Brass | Von Klaus Härtel

Die Tubistin Carol Jantsch

Carol Jantsch
Foto: Rob Shanahan

Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass Carol Jantsch in Markneukirchen den Inter­nationalen Instrumentalwettbewerb gewonnen hat und damit der Leserschaft dieser Zeitschrift erstmals aufgefallen ist. Kurz danach wurde sie bereits Solo-Tubistin des Philadelphia Orchestra. In »Philly« erwischen wir sie dann auch endlich zum Video-Interview. 

So leicht war es nicht, Carol Jantsch zum Interview zu erwischen. Sie ist viel beschäftigt. Konzerte mit dem Philadelphia Orchestra hier, Instrumentalunterricht dort. Und die Freizeit verbringt sie eben am liebsten mit der anderthalbjährigen Tochter. Und dann klappt es doch, sie erscheint um 10 Uhr Ortszeit pünktlich auf dem Bildschirm. Die Instrumente sind im Hintergrund drapiert. Sie nimmt schnell noch einen Schluck aus der Wasserflasche, weil über Nacht ihre Stimme ein bisschen auf der Strecke geblieben war. Es kann losgehen. Und dann gibt sie gleich zu Beginn des Gesprächs zu, dass sie auch die vorab geschickten Themen etwas zögern ließen. Eines, um genau zu sein.

Das Geschlechter-Thema nervt. Sagt sie zwar nicht so deutlich, aber man merkt es ihr an. Sie kann es ja verstehen. Irgendwie. Und kann nicht so genau erklären, warum. Klar, die Tuba ist immer noch eine Männerdomäne. Und ja, die Tuba wird in den Musikschulen nicht zuerst von den Mädchen gewählt. Und sie war nun einmal die erste Frau, die einen solch exponierten Job als Solo-Tubistin ergattern konnte. 

Carol Jantsch wählte die Tuba bereits mit neun Jahren über den Umweg Eufonium. Auslöser war letztlich das Angebot während eines Ferienlagers. Sie spielte da schon drei Jahre Klavier, wollte aber, entsprechend der Ankündigung des Kurses, “Instrumente entdecken”. 

Carol Jantsch mochte “große Instrumente”

“Ich fühlte mich von allem angezogen, was groß war”, lacht sie. “Ich mochte die Harfe. Aber ich hätte mir die Fingernägel schneiden müssen, und das wollte ich nicht, als ich neun Jahre alt war… Ich mochte auch das Fagott, aber dafür war ich wohl zu klein und man zeigte mir die Oboe. Aber Oboe wollte ich nicht.” In einem kitschigen Hollywood-Streifen würde an dieser Stelle ein goldenes Blechblasinstrument im Rampenlicht erstrahlen: “Und dann sah ich das Eufonium!” Carol Jantsch strahlt tatsächlich, als sie an diese wegweisende Begegnung zurückdenkt. “Ich war das einzige Kind, das dieses In­strument wählte und es fühlte sich gut an, weil ich mein eigenes Ding hatte. Ich fand das cool!” Sie lacht. 

Carol Jantsch
Foto: Bernardo Fuller

Das, was sie damals noch als »Laune einer Neunjährigen« abtat, wurde ihr mit 14 Jahren “richtig ernst”. Nachdem sie nämlich zur Tuba gewechselt war, besuchte sie das renommierte Kunstinternat Interlochen Arts Academy, bevor sie dann an der University of Michigan studierte. Niemals, greift sie das Geschlechter-Thema auf, habe sie jemand zur Piccoloflöte drängen wollen. 

“Das lag sicher auch daran, weil ich gut war«, denkt sie. “Niemand hätte behaupten können, dass ich nicht Tuba spielen könne – denn ich konnte es ja!” 

