Orchestra | Von Klaus Härtel

Shanty Play Alongs von Vahid Matejko

shanty

Wer schon mal “Inas Nacht” mit Moderatorin Ina Müller gesehen hat, kennt auch den 20 Mann starken Wilhelmsburger Shantychor “De Tampentrekker”, der für die musikalische Umrahmung sorgt. Populär ist auch die Band “Santiano”, die das Genre “Shanty Rock” zelebriert. Kurzum: Shantys sind längst nicht mehr nur “Seemannsbrauchtum”. Im Alfred Verlag sind nun mehrere Ausgaben von Vahid Matejko erschienen. Wir haben beim Arrangeur einmal nachgefragt.

Herr Matejko, das Lexikon weiß: “Shantys sind Lieder der Matrosen zu gemeinschaft­licher, harter Arbeit auf Segelschiffen vor dem Mast und lassen sich in ihrem Ursprung bis ca. 1450 zurückverfolgen.” Sie sind in Berlin geboren und leben in Windeck im Rhein-Sieg-Kreis – die See ist eher weit weg … Welchen Bezug haben Sie zu den Shantys?

Neben Auftragskompositionen und Arrangements, die ich in unterschiedlichsten musikalischen Stilen für diverse Auftraggeber schreibe und produziere, liegt eine meiner persönlichen Vorlieben im World Music-Bereich. Die Shantys haben wie meine eigenen Kompositionen auch Adaptionen von Musik verschiedener Kulturen. Bedingt ist das durch die Zusammensetzung der Matrosen, die aus unterschiedlichen Ländern als Schiffsbesatzung zusammen kamen. Sie bereisten verschiedene Kontinente und auf ihren Übersee-Aufenthalten kamen sie mit Gesängen etwa der lokalen Hafenarbeiter in Berührung. So sind die Shantys bereits eine Fusion von Musik verschiedener Kulturen. Diese Parallele zu meinen eigenen Weltmusikkompositionen verbindet mich mit den Shantys. Daher lag mir dieses Projekt sehr am Herzen. 

Was machen die Seemannslieder aus? Welchen Reiz üben Sie auf den Hörer (und den Mit-Sänger) aus?

Die Shantys oder “Arbeitsgesänge der Matrosen” wurden von den Schiffsbesatzungen bei verschiedenen Arbeitsprozessen gesungen beim Fischen, Segel setzen und Segel einholen, Ankerlichten, Be- und Entladen und so weiter. Diese Shantys klangen als Worksongs an Bord daher anders als die, die wir aus der aktuellen Unterhaltungsmusik kennen. Meist handelte es sich um Wechselgesänge, die auch bei lauten Wind- und Wettergeräuschen zwischen dem Shantyman und den Matrosen gesungen wurden. Zunächst waren sie eine rein vokale Musik. Bei ruhigeren Arbeiten oder in der Freizeit sind gelegentlich Musikinstrumente hinzugenommen worden wie Banjo, Fidel oder Mundharmonika.

Was mich an den Shantys sehr fasziniert, ist einerseits die Energie und Power, die hinter den Melodien steckt und mich immer gleich mitreißt und andererseits dieses tolle Gefühl der Sehnsucht, das in vielen Melodien enthalten ist. Auch sind die Melodien sehr eingängig, rhythmisch sehr prägnant, fesselnd und haben Ohrwurm-Charakter.

Wie haben Sie ausgewählt und wie sind Sie bei der Bearbeitung vorgegangen?

Es war dem Alfred-Verlag und mir sehr wichtig, die bekanntesten und schönsten Shantys auszuwählen. Dementsprechend haben wir Seemannslieder aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammengestellt. Es finden sich sowohl Shantys englischer, schottischer, irischer, deutscher, flämischer und spanischer als auch karibischer, amerikanischer und neuseeländischer Herkunft, die zum Teil auch Einzug in die Filmmusik gehalten haben – etwa “Die große Freiheit Nr. 7” oder “Blow the Man Down”.

