Orchestra | Von Silvia Casado Schneider

Ferrer Ferran und “Der Todesengel von Bremen”

Ferrer Ferran

Zum zweiten Mal ist Ferrer Ferran Gastdirigent beim Workshop für großes sinfonisches Blasorchester in Alzey und hat auch diesmal ein neues Werk im Gepäck gehabt, das er speziell für Cinephonics komponiert hatte.

Ferrer Ferran lebt für die Musik bzw. Musik ist sein Leben. Für sein unermüdliches Engagement wurde er kurz hintereinander im Herbst 2021 mit dem “Premio Euterpe 2021 Extraordinario” (“Euterpe − Ehrenpreis” 2021) ausgezeichnet und im Frühjahr 2022 mit dem Ehrenpreis “Torre Almenara de Oro”. Seine Intention ist es, die Menschen mit seiner Musik glücklich zu machen und »mit seinem Traum vom Komponieren Begeisterung hervorzurufen und zum Träumen anzuregen«.

Als weitere Gäste durften die Musikerinnen und Musiker den Musicalstar Kevin Tarte − bekannt durch seine Paraderolle Graf Krolock in “Tanz der Vampire” −, Guido Rennert und den Gesangs­solisten Timon Führ begrüßen. Die Musikerinnen und Musiker präsentierten sich am Gala-Abend ganz in weiß und boten den fast 1000 Zuhörer­innen und Zuhörern ein hochkarätiges Programm der Oberstufe, das sie zu Hause und dann intensiv an zwei Wochenenden in Alzey und Wörrstadt einstudiert hatten. Die Gesamtproben wurden von Ferrer Ferran, Guido Rennert und Gerd Greis − stellvertretender Leiter der Kreismusikschule Alzey-Worms und künstlerischer Leiter von Cinephonics − geleitet. Unterstützt wurden sie bei den Registerproben durch Lehrkräfte der Kreismusikschule Alzey-Worms. 

Gemeinsam mit der Alzeyer Kantorei eröffnete das sinfonische Blasorchester des Workshops “Cinephonics 11 − Freiheit!” unter der Leitung von Gerd Greis mit dem Werk “O Fortuna” und dem Intro “Wir ziehen in den Frieden” fulminant und eindrucksvoll den Gala-Abend.

“Dragut, der Pirat” landet zum ersten Mal in Deutschland

Diese sinfonische Dichtung, welche auf der spanischen Geschichte des 16. Jahrhunderts basiert, entführt den Zuhörer in die Zeit des Freibeuters Barbarroja. In seinem spektakulären Werk vertont Ferrer Ferran die Ereignisse des Angriffs auf die Hafenstadt Cullera südlich von Valencia am Mittelmeer. Am 25. Mai 1550 griff der Pirat Dragut, Leutnant des Freibeuters Barbarroja, mit seinen Gefolgsleuten ganz überraschend die Stadt Cullera an. 

Die Klänge der beiden großen Trommeln auf der Bühne jagen wie Kanonenschläge durch die Luft. Zwei Schwertkämpfer springen auf die Bühne und ziehen ihre Schwerter, deren metallener Klang jeden Hiebes durch Mark und Bein geht. Der Angriff war sehr erfolgreich und die Freibeuter machten große Beute. Das Rasseln der Ketten lässt vor dem geistigen Auge die Gefangenen vorbeiziehen. Die Stadt wurde durch den Angriff total erschüttert und war danach mehrere Jahrzehnte nahezu menschenleer. Heute erfreut sich Cullera zweier großer sinfonischer Blasorchester, von denen eines unter der Leitung von Ferrer Ferran steht.

Die Alzeyer Kantorei trug sowohl bei der wohl bekanntesten Nummer aus dem Meisterwerk Carmina Burana von Carl Orff über Fortuna, der Herrscherin über die Welt für sinfonisches Blasorchester und Chor, in einem Arrangement von John Krance als auch beim Werk »Wir sind das Volk − Eine Freiheitssinfonie«, die Guido Rennert anlässlich 25 Jahre Mauerfall schrieb, zur richtigen Atmosphäre bei. Vor allem bei Rennerts Werk weckte das Zusammenspiel der Klänge, des Gesangs und der bewegenden Original-­Audio- und Videoeinspielungen bei Publikum und Orchester Emotionen. Unter der Leitung von Ferrer Ferran spielte das 90-köpfige sinfonische Blasorchester die Welturaufführung seiner Komposition »Der Todesengel von Bremen«, die er “Cinephonics” gewidmet hat. Der Komponist selbst war von der exzellenten Erstinterpretation seines Werks überwältigt. 

Guido Rennert greift selbst zum Taktstock

Guido Rennerts Arrangement des preisgekrönten Titelsongs “Zu Asche, zu Staub” aus der deutschen Fernsehserie “Babylon Berlin” fesselte das Publikum. Timon Führ trug mit seiner melancholischen und hypnotischen Gesangsinterpretation maßgeblich zur Original-Atmosphäre bei. Anschließend nahm das Orchester mit den beiden Gesangssolisten des Abends beim Medley aus “Phantom der Oper” alle Anwesenden in die faszinierende Welt der Pariser Oper mit.

