Orchestra | Von Klaus Härtel

John Williams “funktioniert” auch ohne Film

Williams
Foto: Stephan Rabold

Wenn man John Williams’ Erfolge in bloßen Zahlen auflisten möchte, kann man sich leicht verzetteln: Er war 52 Mal für den Oscar nominiert, fünf gewann er; 25 Mal stand er auf der Liste der Golden Globes, vier Trophäen nahm er mit nach Hause. Und für den Grammy war er gar 68 Mal nominiert und 24 Mal hat er ihn bekommen. Und noch eine Zahl: Der Mann ist 90 Jahre alt.

Die Zahlen sind beeindruckend, zeugen von überragendem Erfolg und es würde den Rahmen sprengen, sie alle aufzulisten. Denn die stets erwähnten Auszeichnungen der “Academy” sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Seine jüngste Trophäe war eine Goldene Schallplatte – seine erste! – für “John Williams in ­Vienna”. Williams selbst empfindet dieses Konzert mit den Wiener Philharmonikern übrigens als “eine der beeindruckendsten Erfahrungen meines Lebens”. Und sein erstes chartplatziertes Nummer-1-Album? Nicht der Soundtrack aus “Star Wars”, “Schindlers Liste” oder “Jurassic Park”, sondern das “Berlin Concert” aus dem Jahr 2022. Dafür dirigierte der US-amerikanische Filmkomponist kurz vor seinem 90. Geburtstag erstmals die Berliner Philharmoniker. Die ak­tu­elle Einspielung heißt “Violin Concerto No. 2 & Selected Film Themes”. Diese CD hat Williams mit dem Boston Symphony Orchestra und Anne Sophie Mutter aufgenommen

williams

Es ist wohl eine sehr große Ehre, vielleicht sogar der Ritterschlag, wenn man als Filmmusikkomponist aus den abgedunkelten Sälen der Lichtspielhäuser ins Rampenlicht der renommiertesten Konzerthäuser gelangt. Und es ist ja wirklich so, wie das Musikmagazin “Rolling Stone” schrieb: “John Williams braucht die Filme nicht, die Filme brauchen ihn!”

Williams’ Musik bleibt nicht auf ihre ursprüngliche Bestimmung ­beschränkt

Das Großartige an John Williams’ Musik ist, dass sie völlig losgelöst vom Film “funktioniert” und nicht auf ihre ursprüngliche Bestimmung ­beschränkt bleibt. Übrigens eine Meinung, die der Meister teilt: “Auch wenn Musik die unterschiedlichsten Aufgaben und Funktionen er­füllen kann, so bin ich der Meinung, dass jeder Hörer die Freiheit haben sollte, ein Musikstück vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte, musikalischen Erlebnisse und kulturellen Wurzeln zu hören und zu interpretieren.”

Auch die Blasorchesterszene weiß um die Fas­zination und die Anziehungskraft der Musik des 90-Jährigen. Landauf, landab finden sich immer wieder Arrangements von Paul Lavender, Johan de Meij, Stephen Melillo und anderen auf den Konzertprogrammen. Der Orchesterverein Hilgen (OVH) feierte kürzlich den 90. Geburtstag von John Williams mit seinem traditionellen Serenaden-Konzert. Unter der Leitung von Timor Oliver Chadik präsentierte das Orchester Filmmusiken aus “Indiana Jones”, “Der Soldat James Ryan”, “Schindlers Liste”, “Jurassic Park”, “Harry Potter” und “Star Wars”. 

Chadik
Timor Oliver Chadik (Foto: Mischa Blank)

“Es hat Spaß gemacht”, konstatiert Timor Oliver Chadik auf Nachfrage. Der Bekanntheitsgrad der Musik von John Williams spiele natürlich eine sehr große Rolle, gibt er zu. Die Musik aus “Star Wars” oder das “Indiana Jones”-Thema kennt jeder. Das allein sei aber noch kein Kriterium, ein komplettes Konzertprogramm damit zu gestalten. Denn neben Ohrwurmcharakter zeichnet diese Werke aus, dass es schlichtweg “herausragende Musik” ist. 

Technisch-musikalische Her­aus­forderung

John Williams’ Musik macht auch den Musikerinnen und Musikern Freude, weiß der Dirigent – auch weil damit eine technisch-musikalische Her­aus­forderung verbunden ist. “Gerade bei den Hörnern und im hohen Blechbereich tauchen bisweilen schwierige Passagen auf.” Der Probenaufwand sei nicht eben gering, weil der Komponist keine “platte Musik” schreibt. Effekthascherei ist dessen Sache nicht. “Das ist ­handwerklich hervorragend und zeugt von immensem Einfallsreichtum”, schwärmt Chadik. Williams habe ein untrügliches Gespür dafür, welche Art von Musik zu welcher Spannung passt. “Die kann heroisch sein wie in ‘Star Wars’, sie kann aber auch das Gegenteil sein, wie etwa bei ‘Schindlers Liste’.” Der Komponist sei genre­mäßig nicht festgelegt und könne so “alles bedienen. Er kann es ab­rufen, wie er es braucht…”

Wenn man im Blasorchesterkonzert John Williams wählt, liegt das aber auch daran, dass sich der Klang meist wunderbar auf das Medium übertragen lässt. “In der Regel schreibt John Williams für das Sinfonieorchester. Der Klang ist häufig opulent und die Bläser spielen eine große Rolle. Man kann da also sehr viel von der musikalischen Struktur übernehmen.”

Welches der John-Williams-Werke sein persönlicher Favorit sei, wollen wir von Timor Oliver Chadik abschließend wissen. “Das ist schwer zu sagen…” Er überlegt sehr lange, weil doch eigentlich alle Werke große Qualität haben. Chadik findet “persönlich die langsameren Sachen ganz stark”. Schließlich nennt er “Hymn to the Fallen” aus “Der Soldat James Ryan”. Als Chadik noch Leiter des Luftwaffenmusikkorps Münster war, durfte das Orchester einmal den Jubiläumsfeierlichkeiten des D-Day in der Normandie (wo der Film spielt) beiwohnen. Wenn “dieses Werk in diesem Umfeld auf dem Programm steht, nimmt man die Musik noch einmal ganz anders wahr”, erzählt Timor Chadik. “Das war sehr emotional und ein Gänse­haut­moment.”

Gänsehautmomente gibt es bei John Williams in der Tat zahlreiche. Emotional ist da vieles – und das funktioniert mit und ohne Leinwand.

Filmmusik 

Kategorie 2
Michael Story: “The Star Wars Saga”; Johnnie Vinson: “Highlights from The Patriot”

Kategorie 3
John Moss: “Theme from Angela’s Ashes”; Paul Lavender: “Adventures of Indiana Jones”; John Cacavas: “Selections from E.T.”; Norman Tailor: “Theme from Schindler’s List”

Kategorie 4
Jay Bocook: “Catch me if you can”; Paul Lavender: “Hymn to the Fallen (from Saving Private Ryan)”; Hans van der Heide: “Hook Highlights”

Kategorie 5
Stephen Melillo: “A Walk in Jurassic Park”; Paul Lavender: “Superman March”; Johan de Meij: “Star Wars Saga”

Diese und weitere Arrangements gibt’s unter blasmusik-shop.de