Brass | Von Klaus Härtel

Das Dschungelbuch. Ein Klassiker neu aufgelegt

Dschungelbuch
Das wilde Jazzorchester mit Martin Auer (hinten links) und Christian Brückner (vorne sitzend) (Foto: Natalia Jansen)

“Probiers mal mit Gemütlichkeit!” Diesen Song kennt jeder – und doch hat er es nicht auf den Tonträger “Das Dschungelbuch” geschafft. Zu Recht wohlgemerkt, denn mit der Disney-Adaption hat das hier nichts zu tun. Die Musiker Martin Auer und Rüdiger Ruppert schufen aus dem legendären Stoff für die Deutsche Oper Berlin ein Erzählkonzert mit Christian Brückner als Sprecher und mit neuen Kompositionen für das elfköpfige multi-instrumentale Wilde Jazz-Orchester. Wir sprachen mit Martin Auer über Rudyard Kipling, die Faszination Indiens und Robert de Niro.

Herr Auer, das Dschungelbuch ist ein Klassiker der Literatur. Jeder kennt es – ob im Original oder eine Filmversion. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an das Dschungelbuch? 

Martin Auer: Bei mir ist es definitiv die Disneyversion, wenngleich sie ja keine 1 zu 1-Adaption des Originals ist, sondern eher eine Verniedlichung des Textes. Der Disneyfilm ist seinerseits ebenfalls ein Klassiker und natürlich ein grandioses Zeichentrickabendteuer für Kinder. Auch die Musik ist vom Feinsten. Der Trompeter Louis Prima etwa hat im englischen Original den Affenkönig King Louie gesprochen und das Stück “I Wanna Be Like You” gesungen, zu dem er auch die Trompete beisteuerte. Das sind meine ersten Bezugspunkte zum Dschungelbuch.

Haben Sie es denn dann später im Original gelesen? 

Ja, habe ich. Und das Originalbuch ist natürlich wesentlich umfangreicher. Das Dschungelbuch ist ja eine Sammlung von Erzählungen und Gedichten des britischen Autors Rudyard Kipling. Die Geschichte über Mogli und die Dschungelbewohner sind ein kleiner Teil dieser Sammlung. 

Das Buch wurde im Jahr 2019 bereits 125 Jahre alt. Ist dieses Jubiläum auch der Grund sich dem Dschungelbuch auf musikalischem Wege anzunehmen?
Martin Auer
Martin Auer

Das Jubiläum war mit ein Grund, dieses Projekt anzugehen. Ursprünglich sollte es im Juni 2021 Premiere haben. Es gibt eine schöne Reihe »Jazz & Lyrics« an der Deutschen Oper Berlin. Die Kollegen Sebastian Krol und Rüdiger Ruppert haben mich gefragt, ob ich mir das Dschungelbuch vorstellen könne. Konnte ich natürlich. Dann kam Corona, wodurch wir tatsächlich – durch die viele zusätzliche Freizeit – die Möglichkeit hatten, die Premiere schon in den August 2020 vorzuziehen.

Die CD bzw. das Hörbuch erschienen nun ein Jahr später. Wie sind Sie an die Thematik herangegangen? Muss man den Disneyfilm ausblenden? Stützt man sich nur auf das Buch?

Der Wunsch der Kollegen und Mitproduzenten war schon, auch »ein bisschen Gemütlichkeit« hineinzubringen. Die Leute, die Disney kennen, würden vermutlich auch etwas vermissen wenn dies gar nicht vorkommt. Und doch muss es natürlich ganz anders sein. Zunächst habe ich mir das Buch geschnappt und die Geschichte durchgelesen. Ich musste feststellen, dass das Original doch ein gutes Stück brutaler ist. Aber ja, die Disneyversion habe ich versucht, auszublenden. Glücklicherweise konnte ich auf sehr viele Instrumente aus der Oper zurückgreifen. Die haben ein riesiges Sammelsurium an Percussioninstrumenten. Marimba, Gongs, Windmaschine, Taikos, Tomtoms –eigentlich alles, was das Herz begehrt. Die Herausforderung bestand also darin, den indischen Dschungel so weit wie möglich, nach Berlin zu transferieren. 

Haben Sie sich dafür in die orientalische oder indische Musiksprache erst einmal eingearbeitet? Oder wie war da das Prozedere?

Ich würde nicht behaupten, dass die Musik rein orientalisch oder indisch geworden ist. Es sind sicherlich Elemente vorhanden. Um komplett in die Materie einzutauchen, dafür war dann doch zu wenig Zeit. Es ging mir darum, klanglich einen Mix zu schaffen der daran erinnert und musikalisch passt. 