Mit “Libertadores” aus der Feder von Oscar Navarro, einem Schüler Ferrer Ferrans, der mittlerweile selbst ein international renommierter und gefeierter Komponist ist, entführte das sinfonische Blasorchester das Publikum auf eine eindrucksvolle Art und Weise zunächst in das Herz des Amazonas, bevor die Freiheitskämpfer Simon Bolivar und Jose San Martin mit einem Triumphmarsch geehrt wurden. Ein energiege­ladenes Stück, welches vom Orchester nicht nur musikalisch einiges abverlangte, sondern auch seine Koordinationsfähigkeit und tänzerisches Geschick gefordert wurde.

Das Publikum forderte mehr. Die Musikerinnen und Musiker ließen sich nicht lange bitten und Ferrer Ferran übernahm den Taktstock für die erste Zugabe des Abends. Sein Werk “El Brindis” (Cheers!) könnte man auch als Hommage an die größte Weinregion Deutschlands ansehen. Das besondere Arrangement mit einem Solo für 12 Weinflaschen wurde von der Solistin Anne-Kathrin Abt mit Bravour vorgetragen. Gemeinsam mit dem Publikum stieß das Orchester mit dem Trinkspruch “Wer Freiheit liebt und Einigkeit, der trinkt auch mal ’ne Kleinigkeit!” auf einen sehr gelungenen Abend voller Emotionen an. 

Mit “Der Mond ist aufgegangen” − Arrangeur Guido Rennert greift selbst zum Taktstock – und Sing, Sing, Sing verabschiedete “Cine­phonics 11 − Freiheit!” das jubelnde Publikum.

Ferrer Ferran

Ferrer Ferran über seine Komposition “Der Todesengel von Bremen” 

Ferrer Ferran, wie sind Sie auf die Idee gekommen, den “Todesengel von Bremen” zu vertonen?

Nach meinem Besuch in Alzey im Jahr 2018, wo ich eine Gruppe fantastischer Musikerinnen und Musiker eines großartigen Projektes, das von Gerd Greis gegründet wurde, ein großes sinfonisches Blasorchester dirigierte, wollte ich eines dem Ereignis entsprechendes Werk komponieren. Ich wollte ein großartiges Werk schreiben, das von etwas Besonderem aus der Gegend handelt. Ich fragte Gerd, den musikalischen Leiter, und er selbst machte mir verschiedene Vorschläge und einer davon war die Mörderin, die in ihrer Heimatstadt so geschätzt wurde, weil sie alle bis in den Tod gepflegt hatte; genauer gesagt, sie vergiftete sie und pflegte sie, bis sie starben. Diese Geschichte ließ mir keine Ruhe und ich begann zu schreiben. 

Was fasziniert Sie an dieser “Schauer-­Geschichte”?

Als Gerd Greis mir diese Geschichte vorgeschlagen hat, schien es mir schwer sie komplett zu vertonen. Es war alles eine Herausforderung für mich und gerade deshalb interessierte mich das Werk umso mehr. Ich musste viel darüber nachdenken, wie ich die Komposition strukturieren sollte, weil ich “zwei Gesichter” zeigen musste, das der guten Frau, das so war wie man sie kannte und das “böse Gesicht”, das der Mörderin und das alles verbunden in einer musikalischen Logik, die in sich zusammenhängend ist. 

Die Motive der Gesche Gottfried blieben nach ihrer Hinrichtung im Dunkeln. Haben Sie versucht, diese zu beleuchten?

Was ich eigentlich tatsächlich gemacht habe ist, die “Geschichte” dieser Frau, alle Ereignisse – ich habe nichts erfunden – zu vertonen und mit sinfonischer Musik auszudrücken. Ich beschreibe lediglich mit Tönen und Klängen alles, was sich damals ereignet hatte. 

Wie haben Sie die Geschichte recherchiert? Waren Sie an Original-Schauplätzen, beispielsweise dem “Spuckstein” am Bremer Dom?

Ich musste Unterlagen sammeln, wissen, was passiert war und mir zu jedem Mord, den sie begangen hatte − genauer gesagt 15 Morde − Belege verschaffen.Ich hatte weder die Gelegenheit die Stadt Bremen noch ihren Dom zu be­suchen, aber es ist noch ein offener Punkt, den ich erledigen muss. Jetzt, nachdem ich das Werk komponiert habe, ist meine Neugier auf die historischen Orte, die Stadt und alle Wege, die sie genommen hat, noch größer geworden. Es ist eine fesselnde Geschichte. 

Wie vertont man die Geschichte des Todesengels von Bremen? Also welche Teile der Geschichte haben Sie wie “verarbeitet”?

