Wichtiger ist es das Handgelenk durch muskuläre Aktivierung gezielt zu unterstützen und zu stabilisieren.

Forme deine Hand zu einer festen Faust und beobachte dein Handgelenk. Welche Position nimmt es ein?

Durch die Muskelaktivität von fünf Muskeln, die rund um den Ellenbogen herum ansetzen wird das Handgelenk stabilisiert. Diese Muskeln ziehen vom Ellenbogen zu allen vier Ecken des Handgelenks. Bei gleichmäßiger Aktivierung, unterstützt von allen weiteren Muskeln des Unterarmes, bringen sie das Handgelenk in die so genannte neutrale Position und sorgen auf diesem Wege für eine Grundstabilität.

Jedes Gelenk im Körper besitzt eine neutrale Position. In dieser Position sind alle Bereiche des Gelenkes gleichmäßig belastet und optimal von den umgebenden Strukturen gesichert. Alle Muskeln können durch ihre gleichmäßige Spannung ihre größte Kraft mit minimalem Aufwand aktivieren.

Hand

In zwanzig bis dreißig Grad Streckung befindet sich die neutralen Position des Handgelenkes. Das Grundgelenk des dritten Fingers (Mittelfingers) befindet sich in Verlängerung des Unterarmes. Wird die Hand zu einer lockeren Faust geformt, stehen alle Muskeln (s.o. sowie alle Fingerbeuger und -strecker) unter gleicher Spannung.

Solltest du beobachtet haben, dass deine Faust bei der Anspannung nicht in der neutralen Position bleibt, sondern z.B. nach unten zieht, spricht dies für eine muskuläre Dysbalance. In diesem Falle sind die Beuger im Verhältnis zu den Streckern zu stark. Die alltäglichen Aufgaben fordern überwiegend die Beuger – zum Tragen von Lasten, Greifen der Tasten, Halten eines Stiftes, Tippen am Handy usw. Die Strecker wider lagern währenddessen das Handgelenk und die Finger, so dass diese nicht nach unten weg klappen. Aus dieser Aufgabenverteilung heraus ergibt sich, dass die Beuger etwa doppelt so stark sind wie die Strecker. Trotzdem sollte die neutrale Position bei Faustschluss erreicht werden können.

Erweist sich diese Position jedoch als schwierig, ist es sinnvoll diese zu beüben. Eine erste Möglichkeit ist es, Unterarm und Faust flach auf den Tisch zu legen und sie leicht anzuheben. Auf diesem Wege lässt sich die Wahrnehmung und Kontrolle dieser Position erlernen.

Innerhalb deiner Hand befinden sich nur wenige Muskeln. Die Muskulatur deiner Mittelhand dient dem Spreizen sowie Zusammenschluss deiner Hand. Weiter Muskeln ermöglichen z.B. die Greifbewegung deines Daumens zum kleinen Finger. Alle anderen Bewegungen der Hand entstehen in den oberen zwei Dritteln deines Unterarmes.

Um dies zu spüren lege deine rechte Hand rund um den oberen linken Unterarm. Forme noch einmal die linke Hand zu einer Faust, öffne sie wieder und zapple mit deinen Fingern. Was spürst du unter den Fingern deiner rechten Hand? Und in welchem Bereich?

Die Muskelbäuche der Muskulatur, die dein Handgelenk stabilisieren und deine Finger bewegen sitzen in den oberen zweidrittel des Unterarmes. Über Sehnen wird die Kraft auf das Handgelenk und die Finger übertragen. Auf der Rückseite des Armes liegen die streckenden, auf der Unterseite dagegen die beugenden Muskeln.

Die Sehnen müssen am Handgelenk mehrere enge Stellen passieren. Um trotzdem eine reibungslose Beweglichkeit zu gewährleisten, verlaufen die Sehnen an diesen Stellen durch Sehnenscheiden. Sie dienen der Polsterung und dem Schutz der Sehnen. Bei großen Belastungen kann es, trotz der Vorsorge des Körpers, in diesen Bereichen zu Reizungen und Entzündungen, den sogenannten Sehnenscheidenentzündungen kommen. Auch wenn dieses Phänomen deutlich seltener auftritt, als diagnostiziert, sollte jeder Verdacht ärztlich abgeklärt und physiotherapeutisch begleitet werden.

Häufiger kommt es bei regelmäßigen Überlastungen zu Reizungen am Übergang von Sehne zu Muskulatur oder Ansatz am Knochen. Ein häufiges Krankheitsbild ist dabei der Tennis- oder Golferellenbogen. Durch immer wiederkehrende Überlastung kommt es zu kleinen Mikrotraumen, die die Anpassung und Heilung unterbrechen. Es kommt zur Veränderung des Gewebes und neurologischen Irritationen. Bereits beim ersten Auftreten sollte reagiert werden. Durch gezieltes Training lässt sich die Problematik gut in den Griff bekommen. Dabei steht vor allem der Kraftaufbau im Vordergrund, der zu einer größeren Belastbarkeit der Strukturen führt.

Zunächst mag es paradox klingen bei Schmerzen, die durch Überlastungen entstanden sind, ins Krafttraining zu gehen. Setzt man jedoch gezielte, intensive Reize führt dies zur Anpassung des Gewebes und trägt somit zur Heilung und Regeneration bei. Durch die wider lagernde Funktion neigen die Strecker der Hand häufiger zu Schmerzen. Mit Hilfe von exzentrischer Muskelaktivität (Muskulatur wird unter Belastung verlängert) lässt sich der Muskel trainieren und der Anpassungsprozess unterstützen.

