Orchestra | Von Klaus Härtel

Musikkorps der Bundeswehr spielt Heavy Metal

Musikkorps der Bundeswehr
Foto: Andreas Bachmann

Am 17. Juli veröffentlichte das Musikkorps der Bundeswehr ein neues Album. Dabei setzte das Orchester die gemeinsame erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Heavy-Metal-Formation U.D.O. fort. Und zumindest erfreulich, wenn nicht überraschend: Das ­Album stieg auf Anhieb auf Platz 8 der offiziellen deutschen Albumcharts ein. 

Man kennt ja diese Crossover-Projekte, die mit Namen wie “Klassik meets Rock” umschrieben werden. Die Berliner Philharmoniker auf der einen Seite machten das schon, die Rockband Metallica auf der an­deren. Auch die deutsche Metal-Legende Udo Dirkschneider (Accept) hatte diese Idee schon immer auf dem Schirm. Und diese Idee verschwand immer wieder in der Schublade. “Die Streicher hätten einfach die Power rausgenommen, die Intensität ging verloren.” Nicht dass Dirkschneider etwas gegen Streicher hätte, aber “beim Blasorchester kommt eben noch einer oben drauf. Ein Blasorchester – das ist Heavy Metal!”

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Als Udo Dirkschneider mit seiner Band U.D.O. 2008 ein neues Album aufnimmt, reist er zum Mischen nach Wilhelmshaven. In einer Arbeitspause hört er dort in einer Kirche das Marinemusikkorps. Das ist die Erleuchtung. Jetzt wird dem Mann mit der markanten Reibeisenstimme alles klar. Heavy Metal und sinfonische Blasmusik! Das ist es! Schon ein Jahr später erklingt in Tuttlingen die “Navy Metal Night” (auch auf Album und DVD erhältlich). Kurz danach steht die Zusammenarbeit fast schon wieder vor dem Aus: Das Musikkorps wird aufgelöst. Doch die harten Gitarren­riffs und Bläserklänge waren bis ins ­Zentrum Militärmusik gedrungen, vor allem die Begeisterung aller Beteiligten. Also sprang das Musikkorps der Bundeswehr ein. Die Zusammenarbeit gipfelte im gemeinsamen Auftritt beim Heavy-Metal-Festival in Wacken im Jahr 2015.  

“Alle waren angefixt!”

Nach jenem Auftritt, der sämtliche Vorstellungen noch übertraf, war allen Beteiligten klar, dass das nicht alles gewesen sein konnte. Eine zuschauerzahlentechnisch kleinere Version stieg mit der “Military Metal Night” im sauerländischen Elspe. “Alle waren angefixt”, bestätigt Musikkorps-Chef Christoph Scheibling. Und jetzt ist also das brandneue Album in den Plattenläden: “We Are One”! 

Und dabei ist diese erneute Zusammenarbeit nicht einfach nur eine Neuauflage der Wacken-Geschichte. Nein, dieses Album ist eine echte musikalische Überraschung. Denn hier trifft nicht einfach nur eine deutsche Rock-Ikone eines der besten Blasorchester. Das Musikkorps der Bundeswehr unter der Leitung von Oberstleutnant Christoph Scheibling und die Band U.D.O. mit Frontmann Udo Dirkschneider verwirklichen ein bislang so noch nicht dagewesenes – gemeinsames! – musikalisches Projekt.

15 komplett neue Songs

Musikkorps der Bundeswehr

Das Album enthält 15 komplett neue und in enger Zusammenarbeit von Rockband und Musikkorps entwickelte sowie arrangierte Songs. Am Songwriting beteiligt waren vor allem die beiden ehemaligen Accept-Mitstreiter Stefan Kaufmann und Peter Baltes sowie die musikkorpseigenen Komponisten Guido Rennert und Alexander Reuber. Das Albummotto “We Are One” wurde also in jeglicher Hinsicht verwirklicht. 

Und die Zusammenarbeit erwies sich als überaus konstruktiv. “Die Songs wanderten zwischen der Band und dem Musikkorps hin und her, bis alle Beteiligten zufrieden waren”, erklärt Scheibling. Die unterschiedlichen Bedürfnisse mussten befriedigt werden. Wenn der Gesang zu hoch, die Tonart für die Gitarre zu vertrackt oder die Instrumentenauswahl für einen ­Metal-Song zu exotisch war, wurde gefeilt und geschliffen, bis aus den Rohdiamanten schließlich Edelsteine wurden.

“Wir wollten möglichst viele verschiedene Songs kreieren. Das Album soll unsere Vielseitigkeit zeigen.” Scheibling schwärmt: “Die Komponisten und Arrangeure haben nicht nur ganze Arbeit geleistet, sondern fantastische Songs geschrieben, die aus Orchester und Band absolut alles herausholen. Musikalisch reicht der Bogen vom Speed Metal bis zum klassischen Metal-Song, von der Ballade bis zum Funkstyle. Wir haben als Orchester alles aufgeboten, was geht, sogar Solosängerin, Dudelsack, eine Drumline und orientalische Perkussions­instrumente.”