Ziel meiner Bearbeitung war es, die Stücke so abwechslungsreich und interessant wie nur möglich zu arrangieren. So sind einige Stücke etwa als Big Band- oder Orchester-Arrangement geschrieben. Stilistisch habe ich die Arrangements mit Einflüssen von Rock, Funk, Latin, Flamenco, Fusion, Traditionals, Oriental und anderen Stilen arrangiert und produziert. Zum einen, um sie musikalisch interessanter zu gestalten und sie dadurch auch einem breiterem Publikum zugänglich zu machen und zum anderen, weil es der Toleranz und Offenheit der Seeleute gerecht werden soll, die sich schon zu ihrer Zeit für die fremden kulturellen Einflüsse offen gezeigt hatten.

Die kurzen Shanty-Melodien leben von den zahlreichen Textstrophen, die für die nötige Abwechslung und Spannung sorgen. Die Herausforderung beim Arrangieren dieser rein instrumentalen Shanty-Play-Alongs bestand für mich also in der gänzlichen Abwesenheit der Texte. Für viele der Play-Alongs habe ich Abwechslung und Spannung mit eigens dafür von mir komponierten, speziellen Teilen und/oder Soli geschaffen. Der mehrstimmige Chorgesang der gesungenen Shantys wurde durch mehrstimmige ­instrumentale Backings ersetzt. Desweiteren habe ich neben Standard-Combos zusätzlich bei vielen Arrangements auch Bassklarinette, Harfe, Marimbafon/Vibrafon usw. verwendet, da dies großartige Instrumente sind, die bei regulären Produktionen für Play-Alongs kaum genutzt werden. Die Harfe etwa eignet sich super für das Gefühl der Sehnsucht. Marimbafon dagegen für karibisches Flair in Verbindung mit live eingespielten Percussion wie Congas/Bongos … Und die Bassklarinette passt gut als Zusatzstimme zwischen E-Bass und Hauptmelodie mit schnellen Wechseln zwischen höheren und tieferen Lagen.

Welche Möglichkeiten haben Musikerinnen und Musiker mit den Shanty Play-Alongs?

Der besondere Reiz dieser Shanty-Play-Alongs liegt in der Möglichkeit des Zusammenspiels mit exzellenten Profimusikern, die zu den besten deutschen Studiomusikern zählen. Es ist mir ein Herzensanliegen, dass (Nachwuchs-)Musiker zu Play-Alongs mit echten Musikern und nicht mit maschinellen, computerprogrammierten Playbacks spielen können. Musikalität und menschliches Timing bleiben auf diese Weise erhalten. Mit diesen Play-Alongs haben die Musiker die Chance, sogar inklusive live Einspielungen von Orchester und Big Band Tracks als Solisten aufzutreten.

Wer hat die Stimmen eingespielt und wie kam dieses hochkarätige Line-up zustande?

Die Künstler die hier eingespielt haben, sind Prof. Heiner Wiberny am Saxofon und an der Klarinette, Trompeter Rüdiger Baldauf und Ludwig Nuss an der Posaune. Hinzu kommen Markus Wienstroer (Gitarre), Nico Brandenburg (Bass), Filip Erakovic (Akkordeon), Julia Carola Jech (Violine), Tobias Reisige (Spezialist für Pop/Rock/Jazz Blockflöte), Sarah Günnewig (Harfe), Jorge Meneses (Congaspieler/Percussionist aus Kuba), Volker Reichling an den Drums und Franz-Josef Staudinger an Marimbafon und Vibrafon. Mir war es sehr wichtig, nur die Besten zu gewinnen, um so ein tolles Mitspielerlebnis mit viel Gefühl zu den Playbacks und tolle Vorbildfunktion für die Solisten beim Hören zu kreieren. Mit vielen der genannten Musiker habe ich schon in verschiedenen anderen Produktionen von mir zusammengearbeitet. Ich bin allen beteiligten unglaublich dankbar für eine großartige Umsetzung. Ich hätte mir keine besseren Musiker wünschen können.

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