Orchestra | Von Renold Quade

“Songs of the British Isles”. Suite in vier Sätzen von Al Davis

Songs
Niarbyl, Isle of Man (Foto: Peacenik – Pixabay)

Al Davis hat “Songs of the British Isles” komponiert, ohne Frage ein Stück weit in der Tradition der Holst-Suiten. Auf der Basis von Volksliedern schuf er ein eindrucksvolles Blas­orchester­werk für die Oberstufe. Im Tutti mit kammermusikalischen und solistischen Passagen setzt seine far­bige Komposition Akzente, die die Herzen von Genre­lieb­habern höherschlagen lassen. Außergewöhnlich ist zudem, zusätzlich zur Partitur und zum Stimmensatz, die Bereitstellung eines umfangreichen EDU-Paks, eines Schulungsmaterials, das allen Instrumentalisten umfangreiche Infos zu den Songs und Tipps zur Bewältigung ihrer Orchesteraufgaben gibt. 

Der Komponist

Albert Oliver Davis, geboren im April 1920 in Cleveland/Ohio, verstorben im Oktober 2004 in Phoenix/Arizona, war zunächst Waldhornist und Pianist. Er erhielt seine Ausbildung am Cleveland Institute of Music und an der Arizona State University. Er erwarb 1943 seinen “BA in education”, war weiterhin als Musiker in verschiedenen Orchestern tätig und ergriff in diesem Jahr auch erstmalig den Dirigentenstab als Band-­Direktor der “Tombstone College Band”. Seine Ausbildung vervollständigte er 1951 mit dem “Master Degree”.

Aus seiner umfangreichen Praxis heraus wurde ihm schnell klar, dass er als umsichtiger und kluger Pädagoge sein Wissen und seine Erfahrung auch arrangierend und komponierend weiter­geben wollte. Seine eigentliche Komponistenkarriere begann folglich 1953 mit der Veröffent­lichung von “Desert Star”, seinem ersten Werk für Blasorchester. Er war aber auch ein Pionier im Konzipieren von “Musikshows für Marchingbands” in Halbzeitpausen von Football-Spielen.

Vor allem aber entwickelte er fleißig und erfolgreich Schulungsmaterial für junge Orchester. Über 30 Jahre schrieb er für die “Belwin First ­Division Series”. Umtriebig arbeitete er für Schulbands, Bigbands sowie kleine und große Orches­terformationen. Lokal oft in jahrzehntelanger Verbundenheit, zum Beispiel für das Tanzorchester Paul Burton, für die Salt River Brass Band oder das Scottsdale Symphony Orchestra. Darüber hinaus wurden etliche seiner wohl über 500 Kompositionen verlegt, unter anderem von der Ludwig Music Publishing Company. Bei Ver­öffentlichungen nutzte er auch gerne einmal das Pseudonym “Eric Hanson”. Von 1961 bis 1982 war er Leiter der Musikabteilung des Phoenix Colleges, ab 1963 Mitglied der Ver­wertungs­gesellschaft ASCAP und ab 1967 wurde er regelmäßig ausgezeichnet mit »Standard Awards« der regen amerikanischen Schreiberszene.

Autoren des EDU-Pak

Für den EDU-Pak, die pädagogische Aufarbeitung der Komposition in Form einer vierseitigen Verlagsbeilage, zeichnen seine Kollegen David Newell und Ken Mehalko verantwortlich. David Newell war 30 Jahre lang Musiklehrer an öffentlichen Schulen von Berea/Ohio, lehrte 15 Jahre lang in Teilzeit am Music Education Department der Baldwin-Wallace University, war aktiver Band-Direktor an der Ford Middle School sowie Vorsitzender der Musik- und Kunstabteilung in diesem Schulbezirk. 

Er veröffentlichte unter anderem eine heute noch beachtete Schulversion von Renaissance- und Barockchorälen bei der Neil A. Kjos Music Company. Er teilte seine Liebe zur Musik mit Ken Mehalko, ebenfalls umtriebiger Musikpädagoge und Orchesterleiter, der bis 1990 Direktor für Instrumentalmusik an der Strongsville High School, Ohio, und im hohen Alter noch Gründer einer Varieté-Show für Senioren war. 