Die “Gentlemen of the Brass”…

Sicherlich sei das tiefe Blech immer noch von Männern dominiert. Auch und vor allem in den USA. Es gebe “einige nervige Dirigenten, die darauf bestehen, ‘Gentlemen of the Brass’ zu sagen, weil sie denken, dass sie sich damit gut anhören… Es ist einfach lästig.” Sie schaue deshalb gerne beispielsweise nach Japan, Norwegen oder Großbritannien, wo es viele Tuba-Spielerinnen gibt. “Deren Kapellen und Orchester kommen damit klar.” Witzigerweise kamen die “Frauen-Fragen” erst mit dem Gewinn der Orchesterstelle.

Sie sagt tatsächlich “funny” – doch lachen kann sie darüber nicht. Natürlich war das damals, vor fast 20 Jahren, eine kleine Sensation, dass sie als erste Frau einen solchen Job bekam. Dass man dazu Fragen beantwortet – geschenkt. “Aber viele Interviews habe ich allein aufgrund der Tatsache geführt, dass ich eine Frau bin, die Tuba spielt. Nichts für ungut, aber viele Journalisten fragten nur: ‘Oh, erzähl mir von all deinen Kämpfen und überwundenen Hindernissen!’ Das war so anmaßend und nervig. Ich sagte nur: ‘Nein, das tue ich nicht. Ich hatte nette Leute um mich herum und Sie versuchen nur, diesen Artikel zu schreiben, den Sie bereits in Ihrem Kopf über mich haben!'”. 

Sie lacht. Sie will eben einfach nicht auf das eine reduziert werden. “Wenn man Luft bewegen kann, kann man jedes Blasinstrument spielen, verstehst du?” Carol Jantsch hat bisweilen das Gefühl, in eine Vorbildrolle hineingedrängt zu werden, die sie gar nicht haben will. “Ich bin gerne Vorbild – aber ich möchte das sein, weil ich gut Tuba spiele und nicht, weil ich eine Frau bin!”

“Jeder Job ist das, was du aus ihm machst.”

Ihre Popularität nutzt sie, um die musikalische Bildung in ihrer Gemeinde zu stärken. So grün­dete sie 2018 die Non-Profit-Organisation “Tubas For Good”, die Instrumente für Schüler im Philadelphia School District zur Verfügung stellt. Hier und durch das All-City-Programm des Philadelphia Orchestra unterrichtet die Tubistin Musikschüler aus dem Bezirk. Seit 2017 ist sie Gastgeberin des jährlichen “PlayIN”, einer kostenlosen Gemeinschaftsveranstaltung, bei der Spieler aller Alters- und Könnensstufen eingeladen sind, als großes Tuba-Ensemble auf der Bühne der Verizon Hall aufzutreten. “Ich tue die Dinge, die ich tun kann”, erklärt sie. “Dinge, die mich er­füllen, zufrieden und glücklich machen. Jeder Job ist das, was du aus ihm machst.”

Carol Jantsch ist davon überzeugt, dass Musizieren auch und vor allem für Kinder wichtig ist. “Es gibt so viel, was man lernen kann”, findet sie. “Im Grunde genommen ist das Erlernen eines Instruments wie das Erlernen des Lernens. Man bekommt Techniken an die Hand, lernt Fleiß und Beständigkeit und all diese anderen Lebenskompetenzen, die man überall gut gebrauchen kann, egal ob in der Musik oder in anderen Bereichen.”

Tuba ist ein körperlich anspruchsvolles Instrument

Und nicht zuletzt sei die Tuba ein körperlich anspruchsvolles Instrument. Die Tuba sei deshalb eine größere Herausforderung, weil es nicht nur zu spielen, sondern es auch herumzutragen sei.