Der Tonmeister der Kölner Oper

Als Aufnahmeleiter wurde Stefan Reich, Tonmeister der Kölner Oper, verpflichtet. Der behielt zu jeder Zeit den Überblick über die rund 250 Spuren und steuerte sie in ein immer wieder faszinierendes Ergebnis. Dabei geschaffen wurde ein neuartiger, sinfonischer Metal-Stil, der auch Platz macht für sanfte, ruhige und transparente Klänge. “We Are One” ist ein aufwendig arrangiertes Konzept­album, das den erdig-roughen Sound von U.D.O. aufspürt und ihn nicht einfach “nur” mit einem 60-köpfigen Orchester erweitert, sondern dank seiner musikalisch einzigartigen Arrangements beweist, wie charakterstark und zugleich wandelbar er ist und wie gut er auch mit vermeintlichen Stilbrüchen harmoniert.

Christoph Scheibling erläutert, dass sich anfängliche Berührungsängste (die selbstredend spätestens seit Wacken ohnehin Geschichte sind) in Luft auflösten: “Natürlich haben wir hier zwei unterschiedliche Klänge. Wenn Heavy Metal und Musikkorps aufeinandertreffen, dann reibt sich was. Und das wird immer kreativer!” Würde das sinfonische Element in den Arrangements zur Geltung kommen? Defintiv. Denn weil es sich um neue Songs handelt, ging man also noch einen Schritt weiter als noch in Wacken, wo “alte” Songs um­arrangiert wurden. Scheibling findet: “Das passt wunderbar!”

“Das haben wir noch nie gemacht – also machen wir das!”

Udo Dirkschneider ist von Natur aus neugierig und liebt es, neues Terrain zu beschreiten. Das Thema “Musikkorps goes Metal” bringt seine Augen zum Leuchten, ist ihm eine Herzens­angelegenheit. Und er ist da komplett vorurteilsfrei: “Das haben wir noch nie gemacht – also machen wir das!”

Das neue Album ist jedoch nicht nur musikalisch bemerkenswert, sondern setzt auch mit seiner Kernaussage ein Statement. Jeder Titel richtet sich an globale Herausforderungen und Probleme. Die Interpreten widmen sich Themen wie dem Klimawandel (“Future is the reason why”), der weltweiten Flüchtlingslage (“Live or die”), der Bewegung “Fridays for Future” (“Children of the world”). Mit dem Titel “Pandemonium” positionieren sich die beiden Formationen zudem offen­siv gegen Rechts oder würdigen in “Rebel Town” die Leipziger für ihren Einsatz für die friedliche Revolution, den Mauerfall und die Einheit Deutschlands.

“Wir alle leben auf diesem einen Planeten. Egal wer wir sind, was wir machen und was unsere Beweggründe sind, wir alle haben auch nur diesen einen Planeten”, so Udo Dirkschneider, der die inhaltliche Idee hinter “We Are One” entwickelt hat. “Es gibt keinen Planeten B. Wenn ich die Bilder von dem ganzen Plastikmüll sehe, der in unseren Weltmeeren schwimmt, oder wenn ich in den Nachrichten von der nächsten Klimakatastrophe höre, dann frage ich mich, wie verantwortungslos und leichtfertig wir doch manchmal sind. Es geht dabei ja auch nicht nur um uns, sondern um alle anderen, die auf diesem Planeten leben; es geht auch um unsere Kinder.”

Das Album soll nicht anklagen, sondern vereinen!

Dass Udo Dirkschneider solche Themen besetzt, ist nicht ungewöhnlich. In seiner langen Karriere hat er sich stets gesellschaftspolitisch und sozialkritisch geäußert. Deshalb wirkt das auch nicht aufgesetzt, sondern authentisch. Udo Dirkschneider ist nicht irgendwer. In der Metal-Szene ist der 68-Jährige eine wirkliche Größe. “Da schaut man auf”, weiß auch Scheibling. “Der kann das beurteilen.” Auch Scheibling findet, dass das Musikkorps als Multiplikator Verantwortung trägt und solche Themen besetzen muss. “Diese sind doch unangreifbar!” Er legt aber auch Wert darauf, dass “das Album nicht anklagen, sondern vereinen soll! We are one!”

“Gleich mehrere Songs legen den Finger in die offene Wunde unserer Umweltbedrohung, sogar die Fridays-for-Future-Bewegung wird besungen. Und auch die Metal-Töne aller anderen Titel sind Heavy Arguments zu den globalen Herausforderungen und endlich die lautstarken Appelle an unser aller Verantwortung”, sieht auch Christoph Scheibling als Repräsentant der Bundeswehr die wichtige Botschaft hinter dem Album. “Noch nie war die Kritik gegenüber einem weltweiten Konsumwahn oder dem Cyber-Wahnsinn so ausdrucksstark. Noch nie waren die Weck­rufe gegen Protektionismus, gegen Nationalismus und vor allem gegen Rechts so wichtig. Orchester und Band wurden zu einem Sprachrohr für ein besseres Leben auf unserem Planeten und in unserem Land. Das geht uns alle an!”