Die Idee

Die Inspiration zu dieser Suite entsprang dem besonderen Charme der Volksmusik, so wie sie sich in Regionen der Isle of Man, Nordirlands oder Englands im frühen 19. Jahrhundert entwickelt und auch, in der Unterschiedlichkeit etlicher lokaler Versionen, immer wieder weiterentwickelt hatte. Eingedenk dieser vielen lebendigen Stimmungen und Nuancen greift Davis vier Melodien auf, die seiner Einschätzung nach sehr typisch und authentisch sind. Die Tatsache, dass er überdies auch eine “Scotch Folk Suite” und eine “Welsh Folk Suite” schrieb, unterstreicht einmal mehr seine Affinität zur Musik­kultur dieser Region.

Zum Thema “Folk Songs” weist der EDU-Pak klug auf Folgendes hin: “Volkslieder sind Lieder der ‘einfachen Leute’, keine Lieder geschaffen von ausgebildeten und professionellen Textern und Komponisten.” Die meisten Volkslieder weisen folgende Charakteristika auf: Sie verbreiten sich “Mund zu Ohr” und sind nicht von vorne­herein verschriftlicht. Sie erfahren daher ständig Nuancierungen, da jeder neue Interpret gegebenenfalls seine Persönlichkeit mit einfließen lässt. Sie reflektieren, meist ohne lange Umschweife, was die Menschen in ihrem Alltag fühlen und erleben. Da wären zum Beispiel Liebe, Umwerbung, Hochzeit, Schmerzen, Trauer, Freude, Monotonie ihrer Arbeit und Schönheit der sie umgebenden Landschaft. 

Songs of the British Isles

kurz & knapp 

  • Das Werk steht ein Stück weit in der Tradition der Holst-Suiten. Auf der Basis von Volksliedern schuf Davis ein eindrucksvolles Blasorchesterwerk für die Oberstufe.
  • Das Werk hält herausfordernde technische Aufgabenstellungen bereit. Insgesamt werden Gelegenheiten geschaffen, aus rhythmischen, melodischen und harmonischen Bausteinen tolle musikalische Momente zu formen. 
  • Die “Songs” und ihre kompositorische Verarbeitung berühren und begeistern ganz einfach aus sich heraus.

Verlegt ist das Werk im Ludwig Verlag.

Aufbau 

1. When a Man’s in Love

“Wenn ein Mann verliebt ist, da fürchtet er keine Erkältung. Er macht sich in Frost und Schnee auf einen einsamen dunklen Weg, nur der Mond zeigt sein Licht, bis er schließlich dort ankommt, wo sein ›Schatz‹ zu Hause ist. Er klopft an ihre Fenster, will nah bei ihr sein, bittet um Einlass, denn er ist nass und fühlt sich krank. Trotz Sorge, die Eltern würden erzürnen, wird er zum Kamin geführt und er küsst ihre rubinroten Lippen. Doch die Eltern zürnen, es scheint für beide ­keine gemeinsame Zukunft zu geben. Er spricht verzweifelt davon wegzugehen und nicht wiederzukommen. Sie teilt seine Verzweiflung und vor der Trennung gelobt man zu heiraten, sich einander zu versprechen, in der Hoffnung, dass die Eltern dereinst verzeihen werden. Und als Symbol ihrer Hochzeit lieben sie sich.

Soweit inhaltlich meine eher “akademische Zusammenfassung” der sechs Liedstrophen, die im poetischen Original Anfang des 19. Jahrhunderts verbal durchaus ein wenig derber, eindeutiger und erotischer waren.

Hilfreich bei den “Songs” sind natürlich die Artikulations- und Dynamikangaben

Nach kurzer, tänzelnder, aber eigentlich recht neutraler viertaktiger Einleitung mit einem hübschen Decrescendo beginnt im Holzregister der erste Aufgriff des quirligen, 16-taktigen Themas, angeführt von Piccolo und Klarinetten. Zum zweiten Teil gesellt sich sanft und harmonisch das weiche Blech dazu, ohne aber den schwungvoll agierenden Hölzern Zeichnung und Präsenz zu nehmen. Hilfreich natürlich die Artikulations- und Dynamikangaben. Sie sind im ganzen Werk wohl gewählt und sehr präzise und somit natürlich extrem dienlich für Abstimmung und Transparenz. Ab Takt 27 verstummen die Hölzer erst einmal und tänzerische Virtuosität wird nun vom Blech, die Kornette ausgenommen, erwartet, bevor der kleine “Nachsatz” des Themas im ­Tutti ausklingt. 

