Brass, Orchestra, Wood | Von Antje Rößler

Geheimtipps in Serie vom Aurio Verlag

Die Suche nach originellem Repertoire ist mühsam. Nun nimmt der Aurio Musikverlag den Künstlern die Arbeit ab und bietet Raritäten im Abonnement. 

Sebastian Bund hat etliche Nächte seines Lebens mit der Suche nach neuen Stücken verbracht. Er sitzt dann vor dem Bildschirm, stöbert in digitalen Bibliotheken und bei YouTube. Doch dann kam dem komponierenden Pianisten eine Idee: Man könnte den Künstlern doch die zeitraubende Suche nach Raritäten abnehmen und ihnen die Noten spielfertig zur Verfügung stellen. Aus diesem Einfall entstand der Aurio Musikverlag. Seit Mitte April bietet er unbekannte und selten aufgeführte Werke an: einzeln und auch im Abonnement. Viermal jährlich erscheinen Notenausgaben für verschiedene Instrumente – edel gedruckt oder digital. 

Eine Musikbibliothek der Inspirationen

Von einer “Musikbibliothek der Inspirationen” spricht Sebastian Bund: “Ich habe mich schon immer für das Musikverlegen interessiert”, erzählt er. “Den Ausschlag gab schließlich eine gemeinsame Tonaufnahme mit der Flötistin Kathrin Christians, für die wir nächtelang nach originellem Repertoire suchten.” Bund wurde klar, dass es vielen Kollegen ähnlich geht. “Sobald man über den Tellerrand des Standardrepertoires schaut, fangen die Probleme an. Da findet man vielleicht ein tolles Stück auf YouTube – aber die Noten gibt es nur in schlechten Vorlagen.”

Mit seinem Aurio Verlag bietet Sebastian Bund nun einen Ausweg. “Wir machen den Musikern ein Serviceangebot, mit dem sie ohne zeitlichen Aufwand ihr Repertoire erweitern können”, erklärt er. “Wir wollen Lust machen, neue Werke und Komponisten zu entdecken, durch alle Epochen hindurch.” 

Pianist und Komponist

Der Jungverleger kam als Kind durch das Chopin-Spiel von Maurizio Pollini zum Klavier; später begann er zu komponieren. Inzwischen hat Sebastian Bund, der bei Ulm lebt, Kinderopern, Sinfonien und Bühnenmusiken geschrieben. Seit zwei Jahren bleibt jedoch zum Komponieren keine Zeit mehr, da er rund 70 Arbeitswochenstunden in den Verlag steckt. Bei der Herausgabe der Notenbände wird er von Lektoren, Musikwissenschaftlern und Notensetzern unterstützt, insgesamt sind 15 Leute am Werk. Das Marketing betreut Joachim Großpersky, der langjährige Vertriebsleiter der Edition Peters.

Finanziert wird die Startphase des Verlages durch einen industriellen Investor. “Dessen Vertrauen in unsere Idee, sein Engagement machten es möglich, dass wir uns zum Start in allen Bereichen professionell aufstellen konnten”, meint Sebastian Bund. “In den nächsten drei Jahren streben wir einen Stamm von Abonnenten im hohen vierstelligen Bereich an.” 

Am 15. April wurde die Internetseite des neuen Verlages freigeschaltet. Der Anfangserfolg übertraf Sebastian Bunds Erwartungen – was wohl auch daran liegt, dass viele Musiker die Corona-bedingte Zwangspause zum Einstudieren neuer Werke nutzen. Der Verleger ist jedoch überzeugt, dass der Trend zur Auffächerung des Repertoires anhält. “Auch nach Corona werden sich die Musiker mit ihren Konzertprogrammen immer stärker individualisieren.”

Großes Angebot (nicht nur) für ambitionierte Amateur-Musiker

Die Zielgruppe des Aurio Verlags sind fortgeschrittene Amateure und Profi-Musiker. In Bezug auf die Schwierigkeitsskala von 1 bis 6 liegt der Großteil der Noten bei 2 bis 4. “Es wird jeden Tag klarer, dass sich vor allem ambitionierte Laienmusiker für unser Angebot interessieren, die zusammen mit Gleichgesinnten Musik machen”, so Bund. “Daneben wenden sich Musikschullehrer an uns, die Material für ihren Unterricht suchen, aber auch selbst konzertieren. Und natürlich auch die Profi-Musiker.”

Die bereits verfügbaren Ausgaben bieten Entdeckungen für Querflöte, Klarinette und Klavier. Notenbände für Geige, Cello und Gitarre sollen folgen. Zusammengestellt werden die Sammlungen von namhaften Musikern, die hier gleichsam ihre Lieblingsstücke, Geheimtipps und Empfehlungen verraten.