Überhaupt hält die Tubistin ihr Instrument für nicht gerade einfach. “Man muss schon fit sein, weil man eine Menge Luft bewegen muss. Das ist doch eine hochgradig kardiovaskuläre Aktivität, oder? Jedenfalls ist es eine sportliche Heraus­forderung, die Tuba zu spielen und dabei eine gute Figur zu machen.” Sie lacht. Schon einen reinen, schönen Klang zu erzeugen, sei nicht leicht. Um diesen dann aufrechtzuerhalten, müsse man “super schräge Gesichter machen, die Lippen völlig unnatürlich einsetzen und eine Menge Luft dahinter bewegen.” Tuba spielen fühle sich einfach unfair an, sagt sie schmunzelnd. Beim Klavier drücke man eine Taste und der Ton erklinge. Die Geige sei vielleicht verstimmt, wenn man einen Ton verfehle. “Aber bei der Tuba…? Es ist hart… Aber es macht Spaß und ist cool. Ich liebe es!”

Auf dem Spielplan des Philadelphia Orchestra steht in den kommenden Wochen übrigens die 5. Sinfonie von Prokofjew. “Ich liebe Prokofjew”, schwärmt Carol Jantsch. “Das ist mein absolutes Lieblingsstück. Ich liebe es, mit dem Instrument in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Bei Tschaikowski ist man die meiste Zeit nur ein zusätzlicher Tuba-Spieler, aber bei Prokofjew kann man verschiedenen Instrumentengruppen Farbe verleihen und spielen. Die lyrischen Linien haben viel mehr zu tun als viele andere Parts, und das gefällt mir.« Auf der anderen Seite gebe es Komponisten wie Strawinsky, bei denen “man einfach nur dasitzt und kalt wird. Und dann kommt dein Einsatz, und du musst laut spielen aus dem Nichts. Das tut dann schon ein bisschen weh.” Bei solchen Stellen wünsche sie sich manchmal, in einer Band zu spielen, damit sie die ganze Zeit warm bliebe. “Aber ich mag Strawinsky trotzdem. Es ist einfach eine andere Art von Herausforderung.”

Carol Jantsch über Herausforderungen

Ein klassisches und immer wieder gern zitiertes “Tuba-Werk” ist Dvořáks 9. Sinfonie “Aus der neuen Welt”. Hier hat die Tuba im zweiten Satz lediglich sieben Töne zu spielen. Das Schwierige sind hier nämlich nicht die Töne, sondern die lange Wartezeit. “Man kann sich die ganze Zeit Gedanken darüber machen, was kommen wird. Du wartest den ganzen ersten Satz, um diese sieben Noten zu Beginn des zweiten Satzes zu spielen. Du bist also nicht warm, spielst diese exponierten Noten und verpatzt vielleicht die Artikulation bei einer von ihnen. Dann kannst du den ganzen zweiten Satz lang darüber schmoren, bis du wieder kalt wirst. Das ist psychologisch sehr schwierig und physiologisch nicht das Beste für deinen Körper. Das ist wie bei einem Sprinter, der bis zu seinem Wettkampf in einer Eis­tonne sitzen muss.” Die besagte Stelle wird erst schwierig, “wenn man den Kopf nicht richtig im Griff hat, wenn die Konzentration nachlässt.

Ich finde, dass alle Blechbläser eine Therapie machen sollten. Denn für unsere Arbeit ist es immens wichtig, zu wissen, wie das Gehirn funktioniert. Es ist wirklich wichtig, seinen Kopf bei einer Aufführung unter Kontrolle zu haben. Es ist unerlässlich, dass man eine solide technische Grundlage hat, auf die man sich bei hohem Druck oder in bestimmten Situationen verlassen kann.”

Carol Jantsch hat da ihre Hausaufgaben gemacht, möchte man meinen. Lampenfieber verspürt sie nur in geringem, normalen Maße. Sie habe manchmal das Gefühl, sich hinter ihrem Instrument verstecken zu können – obwohl sie die einzige sei. “Vielleicht werde ich auch nicht nervös, weil ich eine Teamplayerin bin?” fragt sie sich selbst. “Bei manchen Soli steige natürlich die Anspannung, denn die sind nicht zwingend schwer, aber exponiert.” Aber diese Anspannung sei vermutlich auch nicht unwichtig, schließlich zeige das, dass sie noch bei der Sache sei. 