In neuer Tonart, auf Basis F, kommt nun aber das Blechregister definitiv federführend zum Zuge, wobei die Saxofone die Hornpassagen in den überleitenden Takten stützen. Zu diesem leicht improvisatorischen Wiederaufgriff des Themas gesellt sich pointierend das hohe Holz ab Takt 37 wieder dazu, und im vollen Tutti wird in Takt 44 ein klarer Zwischenschluss herbeigeführt.

Eine getragene Melodie in den weichen Mittelstimmen prägt zunächst das Geschehen

Nun wechselt erneut die Tonart und in einem kurzen, zweitaktigen Zwischenspiel wechselt dann auch der Charakter vom tänzerischen Zweiertakt zum eher erzählenden Vierertakt. Man braucht vielleicht eingangs ein wenig Fantasie, aber die melodischen Verwandtschaften des vermeintlich Neuen lassen sich nicht leugnen. Eine getragene Melodie in den weichen Mittelstimmen prägt zunächst das Geschehen, wird aber schon ab Takt 55 keck vom hohen Holz durchbrochen. Im Weiteren dominiert das Tutti, setzt mit vielfältigem motivischem Spiel mun­tere Akzente und führt zu einem weiteren, durchaus bestimmenden Zwischenschluss.

Ein klassisches “da capo”, inklusive Einleitung, leitet uns zurück zum Beginn. Die Coda wird ohne Tonartwechsel unmittelbar vor dem ehemalig zweiten Themenaufgriff erreicht. Sie präsentiert im vollen Tutti, mit auffallenden Nuancen, im Zweiertakt nun weiter breit erzählend, die motivischen Substanzen und endet durchaus dramatisch und bestimmend im Fortissimo. 

Eine Bemerkung wert ist auch der interessante Mix der Tonalitäten in diesem ersten Satz. Augenscheinlich startet das Werk zunächst in C-Dur (später F-Dur, später B-Dur), aber es wird meist zusätzlich ein »B« (ein Es, ein As) vorgeschrieben. Diese kleine Septime wandelt den vorrangigen Dur-Charakter in den Klangcharakter von »mixolydisch«, einer mittelalterlichen Kirchentonart, die ja ein Dur-Vorläufer ist. ­Diese ­tonale Unentschlossenheit ist übrigens nichts Ungewöhnliches in der Musik jener Tage und ­jener Region. War doch in diesen Zeiten der Dudel­sack eines der gebräuchlichsten Volks­instrumente vor Ort. Dieser Tonfolge mit kleiner Septime lag der »Chanter«, die tongebende ­Flöte, zugrunde.

2. Rolling in the Dew

In einem Buch mit Kinderreimen aus dem Jahr 1842 fand sich dieses Gedicht mit neun Strophen. Aus dem Jahr 1719 ist zudem auch eine Version mit “Erdbeerblättern” anstatt “im Tau zu spielen” überliefert. Der EDU-Pak beschreibt den Inhalt des Liedes kurz und knapp wie folgt: “Es ist ein Werbelied, in dem eine junge Milchmagd ihrem werbenden Freier erläutert, dass ihr wunderbarer Teint und ihre lockigen Haare daher ihr eigen sind, weil sie täglich im Morgentau die Kühe melkt.”

Interessehalber habe ich eine populäre Text­version einmal recherchiert und möchte schon bemerken, dass die originale Wortwahl, bei allem Respekt und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es natürlich etliche Versionen des Liedes gibt, wohl heutzutage kaum “politisch korrekt” darzustellen wäre. Jede Strophe beginnt mit einer Frage eines Herren, verbunden mit einem Kompliment an die süße und hübsche junge Magd mit ihren rosigen Wangen und ihren lockigen schwarzen Haaren. Die Fragen sind in ihrer Abfolge zumindest latent anzüglich oder zumindest leicht kompromittierend: Wohin gehst du, soll ich mit dir gehen, angenommen ich sollte dich hinlegen, angenommen ich sollte dein Kleid beschmutzen, angenommen du solltest ein Kind haben, was würdest du für ein Leinenlaken machen, was würdest du für eine Wiege tun, angenommen ich würde zur See fahren, angenommen ich würde über Bord gehen?