Wie ich bereits zuvor dargelegt hatte, musste ich viel darüber nachdenken wie ich diese Komposition machen soll. Die gute Einstellung der Frau, die ihre Kranken pflegte und die ironische Haltung sie alle umzubringen; zudem waren es bis zu 15. Ich wollte eine 15-sätzige Komposition machen, was ich aber wieder verwarf, weil das Werk dann an Interesse verlieren würde. Ich erstellte ein Konzept des Werkes, das die beiden Gesichter der Geschichte enthielt: das »Gute« und das “Böse” oder besser gesagt, das der “Farbe rosa” und das “Düstere”. Das “Gute” beschließe ich wie etwas Schönes und Gütiges darzustellen, das Wesentliche, was uns motiviert glücklich zu leben. So beginnt die Komposition. Und das “Düstere” versucht die 15 Morde in 15 verschiedene Abschnitte, dennoch verbunden und verknüpft, zu schildern. Ich wollte den Morden eine musikalische und hörbare Wiedererkennung geben, indem ich Themen, die uns die Musikgeschichte hinterlassen hat, anwende und entfalte.

So sind die thematischen musikalischen Elemente, die ich verwendete, aus dem “Hochzeitsmarsch” aus der Oper “Lohengrin” von Wagner für die Morde an ihren Ehemännern und ihrem Verlobten, der “Sonata Facile” von Mozart für den Mord an der Musiklehrerin und dem vielleicht berühmtesten und bekanntesten Schlaflied auf der ganzen Welt aus der Feder von Brahms dem “Wiegenlied”, Opus 49 Nr. 4, für die Morde an ihren Kindern und Eltern. Mit diesen musikalischen “Winks”, kann ich die 15 musikalischen Abschnitte kurz zusammenfassen und ende mit einer musikalischen Beschreibung des Schafotts und der Enthauptung der Mörderin.

Welche musikalischen Effekte und Motive haben Sie etwa für Mord und Hinrichtung verwendet? Wie bekommt man da seine In­spirationen? Denn in der Regel erlebt man das ja hoffentlich nicht selbst… 

Ich musste an eine große Verfolgungsjagd denken, nicht eine wirkliche Verfolgungsjagd, aber in Gedanken bzw. in meiner Vorstellung schon, dass die Musik das Erreichen eines herzzerreißenden Höhepunktes verfolge. Im Moment der Hinrichtung durch das Schwert hört man ein paar herzzerreißende “Schreie” in Form von musikalischen “Cluster”, an der die ganze sinfonische Palette von Instrumenten beteiligt ist. Ich stellte mir die “Agonie” vor, welche so ein Fall hervorrufen könnte, und auf diese Weise übertrug ich sie in die Partitur. Das Ende des Werkes bildet der “erneuerte Geist” der Personen. Vielleicht sollte man nicht das tun, was sein Gewissen einem sagt, vielleicht war es eine Geisteskrankheit. Die Menschen sind nicht von Natur aus schlecht bzw. so “programmiert”, dass sie Böses tun, es ist die Geisteskrankheit, welche dieses Chaos verursacht. Das Werk endet mit einer ausgesöhnten geistlichen Apotheose. 

Worin liegen die besonderen Herausforderungen für Musikerinnen und Musiker? Und was muss der Dirigent beachten?

Der Dirigent muss die reale Geschichte kennen, um ein Maximum dessen zu geben und herauszuholen, was nicht in den Noten steht und die Musikerinnen und Musiker in einer noch realeren, eventuell noch tragischeren Interpretation in den bestimmten Momenten und noch bewegenderen in den anderen zu leiten. Die Komposition zeugt von einer hohen Komplexität und das Orchester muss die Geschichte, die in der Partitur niedergeschrieben ist, kennen. Deshalb habe ich in allen Stimmen und in jeder Sequenz angegeben, was passiert. Auf diese Art und Weise wird die Interpretation am treffendsten sein und wird in der Musik das alles beschreiben, was damals in der tragischen Geschichte passierte. 

kurz& knapp 

Im Jahr 2020 in der Oktober-Ausgabe erschien ein Bericht über Ferrer Ferrans Werk “Das Leuchten des Phönix” (El Brillo del Fénix), das während des 50 Tage andauernden Lockdowns in Spanien entstand. Er vertont in diesem Werk die Ereignisse und alle Facetten der Pandemie, die ihn täglich über die Medien erreichten – von seinem Ausbruch in China über seine Verbreitung über die ganze Welt, den Schicksalen der Menschen bis hin zu den täglichen Beifallsbekundungen. 

Das Werk widmet Ferrer Ferran all jenen, denen die Pandemie ihr Leben genommen hat, die an vorderster Front gekämpft haben, die sich gekümmert haben und all jenen, die den Menschen geholfen haben, ihren Mut wiederzufinden, um nach vorne zu schauen.

Nach zwei erfolgreichen Uraufführungen von “Ave Fénix” 2020 und “El Brillo del Fénix” im Frühjahr 2022, stehen nun beide Werke der ganzen Welt KOSTENLOS auf seiner Homepage zum Download zur Verfügung. Da Musik für alle da ist, bietet er sein Werk mit der größtmöglichen Flexibilität an, damit wirklich jeder es spielen kann. Laden Sie sich das Werk herunter und sehen Sie selbst.