Brass | Von Klaus Härtel

Was ist eigentlich der Büchel?

Büchel
Fotos: Archiv Dr. Yannick Wey

Balthasar Streiff und Yannick Wey haben durch ihr Büchel-Projekt das fast vergessene traditionelle alpine Instrument wieder einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Zwei Alben “BüchelBox” und “BüchelBox 2” sowie die dazugehörenden Notenhefte enthalten eine umfangreiche Edition von ein- bis vierstimmigen Stücken für Büchel. In verschiedenen Regionen der Schweiz, seit rund 200 Jahren dokumentiert, steht der Büchel historisch dem Alphorn nahe. Allerdings geriet das Instrument seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beinahe in Vergessenheit. Wir sprachen nun mit Balthasar Streiff und Yannick Wey. 

Das Online-Lexikon weiß: “Der Büchel ist eine Naturtrompete und gehört nach der Tonerzeugung zu den Blechblasinstrumenten wie das verwandte Alphorn. Im Gegensatz zum Alphorn ist die meist hölzerne Röhre in drei nebeneinander liegende Sektionen gefaltet, die Länge des Instruments beträgt dadurch nur etwa 90 Zentimeter.”

Die erste Frage scheint mir ob des Wikipedia-Eintrags fast banal, aber ist wohl doch gar nicht so leicht zu beantworten: Was ist überhaupt ein Büchel?

Yannick Wey: Die Antwort kann man auf zwei Arten einbetten. Volksmusikgeschichtlich ist der Büchel die Variante eines Alphorns. Beide wurden historisch nicht immer unterschieden. Man kennt das Alphorn: Ein sehr langes Instrument. Der Büchel hat das Rohr quasi zweimal gewunden. Instrumentenkundlich gehört der Büchel ins Feld der Holztrompeten. Von der Form her ist er trompetenförmig und nicht hornförmig.

Balthasar Streiff: Die Diskussion, ob der Büchel eher Trompete oder Horn ist, ist in der Schweiz recht sensibel. Die einen finden, es sei keine Trompete. Das Mundstück ist trompetenhaft und der Konus ist hornartig. Aber es ist nicht ganz klar zuzuordnen. Die Spielweise ist eher trompetenähnlich. Auch wenn das einige traditionelle Büchler nicht so gerne hören. 

Wey: Ein Volksmusik Forscher aus dem 19. Jahrhundert hat einmal gesagt: “Der Büchel ist nicht ganz Trompete und vollends gar nicht Alphorn.”

Der Lexikoneintrag legt nahe, dass der Büchel ein Alphorn ist, das jemand in eine kompaktere Form gebracht hat.

Streiff: Man muss sich ja vorstellen, dass ein Alphorn eigentlich ziemlich unpraktisch ist. Früher waren sie oftmals viel kürzer. Die musste man transportieren, um nach den Tieren zu rufen. Und es gab nichts Einheitliches. Das wurde erst während des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erreicht. Erst da wurde es einheitlich geblasen. Es war aber damals eine recht offene Bezeichnung. 

Wey: Etymologisch ist das nicht so ganz klar. Auf Umwegen könnte es auch vom lateinischen “Bucina” kommen. Das ist die Bezeichnung für die lange Trompete im römischen Militär. In romanischen Sprachgebieten gibt es auch diverse Sprachverwandtschaften. Die meisten sind wahrscheinlich etymologisch miteinander verwandt. In einem Artikel von Ernst Hein aus dem Jahre 1881 ist zu lesen, dass einer der ersten Handwerker, der diese Instrumente gebaut hat – Alois Marti – diese Alphörner so gebaut hat, dass sie einfacher zu transportieren waren. 

Der Büchel ist ein Schweizer Instrument. Im Ausland denkt man bei einem Schweizer National-Instrument eher ans Alphorn. Ist der Büchel dann auch ein National-Instrument?

Streiff: Der Büchel ist viel schwieriger zu spielen und es gibt kaum Literatur dazu. Außerdem gibt es nur noch sehr wenige Büchel-Spieler. Das Alphorn ist einfacher herzustellen, auch von der Stimmung. Und der Büchel wurde da einfach beiseite gelassen.

