Für die Teilnehmenden ist es ein persönliches Hobby, spielen in Gemeinschaft, Erfüllung eines langgehegten Wunsches, sinnvolle Freizeitbeschäftigung, aktive Prävention gegen übliche Alterserscheinungen oder einfach Teil des lebenslangen Lernens. In jedem Fall ist für Erwachsene die Teilnahme an einer BläserKlasse eine wohlüberlegte und wirklich freiwillige Entscheidung: Ich will Musik machen! Wer eine “EBK” anbietet kann sich also darauf verlassen, dass sein Orchester aus motivierten Mitgliedern besteht. Und sie sind fleißig, denn sie wollen wirklich!
Die Gründe, sich als Musikverein, Schule, Musikschule oder “einfach so privat” für die EBK zu entscheiden sind dagegen sehr unterschiedlich. Während Musikschule und Musikverein tendenziell um Nachwuchs bemüht sind, werden Eltern-BläserKlassen an Schulen ganz sicher nicht aus Nachwuchssorgen gegründet. Interessanterweise ist EBK als Nachwuchsorchester für Musikvereine immer noch eher selten. “Man kümmert sich lieber um die Drittklässler als um Erwachsene”, sagt Benedikt Plößnig, Saxofonist und Dirigent einer Musikschul-EBK in Wien. Zu unrecht, wie er findet. Bei Erwachsenen seien gewisse Charakterzüge zwar noch einmal sehr viel ausgeprägter als bei Kindern oder Jugendlichen – “es gibt die, die sich überschätzen und die, die sich eher unterschätzen”, beschreibt Plößnig einen Aspekt.
Und weiter: “Es ist häufig auch eine mühselige Arbeit, die sich nur wenige zutrauen.” Verstehen kann er das allerdings nicht. Denn das Ergebnis einer Probe ist meistens sehr befriedigend. Er spricht nämlich auch von großartigen Menschen, die – egal in welcher beruflichen Position – mit einer unglaublichen Hilfsbereitschaft und Wertschätzung ihm gegenüber zur Probe kommen. “Viele der Berufstätigen nehmen ihr Instrument mit auf Dienstreise, um bei der nächsten Probe mithalten zu können.” In den ersten Planungen hatte er noch die Sorge vor einer hohen Abbrecherquote gerade unter der Berufstätigen.
Die Eltern wollten Musik machen
Genau lässt sich gar nicht sagen, seit wann es die BläserKlasse auch für Erwachsene gibt. Eine der ersten Eltern-BläserKlassen wurde in Berlin von einem Lehrer der Gustav-Heinemann-Oberschule gegründet. Er wollte gar nicht, aber die Eltern wollten. Seit 2007 gibt es an der Schule vorzügliche BläserKlassen-Arbeit, Auftritte beim Oberbürgermeister, Bundeskanzler und sogar beim Bundespräsidenten gehören wie selbstverständlich dazu. Anreiz genug, sich die eigenen Kinder zum Vorbild zu nehmen. Über den Elternbeirat formierte sich eine Interessensgemeinschaft mit dem Ergebnis, dass die erste Eltern-BläserKlasse der Schule 2015 mit 66 Musikerinnen und Musikern begann, von denen heute noch 41 im Orchester mitspielen. Roland Voigt, so der Name des Lehrers, ist heute Dirigent zweier solider Blasorchester mit insgesamt 85 Musikerinnen und Musikern im Alter zwischen 25 und 80 Jahren. Beide Orchester würde es ohne die BläserKlasse nicht geben.
Etwas anders ist es bei Marco Weber, der zwei EKB in der Schweiz leitet. Mehrere Musikvereine haben sich zusammengeschlossen, den Erwachsenen der jeweiligen Gemeinden die Gelegenheit zu bieten, sich über die EBK fit zu machen für das heimische Orchester. Nach etwa drei Jahren in der EBK ist es so weit, die Musikerinnen und Musiker wechseln in die Hauptorchester des Wohnortes. Marco Weber: “Anfangs hatten wir Sorge, dass der Übergang nicht gelingt, oder auch, dass aufgrund der entstandenen Freundschaften innerhalb der EBK manch einer vielleicht zu einem anderen Orchester wechselt. Aber beide Sorgen erwiesen sich als unbegründet.” In der Ostschweiz gibt es seit zehn Jahren BläserKlassen für Erwachsene. Trotz Corona konnten bisher 25 Projekte mit fast 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestartet werden. Weber, der Präsident der Vereinigung Schweizer Blasinstrumentenbauer und -Reparateure und Inhaber einer Blasmusikgeschäftes ist, nennt das “ein Erfolgskonzept mit sehr guter Nachhaltigkeit für die Blasmusik”.
