Brass | Von Antje Rößler

Trompeter Sandro Hirsch zwischen Struktur und Chaos

Sandro

Der Trompeter Sandro Hirsch ist Solist, Kammermusiker und Pädagoge. Sein Repertoire reicht vom Barock bis zur Gegenwart. Er engagiert sich für Straßenkinder in Ruanda und fördert die zeitgenössische Musik. Eine CD hat er auch schon auf den Markt gebracht. Nun wurde der 25-Jährige als Solo-Trompeter von den Bamberger Symphonikern engagiert – direkt nach dem Studienabschluss. Wie er das geschafft hat, erzählt der Musiker bei unserer Begegnung während der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Wir sitzen bei Nieselregen unter einer alten Linde, im Park eines altehrwürdigen Gutshauses.

Sandro, herzlichen Glückwunsch zur Anstellung bei den Bamberger Symphonikern!

Danke! Ich habe zwar eine feste Stelle erspielt, aber die muss erst noch verlängert werden. Ich bin noch in der Probezeit, die laut Vertrag 18 Monate dauert. Seit April wohne ich in Bamberg. Das ist eine sehr schöne Stadt mit hoher Lebensqualität. Klein, aber trotzdem ist viel los. Und ich mag die alte Architektur. 

War es hart, die Stelle zu bekommen? 

Der Stellenmarkt sah gerade relativ gut aus. Mein erstes “richtiges” Probespiel, nach ein paar Vorspielen für Orchesterakademien, war für einen Zeitvertrag beim Beethoven Orchester Bonn. Das hat dann direkt geklappt. Danach war Bamberg mein erstes Probespiel für eine feste Stelle. 

Warst du sehr aufgeregt?

Ich hatte mich erst wenige Tage vor Anmeldeschluss für eine Bewerbung entschieden. Da ich vorher keine Solostelle hatte, glaubte ich gar nicht so richtig daran, überhaupt zum Vorspiel eingeladen zu werden. Beim Hauptprobespiel war ich der einzige Student – die Mitbewerber hatten bereits Stellen oder Zeitverträge bei anderen Orchestern. Da ich mir keine großen Hoffnungen machte, war ich eigentlich recht entspannt.

Wie geht es dir jetzt in Bamberg?

Ich bin gerade an einem Punkt, wo sich einiges in meinem Leben verändert. Eine feste Stelle geht mit neuen Anforderungen einher. Das ist etwas anderes, als im Jugendorchester zu spielen – auch körperlich intensiver, weil es ein größerer Orchester-Apparat ist. Ich mache mich derzeit fit, sodass mein Körper diese Leistung erbringen kann.

Wie machst du das?

Ich versuche, mich ausgewogener sportlich zu betätigen, gut zu essen und mein Üben am Instrument konkreter auf meine Aufgaben im Orchesterspiel auszurichten.

Sandro
Woher kommst du eigentlich? 

Geboren bin ich in Landau in der Pfalz. Ich habe vier Jahre in Frankfurt studiert, dann zwölf Monate in Karlsruhe für den Master. Ein halbes Jahr habe ich in Bonn im Orchester gearbeitet, bis ich dann nach Bamberg gewechselt bin. 

Wie bist du zur Trompete gekommen?

Meine Eltern hatten keinen großartigen Bezug zu klassischer Musik. Mein Opa spielte autodidaktisch Saxofon und dirigierte auch eine Blas­kapelle. Er wäre gern Musiker geworden, arbeitete aber nach dem Willen seines Vaters als Beamter bei der Krankenkasse. 

Ich hatte im Kindergarten musikalische Früherziehung. Dann ging es zur Musikschule, wo ich mich für Schlagzeug und Trompete anmeldete. Am Tag vor meiner Einschulung habe ich dann auf der Trompete angefangen. Zeitweise auch ohne Schneidezähne. Vielleicht hat es ja beim Aufbau der Muskulatur geholfen… (lacht). 

Wie ging es dann weiter? 