Wey: Und er ist einfach weniger spektakulär. Historisch gesehen hat das Alphorn eben auch sehr viel mit dem Tourismus zu tun. Diese Konzeption des Alphorns als Nationalinstrument hat damit zu tun, dass man es für die Touristen gespielt hat. Es war nicht nur eindrücklich zu hören, sondern auch toll anzuschauen. Ob damals auch öfters Büchel gespielt wurde – vermutlich schon. Der Name “Büchel” taucht zwar hier und da mal auf im 19. Jahrhundert, aber er hat diese Entwicklung zum Emblem der Schweizer nicht eingeschlagen.

Wey Streiff

Balthasar Streiff und Yannick Wey

Streiff absolvierte Studien an der Jazzschule Luzern (Trompete, Gesang), Hochschule für Gestaltung Basel (Kunststudium) und Schola Cantorum Basiliensis (Nachdiplomstudium Naturtrompete). Mit den Formationen Stimmhorn, Hornroh Modern Alphorn Quartet, Alpin Project, in Soloprogrammen und in zahlreichen Produktionen an Theater, Film und TV lotet er seit 30 Jahren diverse musikalische Ideen und Richtungen aus. Der Büchel war ihm dabei immer eine Herzensangelegenheit.

www.streiffalphorn.ch

Wey studierte Trompete in Zürich und Musikwissenschaft in Innsbruck. Seit 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Luzern und arbeitet in der Forschung zu den Themen Alphorn, Jodeln, Musikpädagogik und Digitalisierung in der Musik. Er spielte klassische Trompete und Büchel in diversen Formationen und tritt regelmäßig solistisch und in Kammermusikformationen auf.

Was war der Einsatzbereich des Büchel in seiner Ursprungsform? Als Signalhorn für Hirten?

Streiff: Das eine ist natürlich die Signalwirkung, man ist nicht so allein auf der Alm. Man kann auch heute noch darüber kommunizieren. Und dann kann man die Tiere rufen. Die kommen sofort. Sie lernen beim ersten Mal, dass sie dann gemolken werden oder es Salz zu lecken gibt. Historische Bilder zeigen auch, dass er zur Unterhaltung oder zum festlichen Gebrauch eine Verwendung gefunden hat.

Beim Alphorn – als es zum National-Instrument erkoren wurde – wollte man eigentlich temperiert spielen. Die sogenannten “schrägen Töne” wurden zwischenzeitlich sogar “verboten”, weil sie nicht dem heutigen Klangbild entsprechen. Eigentlich kann man überspitzt sagen, dass klassische Musik mit dem Alphorn gar nicht geht, vielleicht eher zeitgenössische Musik. Es finden sich zwar immer Wege oder Kompromisse, aber eigentlich ist es so, dass das Alphorn oder der Büchel nach unseren Hörgewohnheiten immer “falsch” klingen – aber tatsächlich tönen sie rein. 

Was ist denn heute noch am Büchel so faszinierend? Und was ist für Sie beide das faszinierende, um sogar zwei CDs damit einzuspielen?

Wey: Für mich war eine motivierende Sache bei den CDs und Noten, dass es einfach nichts dergleichen gab. 2020 hatten wir die erste CD überhaupt gemacht, die nur dem Büchel gewidmet ist. Spannend, dass so etwas heutzutage überhaupt noch geht. Bei den Recherchen für die erste Produktion hatte ich nicht erwartet, dass sich solch große Welten auftun, dass es sogar für eine zweite CD reicht.

Büchel Box1

Streiff: Die Exotik im eigenen Land ist sicher ein Faktor. Es gibt ganz viele Leute, die noch nie vom Büchel gehört haben. Auch die spezielle Spielweise, die eben doch 200 Jahre in Ruhe gelassen wurde, ist spannend. Die Alphornmusik wurde von der temperierten Skala geprägt. Der Büchel geriet – »zum Glück« – in Vergessenheit und hat sich einige Eigenheiten bewahrt, die man heute vielleicht eher der zeitgenössischen Musik zuschreiben würde. Vor allem, was Klang und Intonation betrifft. Durch diese extreme Reduktion – die meisten Stücke sind ein- oder zweistimmig – hört man plötzlich viele sehr kleine Details.