Die freund­liche Magd lässt sich aber nie aus der Reserve locken und ist dabei auch nie um eine unaufgeregte Antwort verlegen, die stets freundlich und immer mit der gleichen Phrase endet, die be­kundet, dass ein Bad im Tau die Milchmägde so “fair” hat werden lassen. »Fair« ist dabei zu verstehen im Sinne von süß, proper, rein, liebenswert, ehrenvoll, vertrauenswürdig. In der neunten Strophe, immerhin, lässt sie den Teufel dann aber auch gleich mit über Bord gehen. 

Ein klarer Registerwechsel wird in den “Songs” ab Takt 27 vollzogen

Mit einer komprimierten motivischen Zusammenfassung des Liedes in der viertaktigen Einleitung beginnt dieser ruhige zweite Satz im ­Andante. Ein Andante, das sich im weiteren musikalischen Verlauf gerne als dehnbare Grundidee erweist. Eine Solo-Oboe eröffnet über zwei Takte, wird dann von einer Querflöte, unterstützt vom Klarinettenregister, abgelöst und ein woh­liges Tutti, im Forte beginnend, decrescendo sich verdünnend, phrasiert den Einstieg entspannt ab.

Die Hörner übernehmen ab Takt 5 im Unisono die Melodieführung und bleiben acht Takte lang das bestimmende Moment. Das tiefe Blech begleitet einfühlsam, die Klarinetten und Saxofone zunächst auch, wobei diese aber über ihre begleitenden Funktionen hinaus die Melodie ge­legent­lich auch ein wenig mittragen. Ab Takt 13 spielt die Musik nun wieder ausschließlich in den Hölzern, wobei die Oboe ihre solistisch führende Rolle genüsslich wieder aufnimmt.

Ein klarer Registerwechsel wird ab Takt 27 vollzogen. “Poco crescendo e accelerando” baut das komplette Blechregister einen Spannungsbogen auf, der nicht zu opulent, aber durchaus bestimmend die Stimmung anheizt. Er mündet aber schon kurz vor Ende der kompletten Phrase in ein Empfinden von Milde und Güte, welches die Aufregung elegant wieder entspannt. Ab Takt 29 übernehmen erneut die Hörner das ­Thema. Im weiteren Verlauf, sich allmählich steigernd, baut sich mit einem Crescendo ein kleines Orchestertutti auf.

Die abschließende Fermate dieser eher angeregten Passage wird, den kleinen dramatischen Ansatz nicht zu weit treibend, erst auf einem sich bereits beruhigenden Decrescendo erreicht. Das unterstreicht wohl einmal mehr die sanftmütige Klugheit der Magd, die sich auch musikalisch offensichtlich zu keiner Zeit übergebührlich provozieren lässt. Ab Takt 36, mit kurzem Crescendo, erklingen ganz alleine auf weiter Flur noch einmal die Hörner mit einem entschiedenen Statement (vielleicht kurz “der Teufel”), bevor weiche und sanfte Klänge in tiefen Lagen diesen Satz verklingen lassen. Die “fairen” letzten Tautropfen perlen ab.

3. The Milking Song & In the Month of Sweet May

Natürlich stieß ich auch hier auf verschiedenste Textnuancen. Besonders die Fülle der “Mai-­Varianten” war natürlich üppig. Im Großen und Ganzen läuft es aber darauf hinaus, dass der Gesang der Magd die Kuh, die Qualität deren Milch und Gottvater, Sohn, heiligen Geist und die Gottesmutter Maria lobt – letzten Endes mit dem Ziel, dass die Kuh recht viel Milch geben möge.

Dem dritten Satz liegt ein einfaches, beschwingtes, walzerhaftes Lied von 26 Takten zugrunde. Es beruht auf einem eher simplen, im Grunde banal auf- und absteigenden zweitaktigen Motiv, dass über viermal vier Takte melodiöse Zusammenhänge formt. Bemerkenswert, dass in dieser konzertanten Komposition zunächst das Tongeschlecht »Moll« verwendet wird. Es ist wohl eine bewusst getroffene künstlerische Entscheidung des Komponisten, da die Liedvorlage eigentlich rein in “Dur” gehalten ist. 