Ich fing bei Dietmar Wiedmann an, der an unserer Musikschule in der Südpfalz tolle Orchester aufgebaut hatte. Er war auch gut vernetzt und zum Beispiel als Dozent und künstlerischer Leiter bei Blasmusikfestivals wie dem Femusc-­Festival in Brasilien aktiv. Mit 14 begann ich mein Jungstudium bei Peter Leiner in Saarbrücken und kam ins Landesjugendorchester und Bundes­jugendorchester.

Mehrere Erste Bundespreise bei “Jugend musiziert” hast du auch gewonnen. Du bist durchaus ein “Produkt” der deutschen Förder-Landschaft.

Ja, wenn diese Institutionen nicht wären, hätte ich mich mit Sicherheit anders entwickelt. Über “Jugend musiziert” bin ich in die Förderung der “Deutschen Stiftung Musikleben” gekommen. Sie vergibt zum Beispiel Geldstipendien und vermittelt Auftritte bei Festivals. Letztes Jahr war ich beim Schleswig-Holstein Musik Festival, diesmal nun in Mecklenburg-Vorpommern. Bei einer Musikreihe auf Sylt habe ich in derselben Kirche gespielt, wo Christian Lindner vier Tage später heiratete. Als wir probten, kam gerade die Se­curity, um die Situation vor Ort zu checken. Und für den 28. Dezember hat mir die Deutsche Stiftung Musikleben einen Auftritt in der “Espresso”-­Reihe des Berliner Konzerthauses vermittelt. Da spiele ich zusammen mit dem Pianisten Julius Asal, der auch gerade hier in Bothmer Konzerte gibt. 

Wir treffen uns hier bei der “Bothmer-Musik“, dem dreitägigen Kammermusik­festival der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, wo preisgekrönte Nachwuchs­musiker miteinander musizieren. Wie gefällt es dir hier? 

Ich genieße den Aufenthalt sehr. Wir sind ein tolles Team, alle sind sehr entspannt und freundschaftlich miteinander. Ein paar Leute habe ich wieder getroffen, ein paar neu kennengelernt, was beides schön ist. Einzigartig ist der Konzertort: das Schloss Bothmer, eine riesige barocke Anlage aus rotem Backstein, umgeben von einem herrlichen Park und alten Linden-Alleen. Man fühlt sich hier wie am Ende der Welt, das hat was. Ich würde jederzeit wiederkommen. 

Bei der “Bothmer-Musik” ist diesmal auch der Pianist Alexander Altmeyer dabei, mit dem du 2017 eine CD aufgenommen hast. Da wart ihr noch nicht mal 20 Jahre alt.

Wir beide waren gleichzeitig Jungstudenten in Saarbrücken. Über die Jahre hinweg machten wir immer mal wieder Aufnahmen im Saarländischen Rundfunk. Schließlich waren 55 Minuten Spielzeit da. Zum Abschluss meines Jungstudiums ließen wir das auf eine CD pressen. 

Was ist zu hören?

Standardwerke wie Paul Hindemiths Sonate für Trompete und Klavier oder George Enescus ­”Légende”, die wir auch hier in Bothmer im Konzert gespielt haben. Auch ein paar Solostücke wie die “Quattro pezzi” von Giacinto Scelsi. Die CD ist nicht programmatisch strukturiert, sondern bildet meinen Werdegang als Jungstudent bei Prof. Peter Leiner ab, dem ich dieses Album auch gewidmet habe. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken.

Machst du dir große Mühe mit der Repertoire-Suche und der Zusammenstellung deiner Konzert-Programme? Hier in Bothmer erlebten die Besucher ein ausgetüfteltes Programm mit französischer Musik.

Das war tatsächlich ausgetüftelt. Es ist mir sehr wichtig, Stücke zu finden, die originell und weniger bekannt sind. Dabei bevorzuge ich Original-Besetzungen. Arrangements spiele ich nicht so oft – eher mal in den Zugaben. 

Im französischen Repertoire gibt es viel schöne Literatur für Trompete und Klavier. Das sind oft Einzelwerke von Komponisten, die nicht so bekannt sind. Ich nehme auch gern ein, zwei zeitgenössische Stücke ins Programm, damit die auch ihre Chance beim Publikum bekommen. 