Nimm zur Entlastung und Kräftigung der Strecker ein Gewicht in deine rechte Hand. Deine Handfläche zeigt dabei nach unten. Führe nun mit deiner linken Hand die rechte Hand in die gestreckte Position. Halte zunächst das Gewicht in dieser Position und führe dann deine rechte Hand langsam zurück in die neutrale Position oder leichte Beugung. Wähle das Gewicht so, dass du die Übung ca. 8-12 mal wiederholen kannst. Kleiner Tipp: Solltest du kein Gewicht zu Hause haben, kannst du mit einer 0,5 l Wasserflasche beginnen.

Die Muskulatur des Körpers setzt sich aus verschiedenen Fasern zusammen. Zum einen gibt es die roten Fasern, die über einen langen Zeitraum wenig Kraft aufbringen können (slow-twitch fibers). Gleichzeitig gibt es die weißen Fasern (fast-twitch fibers), die über einen kurzen Zeitraum – also schnell – viel Kraft aufbringen können. Bei jedem Mensch ist die Zusammensetzung dieser Faseranteile anders aufgeteilt. Es gibt also eine genetische Komponente, die dir erlaubt sehr schnell oder weniger schnell spielen zu können. Im Sport geht man davon aus, dass die Geschwindigkeit durch gezieltes Krafttraining maximal um 20 % gesteigert werden kann. Das soll dich nicht entmutigen, jedoch helfen, eigene Grenzen zu erkennen und die vorhandenen Möglichkeiten optimal zu nutzen zu. Um die Schnelligkeit maximal zu optimieren ist ein gezieltes und intensives Krafttraining notwendig, das die weißen Fasern anspricht. (ACHTUNG auch dieses sollte langsam gestartet und gesteigert werden!).

Neben dem Krafttraining gibt es noch weitere Parameter, die dazu beitragen die Schnelligkeit der Finger zu optimieren. Ein wichtiger Faktor ist die Ermüdung. Ermüdungsanzeichen beim Üben wie z.B. Zittern, fehlende Kontrolle oder Unkonzentriertheit sollten dringend vermieden werden.

Sobald du diese Zeichen bemerkst ist es bereits zu spät. Denn bis die Ermüdung in deiner Muskulatur ankommt ist dein zentrales Nervensystem, welches den Bewegungsauftrag sendet, schon lange ermüdet. Die Muskulatur kann diese Ermüdung bis zu einem gewissen Maß kompensieren. Jedoch solltest du dies dringend vermeiden. Du kannst davon ausgehen, dass diese Ermüdung nach ca. 15-25 min eintritt. Deshalb empfiehlt es sich schnelle Passagen nur wenige Male hochkonzentriert zu wiederholen und alle 15-20 min eine aktive Pause einzulegen.

Wie bereits oben beschrieben ist eine neutrale Haltung insgesamt (s. Artikel Brawoo Ausgabe September 2022) sowie des Handgelenkes für eine optimale Entwicklung von Kraft und somit Schnelligkeit notwendig.

Mit dem Wissen um deine Hände und Finger, einer durchdachten Routine und Aufmerksamkeit für deinen Körper, steht einem gesunden und schmerzfreien Spiel nichts entgegen. Sollten doch einmal Herausforderungen entstehen, lohnt es sich, frühzeitig Unterstützung zu suchen.

Auf ein gesundes und freies Musizieren!

Sophie Stahl

ist aktive Oboistin (M.Mus.) und Physiotherapeutin. Neben ihrer freiberuflichen oboistischen Tätigkeit in Orchestern und Kammermusik Ensembles, ist sie seit 2020 im Bereich der Musiker:innengesundheit aktiv. In Workshops und 1:1 Coachings vermittelt sie anatomische und physiologische Grundlagen kombiniert mit praktischen Übungen. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf Bläser:innenspezifischen Themen wie ATMUNG, BECKENBODEN, ANSATZ, HALTUNG & HÄNDE.

Regelmäßig gibt sie Workshops zu diesen Themen sowohl online als auch in Präsenz und u.a. für die Folkwang Universität der Künste, Musikhochschule Detmold, Robert-Schumann Musikhochschule Düsseldorf, am Orchesterzentrum NRW sowie den Österreichischen Blasmusikverband, den Verband Bayrischer Sing- und Musikschulen e.V. und blasmusik.digital. Im letzten Jahr hat sie in Essen eine Physiotherapeutische Praxis für Musiker:innen gegründet. In interdisziplinärer Zusammenarbeit bietet sie dort Musiker:innen und Künstler:innen eine Anlaufstelle, um schnelle und fachgerechte physiotherapeutische Unterstützung zu erhalten. Sophie Stahl ist aktives Mitglied in den Arbeitsgruppen Gesundheit von unisono und der Deutschen Gesellschaft für Musikermedizin und Musikphysiologie und setzt sich vielseitig für die Gesundheit von Musiker:innen ein.

Links:

www.sophiestahl.de

info@sophiestahl.de

www.stahl-physio.de

praxis@stahl-physio.de

Insta: musikergesundheit_sophie.stahl

Facebook: MusikerInnengesundheit

Literatur:

Christoph Wagner, Hand und Instrument, Musikphysiologische Grundlagen, Praktische Konsequenzen, Breitkopf & Härtel Verlag, Wiesbaden 2005

Anatomie und Biomechanik der Hand, Rainer Zumhasch, Michael Wagner, Sven Klausch, Thieme 2012, Stuttgart

PMS, Jochen, SmoC: Ein sensomotorisches Übungsprogramm bei chronischen Handgelenkschmerzen, Mai 2019