Die Einleitung nimmt den Schwung des auf­taktigen Achtelmotivs und zaubert kleine Klangpyramiden auf Basis von f-Moll, die zudem dynamisch unterstützt auf- und abschwellen. Zu Takt 7 präsentiert das Altsaxofon die ersten vier Takte der traditionellen Melodielinie, die sich aber sofort wieder in die Motivik der Einleitung verspielt. Zum weiterführenden Aufgriff in Takt 17 das gleiche Bild, fortgesponnen zudem noch von einer Oboe und dann in der Fortführung stabilisierend aufgefangen von einem Tutti, das ohne Kornette und hohes Holz auskommt. Ähnlich gedacht, aber viel sparsamer instrumentiert, der nächste Melodieaufgriff ab Takt 32. Die acht­taktige Schlusswendung gehört dann, akkordisch ausgesetzt, über die ersten vier Takte dem Posaunenregister mit Tuba, angeführt vom me­lodie­führenden Eufonium. Das Saxofon übernimmt, zunächst lediglich von Querflöten und Oboe flankiert und in den letzten Takten gestützt vom weichen Blech, solistisch die abschließende viertaktige Schlusswendung.

Kurz angezuckert von den Klarinetten, lässt eine leise Tuttifermate den Satz ausklingen

Ab Takt 48, nun in g-Moll, folgen muntere, improvisatorische Umspielungen der Melodie. Eufonium, Kornet und Hörner werden offensichtlich solistisch eingesetzt, in den Tuttipassagen kommen den verschiedensten Instrumentalgruppen in motivischer Verspieltheit immer wieder melodische Führungsaufgaben zu. Das Tutti im Forte zu Takt 71 beruhigt wieder, modulierend und decrescendierend hin zu Takt 75.

Nun folgt in Es-Dur ein fast stampfendes Zwischenspiel, ein überleitender Aufbruch, “a little faster”, der einen neuen Charakterzug der Liedverarbeitung einläutet. Klarinetten und Kornette, dann wieder Klarinetten und Hörner, tragen vergleichsweise schnörkellos und fließend die Melodie­linien bis hin zum Tutti in Takt 103. Die meist ostinaten Begleitfiguren darunter, im Einklang mit der kleinen Trommel, treiben auf ihre Art und Weise das Geschehen an. Nach Beendigung der decrescendierenden Fermate in Takt 107 meldet sich ganz solistisch die Oboe zum letzten Aufgriff der kleinen viertaktigen Grundmelodie noch einmal zu Wort. Im Tempo nun wieder beruhigter und bis in den Schlusston ledig­lich eskortiert von weichen Posaunen und weichen Tiefklingern. Kurz angezuckert von den Klarinetten, lässt eine leise Tuttifermate (ohne Kornette, Oboe und Piccolo) den Satz ausklingen. 

4. The Bonnie Labouring Boy 

Eines Morgens im blühenden Frühling hörte man eine hübsche Maid klagen, wie grausam doch ihre Eltern wären. In Johnny, den jungen Knecht des Hofes, der fleißig und treu schon über ein Jahr den Hof mit bestelle, in diesen Johnny hatte sie sich verliebt. Doch den Eltern missfiel die ­junge Liebe und sie wollten den Jungen gar in ein fremdes Land schicken. Doch da hatten sie die Rechnung ohne ihre entschlossene Tochter gemacht, die in der fünften Strophe dem Sinne nach wie folgt formuliert: »Sein Haar ist schwarz wie der Flügel des Raben, seine Augen sind schwarz wie Scheiße. Sein Gesicht ist das schönste, das ich je gesehen habe. Er ist männlich, ordentlich und gutaussehend, seine Wangen sind wie der Schnee. Und trotz meiner Eltern werde ich mit Johnny meinen Weg gehen. “Oh, my bonny labouring boy” – Oh, mein hübscher “fleißiger” Junge. 