Büchel Box 2

Wenn immer alles voll ist, ist es unter Umständen viel schwieriger, Feinheiten herauszuhören. In dieser Produktion steckt einerseits die Sammlung, das Archiv, die Recherche. Und andererseits wollen wir die Leute motivieren, selbst wieder zu spielen. Deshalb veröffentlichen wir auch Noten und Texte. Der dritte Aspekt ist der künstlerische. Es handelt sich im Gesamten um fast 100 kleine Stücke, die vielleicht schnell monoton wirken könnten. Eine gewisse Dramaturgie in der Zusammenstellung soll aber dazu führen, dass man die Musik auch gerne anhört. Die Aufnahmen sollen ja nicht in einem trockenen Archiv einfach verstauben. Es soll auch ein musikalischer Genuss sein.

Die historische und die künstlerische Betrachtung schließen sich ja nicht aus, oder?

Streiff: Absolut. Auf beiden CDs befinden sich auch neue Werke des Münchner Komponisten Georg Haider – zeitgenössisch und zum Teil hochkomplex.

Sie haben schon angedeutet, dass der Büchel etwas schwerer zu spielen ist als das Alphorn. Was ist daran denn so schwer? 

Streiff: Die Tonerzeugung ist schon kompliziert. Für Trompeter ist es einfacher als für Posaunisten. Man muss den Luftstrahl ziemlich zentrieren können. Man spielt nicht einfach wie bei der Ventiltrompete die unteren fünf, sechs Obertöne, sondern da beginnt es dann erst, ähnlich wie bei der Naturtrompete. Es braucht einfach viel Übung und einen guten Ansatz.

Wie ist denn das Interesse, den Büchel zu spielen?

Streiff: Das Interesse ist da. Aber er ist nun mal ein Instrument, mit dem man sich intensiver beschäftigen muss. Ich versuche, die Leute für B- oder C-Büchel zu begeistern. Früher gab es noch höhere Instrumente mit Cis- oder D-Stimmung. Das ist aber sehr anstrengend zu spielen. 

Büchel
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Wie würden Sie die Zukunft des Büchel einschätzen?

Wey: Es gibt nicht so viele historische Quellen. Die paar, die es gibt, zählen wir in unseren Texten auf. Aber vieles läuft über Neukreationen oder Feldforschung. In der Geschichte des Alphorns gibt es Zyklen. Immer wieder stirbt es fast aus und erlebt dann wieder eine Renaissance. Momentan ist es wieder auf einem Hoch. Ich kann mir gut vorstellen, dass das beim Büchel ähnlich läuft. Viele Leute erfahren erstmals davon und einige beginnen sogar, zu spielen. Es kann aber auch sein, dass das Instrument irgendwann wieder fast in Vergessenheit gerät. Und spätestens dann ist es ganz gut, dass es Produktionen und Sammlungen von »früher« gibt – wenn es mit den Zyklen so weiter geht.

Streiff: Ich denke, dass der Büchel kaum solch eine Popularität wie das Alphorn erreichen wird. Dazu ist er einfach zu schwierig zu spielen. Für den Büchel muss man sehr regelmäßig trainieren. Aktuell geht es erst einmal um das Entdecken des Instruments. Man kann damit in die Berge gehen und es dann dort hören oder spielen. Allein dieses Erlebnis! Man muss viel ausprobieren und auch eine gewisse Akzeptanz für die schrägen Töne mitbringen. Wir sind gerade dabei, den Büchel mit der Orgel zu kombinieren, das passt recht gut zusammen. Wir probieren viel aus. Das Gute wird erhalten bleiben und das Schlechte in Vergessenheit geraten.

Und jede “Büchelbox” steht für die Erhaltung des Guten, richtig?

Streiff: Wir hätten nicht damit gerechnet, dass durch die Recherchen zur ersten »Büchelbox« so viele neue Dinge auftauchen. Es ist durchaus möglich, dass immer wieder neue Türen aufgehen. Manchmal schreibt uns jemand seine Meinung und zeigt uns eine neue Sichtweise auf. Ein wichtiges Thema sind auch die Büchel-Bauer. Es gibt leider sehr wenige und die, die es gibt, sind in der Regel nicht mehr die jüngsten. Das macht es sehr schwierig, wirklich gute Instrumente zu bekommen. Aber es gibt es auf jeden Fall einige Themen, die man mit weiteren Boxen verarbeiten könnte.

Büchel
Verschiedene Ausführungen von Alois Marti (aus dem Jahr 1881)