“Dieses Konzept hat mich sofort begeistert. Ich sehe hier wirklich großes Potenzial”, meint der Pianist Michael Korstick, der die erste Klavierausgabe kombiniert hat. “Ich kenne das Repertoire für Klaviermusik gut und weiß, wo es noch Schätze zu heben gibt. Das wird hoffentlich viele Musiker animieren, sich mit Werken zu beschäftigen, denen man unter normalen Umständen nicht begegnet wäre.” 

Abwechslungsreiches und hochwertiges Material

Jede Ausgabe enthält auf etwa 150 Seiten rund sechs verschiedene Werke. Auch Hörbeispiele zur klanglichen Orientierung sind enthalten. Unbekannte Komponisten stehen neben Raritäten aus der Feder bekannter Künstler. Jede Edition vereint unterschiedliche Epochen und Schwierigkeitsgrade. Solostücke wechseln mit Kammermusik (mitsamt den eingerichteten Stimmen), wobei die Gewichtung vom Instrument abhängt: Pianisten finden mehr Solistisches als etwa Klarinettisten. 

Die Einzelausgabe kostet 29,95 Euro, im Abo wird es günstiger. Alle Editionen erscheinen zweisprachig, auf deutsch und englisch, und können weltweit abonniert werden. 

Gedruckt wird auf hochwertigen Bögen, die von japanischer Papierkleidung inspiriert sind. Die Gestaltung der fadengehefteten Partituren verantwortet die Berliner Agentur für Grafikdesign “Editienne”. Sebastian Bund, der die Hochwertigkeit der Bände nicht genug loben kann, sorgt dafür, dass jede Papierausgabe liebevoll als Geschenk verpackt beim Empfänger landet. “Auf solche Details lege ich Wert”, lacht er. “Ein so schönes Produkt wollen wir nicht einfach lieblos in einen Karton stecken.”

Angesichts hübscher Geschenkpäckchen ist der Abonnent der digitalen Version natürlich im Nachteil. Natürlich gibt es aber auch diese Möglichkeit: eine PDF-Ausgabe, die auf allen Endgeräten läuft, ohne dass man eigens eine App installieren muss. 

Ausgaben für Flöte und Klarinette

Die Flötistin Kathrin Christians ist einer der ersten “Kuratoren” des Aurio Verlags – so nennt Sebastian Bund jene Künstler, die für die Editionen ihre Lieblingswerke zusammenstellen. Die “Opus Klassik”-Preisträgerin von 2018 wählte Raritäten von der Spätklassik bis zur Moderne. Ihr Notenband beginnt mit einer spieltechnisch anspruchsvollen Solo-Sonate des Spätromantikers Sigfrid Karg-Elert, der hauptsächlich für seine Orgelmusik bekannt ist.

Weiter geht es mit französischer Salonmusik aus weiblicher Hand: einer Serenade für Flöte und Piano von Cécile Chaminade und einem Trio von Roland Revell. Es folgt ein Flötenduo des Schubert-Zeitgenossen Caspar Kummer. Den Abschluss macht ein nicht allzu schwierig zu spielendes Concertino von Alfred de Massa, der einst unterhaltsame Hofmusik für Napoleon III., Frankreichs letzten Kaiser, schrieb. 

Für die Klarinettenausgabe wiederum steuern Pablo Barragán und Nicolai Pfeffer auch Eigenbearbeitungen bei; von Beethovens “Frühlingssonate” bis hin zu Isaac Albéniz‘ Barcarolle “Mallorca”. 

Zum Großteil bestehen die Ausgaben aus gemeinfreiem Repertoire. Experimentelles, Avantgardistisches findet sich kaum. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Sebastian Bund als Komponist selbst fest auf dem Boden der Tonalität steht.

Abzuwarten bleibt, wie die Geschäftsidee des Abonnements in diesem Fall funktioniert. Dass es etwa keine Buchclubs mehr gibt, liegt nicht zuletzt daran, dass sich viele Menschen nicht mehr festlegen wollen, in festgesetzten Intervallen etwas zu kaufen. Die Zahl der Abonnenten sinkt auch bei den meisten Zeitungen.

Ein Erfolgsfaktor für den Aurio Musikverlag ist in jedem Fall der ungebrochene Optimismus und Elan seines Gründers. “In den Bibliotheken und Archiven gibt es noch unendlich viele Schätze aus allen Epochen zu heben. Diese Werke werden die Künstler inspirieren, ihre Neugier herausfordern und Spielfreude anregen”, sagt Sebastian Bund begeistert. “Und auch das Publikum profitiert von unserer ‘Musikbibliothek der Inspirationen’, indem es im Konzertsaal auf Entdeckungsreise gehen kann.”

www.aurio-verlag.de