Dem vierten Satz liegt ebenfalls ein beschwingtes kleines Lied zugrunde, wieder auf viermal vier ähnlichen Takten basierend, diesmal aber im tänzerisch flotten Sechsachteltakt. Tenor- und Basspartie eröffnen, geformt aus dem Kern­motiv des Liedes, in der Einleitung mit einem zweitaktigen Ruf. Die Kornette und hohen Hölzer führen den Ruf umgehend weiter fort. In Takt 5 starten die Klarinetten im Unisono den ersten Themenaufgriff. Dieser ist zu Beginn nur begleitet von der kleinen Trommel, ab Takt 13 gesellen sich einfache Bassbewegungen und Bordun-Klänge hinzu. Der zweite Aufgriff ab Takt 21 behält die Bässe und die kleine Trommel weiter im Rennen und setzt zudem die Hörner in gleicher, federnder Funktion harmonisch noch mit dazu. Insgesamt fällt diese Passage aber deswegen auf, weil das dominierende, darüberliegende Holzregister die Melodieführung und quirlige Achtelumspielungen bunt vermischt. Ab Takt 29 geben die Tenöre schmückend noch eine Gegenmelodie dazu.

Die Melodieführung in den “Songs” rutscht in die höheren Register und das Ganze wirkt strahlender

Das volle Tutti ab Takt 37 lässt Kornette und Posaunen gemeinsam einen durchaus neuen, aber substanziell verwandten Gedanken präsentieren. Ab Takt 53 weht wieder frischer Wind durch das Orchester. Ein Tonartwechsel und neue Instrumentations- und Durchführungs­gedanken prägen das Geschehen. Die Saxofone legen mit viertaktigen Melodiebögen vor, die Klarinetten ergänzen nur einen Takt später und vollenden wirkungsvoll mit auffälligem Laufwerk. Bässe und Hörner verrichten derweil mit unauffälligen Standards ihren wichtigen Dienst.

In den nächsten 16 Takten ab Takt 70, nun wieder im Tutti, ist das Tenor- und Bassregister melodie­führend gefordert, während die Kollegen weiter, quasi improvisatorisch begleitend und umspielend, aus der bekannten Motivik schöpfen. Ein weiterer Tonartwechsel ab Takt 86 läutet die letzte Runde ein. Die Melodieführung rutscht in die höheren Register und das Ganze wirkt, im gesunden Forte mit Crescendo-Effekten, durchaus strahlender. Ein kurzes “molto ritardando” bremst die energiegeladenen Bewegungen dann aber überraschend schnell ein. Wenige strahlende Akkorde beschließen recht nüchtern, aber in kerniger Ehrlichkeit die Suite. 

Instrumentation

Das Werk ist zu Recht in der Oberstufe angesiedelt. Da sind zum Beispiel etliche herausfordernde technische Aufgabenstellungen, aber Technik alleine erschafft noch keine gute Musik. In Verbindung mit umsichtiger Dynamik und gut durchdachter Artikulation werden insgesamt dankbare Gelegenheiten geschaffen, aus rhythmischen, melodischen und harmonischen Bausteinen tolle musikalische Momente zu formen. Diese Vor­gaben dann überzeugend interpretieren zu können, macht sicher den wesentlichen Reiz des Prädikats “Oberstufenkomposition” aus. Die Attrak­ti­vi­tät des Werks liegt für mich auch in der variantenreichen Instrumentation, die gekonnt mit vielen Besetzungskombinationen innerhalb eines wohl ausgebauten Blasorchesters spielt. 

Al Davis
Niarbyl, Isle of Man (Foto: Peacenik – Pixabay)

Fazit

Die “Songs of the British Isles” sind konsequent sinfonisch auskomponiert. Sie verlieren dabei nie den Charme ihrer Ursprünge, den Charme von einfacher Volksmusik. Zudem, die Texte der Lieder im Sinn, lassen sich definitiv Rückschlüsse da­rauf ziehen, dass die kompositorische Dramatik an den Textaussagen Anteil nimmt. Dieses Stimmungsbild von den britischen Inseln bedient sich im Übrigen nicht an allseits bekannten Melodien, an Gassenhauern des Genres, die man weltweit ohnehin auf dem Schirm hat. Gerade das tut dem Werk aber nun wirklich keinen Abbruch. Die “Songs” und ihre kompositorische Verarbeitung berühren und begeistern ganz einfach aus sich heraus.