“Tuba Concerto” von Jazz-Legende Wynton Marsalis

Sololiteratur ist ein wichtiger Aspekt in Carol Jantschs Karriere. Die Soloauftritte sind zwar etwas weniger geworden, seit vor anderthalb Jahren ihre Tochter zur Welt kam, doch solche Uraufführungen wie das “Tuba Concerto” von Jazz-Legende Wynton Marsalis lässt sie sich nicht nehmen. “Das war ziemlich großartig”, schwärmt sie. “Ich werde weiterhin solche Dinge machen, aber ich versuche auch, Zeit für die Familie zu haben.”

Carol Jantsch ist keine Musikerin, die jede freie Minute mit dem Instrument verbringt. Mehr als drei Stunden übe sie nicht, sagt sie. Natürlich hänge das vom Repertoire ab oder ob Aufnahmen anstehen. “Ich nehme mir Tage wirklich komplett frei. Ich genieße die Zeit, die ich mit meiner Tochter verbringe. Und ich denke, es ist gesund, sich eine mentale Pause zu gönnen, damit man frisch und begeistert zum Spielen zurückkehren kann. Normalerweise brauche ich für meine Orchesterparts nicht zu üben. Ich spiele die Tuba.” Sie lacht.

Carol Jantsch

Carol Jantsch 

ist seit 2006 Solo-Tubistin des Philadelphia Orchestra. Sie erhielt diese Position während ihres Abschlussjahres an der University of Michigan und war damit die erste weibliche Tuba-Spielerin in einem großen Sinfonieorchester.

Zusätzlich zu ihren Aufgaben im Philadelphia Orchestra ist Carol Jantsch eine renommierte Tuba-Solistin. Sie gibt regelmäßig Solokonzerte und ist als Solistin mit verschiedenen Ensembles aufge­treten. Sie gibt regelmäßig neue Werke für die Tuba in Auftrag, und zwei große Konzerte wurden für sie als Solistin geschrieben: »Reflections on the Mississippi« (2013) von Michael Daugherty und das »Tuba Concerto« (2021) von Jazz-Legende Wynton Marsalis.

Lehrerin

Jantsch ist eine weltweit gefragte Lehrerin, die bereits Meister­kurse in Europa, Asien und Nordamerika gegeben hat. Sie arbeitet gerne mit jungen Musikern zusammen und war bereits bei verschiedenen Blechbläserfestivals zu Gast. 

Als Mitglied von »Tubular«, einer Tuba-Coverband, genießt Jantsch die Interaktion mit dem Publikum auf eine ganz andere Weise als in ihrer Rolle als Orchestermitglied. »Tubular« hat es sich zur Aufgabe gemacht, Pop- und Rockmusik auf unterhaltsame und mitreißende Weise zu präsentieren und dabei die Vorstellungen der Menschen von den Möglichkeiten der tiefen Blechblasinstrumente zu erweitern. Als Arrangeurin von Tubular genießt sie die Herausforderung, Musik von ABBA bis Led Zeppelin für diesen einzigartigen Rahmen zu adaptieren.

Carol Jantsch wuchs in einer musikalischen Familie auf und erhielt im Alter von sechs Jahren ersten Klavierunterricht. Mit neun Jahren begann sie, Eufonium zu lernen, wechselte dann zur Tuba. Sie studierte an der Universität von Michigan bei Fritz Kaenzig. Nachdem sie im Februar 2006 eine Stelle beim Philadelphia Orchestra erhalten hatte, kehrte sie nach Michigan zurück, um ihr Studium mit dem Bachelor of Music abzuschließen, das sie mit höchster Auszeichnung absolvierte.

Carol Jantsch spielt YAMAHA.

www.caroljantsch.com