Beim Publikum ist es auch sehr gut angekommen, dass du deine Konzerte selbst moderierst. Wann hast du damit begonnen?

Das mache ich eigentlich schon immer, in fast jedem Konzert. 

In deiner Biografie steht, dass du dich für afrikanische Straßenkinder engagierst. Wie kam es dazu?

Mein guter Schulfreund und Hobby-Trompeter Girge Glock, der auch zeitweilig mein Trompetenschüler war, hat sein Freiwilliges Soziales Jahr in Uganda verbracht. Dort lernte er das NGO “Brass for Africa” kennen. Das organisiert Blechblas-Projekte für Kinder, die nicht gerade privilegiert sind, teilweise sogar auf der Straße oder im Waisenhaus leben. Es geht darum, gemeinsam Musik zu machen, den Team-Geist zu festigen, durch Musik Erfolgserlebnisse und schöne Erfahrungen zu verschaffen. Wir hatten dann die Idee, so etwas auch im Nachbarland Ruanda auf die Beine zu stellen. 

Warst du schon vor Ort oder engagierst du dich von hier aus?

Beides. Wir haben hier ein Benefiz-Konzert gegeben, Spenden und Instrumente gesammelt. Nachdem die Instrumente verschifft waren, konnte das Projekt im Januar 2019 anlaufen. Im Juni 2019 war ich dann zwei Wochen vor Ort. Auch während der Pandemie konnte das Projekt zwischen den Lockdowns immer wieder aufgenommen werden. Inzwischen haben die Kinder schon im Ministerium und im ruandischen Fernsehen gespielt! 

Wie viele Kinder machen mit?

Es gibt sogar mehrere Bands. Ein oder zwei Mädchen-Bands und gemischte Bands auf verschiedenen Niveaus. Das Ganze ist in die Nachmittagsbetreuung eingebunden, die von der NGO “Root Foundation Rwanda” veranstaltet wird. An vier Nachmittagen wöchentlich wird geprobt. Die Kinder lernen auch Noten lesen, singen traditionelle Lieder, tanzen und trommeln. Samstags ist Tag der offenen Tür – da kommen die Familien zum Zuschauen vorbei. Ich freue mich, dass das Projekt sich jetzt durch die Partner-­Organisationen vor Ort selbst trägt, nachdem wir das Ganze finanziell ermöglicht, aufgebaut und vernetzt haben. Alle Beteiligten sind total motiviert. 

Was ist dir sonst noch wichtig?

Zusammen mit dem Trompeter Tobias Krieger habe ich das Projekt “conTRUMPETary” in die Wege geleitet. Es geht um die Ausweitung des zeitgenössischen Repertoires für Trompete und Klavier. Für diese Recital-Besetzung gibt es immer noch zu wenige schöne Werke. Inzwischen haben wir einiges aufgenommen und fünf Werke in Auftrag gegeben. Darunter an Kathrin A. Denner, die zu den wichtigsten Schülerinnen und Schülern von Wolfgang Rihm gehört. 

Wie finanziert ihr die Kompositionsaufträge?

Wir konnten ein paar tausend Euro Spenden einsammeln. Die Stücke laden wir auch als Videos bei Youtube hoch. Vieles, das durchaus gespielt werden sollte, entdeckt man nicht so leicht, weil es keine oder nur technisch schlechte Auf­nahmen gibt. Gerade arbeite ich daran, für conTRUMPETary eine Webseite zu erstellen. 

Toll, dass du das selbst machst.

Das machen wir zu zweit. Da muss ich mich einarbeiten – eine Webseite habe ich noch nie selbst gebaut. Aber so etwas macht mir Freude. Ich brauche Sachen, die mich fordern. Ich plane gern, bin gerne strukturiert. Irgendwie bin ich Chaos und Struktur zugleich. (lacht) Mal funktioniert es mit dem Chaos besser, mal mit der Struktur.