Die BläserKlasse wird für viele ein Anker und wichtiger Lebensinhalt
“Bei uns gibt es kein Ende für einen Lehrgang, nur bestehende Gruppen, die zusammenbleiben und weiterlernen”, sagt Nicole Maack, die sich ein “eigenes Orchester” in Bardowick in Norddeutschland aufgebaut hat. “Regelmäßig startet eine neue Gruppe, um Interessierten die Gelegenheit zu bieten, anzufangen. Wann man dann so weit ist, ins Orchester aufzusteigen, hängt sehr viel mit der Einstellung zum Hobby zusammen.” Auch sie sagt, dass das nach etwa drei Jahren gelingen kann. Viel bemerkenswerter erscheint ihr, “dass die BläserKlasse für viele Mitglieder ein Anker und wichtiger Lebensinhalt geworden ist”. Es geht inzwischen nicht mehr nur um Musik, sondern um viel mehr. “Wir sind ein erheblicher Bestandteil des dörflichen Lebens geworden. Unsere Konzerte sind immer gut besucht, egal ob Konfirmation, Sommerkonzert, Erntefest oder Weihnachtskonzert.” Wenn sie alle Auftritte zusammenzählt, also auch Ständchen und kleine dörfliche Feierlichkeiten, kommt ihr Orchester auf etwa 20 Auftritte im Jahr. Das ist enorm viel, “aber irgendwie wollen doch immer alle mitmachen”, sagt Nicole Maack nicht ganz ohne Stolz.
Auch Benedikt Plößnig sieht den sozialen Aspekt ganz wichtig und sagt, “dass es in erster Linie nicht um musikalische Höchstleistungen geht, sondern um das Gemeinsame und das Miteinander”. Man freut sich aufeinander und bleibt natürlich nach der Probe noch etwas zusammen. “Nicht immer alle, aber immer eine nette Gruppe.”
Fernab vom Druck, Leistungsabzeichen absolvieren zu müssen
Gemeinsam an einem Ziel arbeiten und miteinander Freude am Musizieren haben, fernab vom Druck, Leistungsabzeichen absolvieren zu müssen. “Dies”, so Benedikt Plößnig, “wäre das Ende meiner EBK, wenn ich am Schuljahresende eine Prüfung verlangen würde”.
Es kann für Musikvereine und Musikschulen nur eine Empfehlung geben: Startet eine BläserKlasse für Erwachsene. Vorbereitung und Ablauf ähneln der BläserKlasse für Schülerinnen und Schüler. Die Informationskanäle sind vermutlich andere und manch einer ist plötzlich doch zögerlich, wenn ein Wunschtraum tatsächlich wahr werden kann. Aber einen gewaltigen Vorteil hat die EBK: “Niemals hätte die Musikschule das Geld für die 32 Instrumente der ersten EKB aufbringen können. Das haben die alle selbst erledigt. Und auch gewollt”, sagt Plößnig und kommt gleich auf das Problem dahinter zu sprechen, denn “anfangs hatten wir schon sehr viele Saxofone im Orchester und nur ein Horn”. Ein bekanntes Problem, zugegeben. Aber lösbar. Denn unter den heute noch knapp über 20 aktiven Musikerinnen und Musikern spielen drei das Waldhorn.
Der Autor Gernot Breitschuh
“Mich anrufen!” ruft Gernot Breitschuh im BRAWOO-Interview (Ausgabe 10/2022) scheinbar scherzhaft aus, als er gefragt wird, wie man an “die Sache” herangehen soll. Aber: Der Bläserklassen-Macher meint das ernst! Hier sind seine Kontaktdaten
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