Rezitiert wird das Dschungelbuch von Christian Brückner. Dessen Stimme ist für die Qualität der Produktion meines Erachtens mit entscheidend. Wie war die Arbeit mit der Stimme von Robert de Niro? 

Der Christian ist ein Phänomen! Christian Brückner ist einfach eine Bank. Dem kannst du alles hinlegen und der macht da was draus. Die Stimme ist unverwechselbar. Er ist sozusagen der Popstar der deutschen Lesekultur.

Christian Brückner ist wahrscheinlich aber auch einer, der viel beschäftigt ist. Wie schwer war es, ihn für das Dschungelbuch zu begeistern? Sein Sohn Kai spielt auf der CD Gitarre. War der kurze Dienstweg entscheidend? 
Brückner
Christian Brückner (Foto: Natalia Jansen)

Ja und nein. Klar, er ist schon sehr beschäftigt und kann sich die Sachen aussuchen. Aber es gibt den Kontakt mit der Deutschen Oper, für die er schon viel gemacht hat. Da Christian Brückner schon immer sehr jazz-affin war, ist er für solche künstlerischen Projekte auch zu haben. Aber ich wurde auch von Kollegen gefragt, wie ich denn an den Christian rangekommen bin. Die versuchen es nämlich schon seit Jahren. Es kann also auch schwieriger sein.

Der Disneyfilm ist ein Zeichentrickabenteuer für Kinder, das Dschungelbuch im Original nicht zwingend nur ein Kinderbuch. Wo würden Sie die Version des Dschungelbuchs mit dem Wilden Jazzorchester ansiedeln?

Unsere Version ist eine Version “für alle ab acht Jahre”. Wir haben ein exotisches Instrumentarium am Start, sowohl in der Percussion als auch bei den Bläsern: Posaune, Flügelhorn, Trompete, Basssaxofon, Bassflöte, Bassklarinette, Duduk – also eigentlich tausende Instrumente, die auch visuell für Kinder interessant sind. Ein gewisser Education-Charakter ist durchaus vorhanden. Man hört die Geschichte, die man vielleicht anders kennt. Man lernt sie neu kennen, mit einer neuen Musik und einem Instrumentarium, dass einem noch einmal etwas beibringen kann. 

Insgesamt sind bei der Produktion elf Musikerinnen und Musikern eingebunden, die dementsprechend auch verschiedene Instrumente spielen. Dabei lagen vermutlich Dinge auf dem Notenpult, die sonst nicht immer dort liegen. Wie lief Kommunikation vom Komponisten zu den Musikerinnen und Musikern?

Ich habe denen das erstmal so vor die Nase geknallt. (lacht) Nein, man weiß natürlich immer, was geht und was nicht geht. Man muss das so zusammenbasteln, dass es funktioniert; die Übergänge, die musikalischen Ideen. Das war natürlich auch ein Work in Progress. Und es hat super funktioniert. Wir haben insgesamt vier Tage aufgenommen und dann die Overdubs gemacht, was ja bei so einem großen Projekt nicht ausbleibt. Die Sprache haben wir extern aufgenommen. Die Nachbearbeitung ist dann auch noch einmal eine große Sache, weil man sich da nochmal komplett anders entscheiden kann. Und unter den Text haben wir noch kleine musikalische Ideen gesetzt, also Geräusche oder Melodiephrasen, die wir noch zusätzlich aufgenommen haben. 

Welche Textversion haben Sie denn schlussendlich verwendet?

Wir hatten das Problem, dass wir drei verschiedene Textversionen hatten. Der Ursprung, also auch die Übersetzung ist frei ist mit Rechten. Und dann gibt es noch eine Version des Fischer Verlags, die wir ursprünglich für die CD gewählt hatten. Vonseiten des Verlags war dann aber die finanzielle Forderung so hoch, weshalb wir noch einmal umschreiben mussten und einen neuen Text genommen haben. Dafür musste wiederum musikalisch etwas geändert werden, weil die Musik auf die Sprache reagiert. Ich habe also das Ganze mittlerweile dreimal umgeschrieben…

Wie sehen die weiteren Pläne aus? Das Album ist erhältlich, die Live-Version ist machbar. Ist es vor dem Hintergrund des Education-Aspekts auch für Schulen denkbar?

Wir haben es im vergangenen Jahr zweimal aufgeführt, auch dieses Jahr fanden und finden Konzerte statt. Die Idee ist schon, dass es nächstes Jahr noch ein paarmal läuft. Aber das ist auch immer eine Kostenfrage. Denn das ist schon ein Riesenapparat selbst für ein kleines Orchester. Und die Instrumente müsste man sich gegebenenfalls leihen, weil die eben auch nicht jeder überall hat…

Ist es dahingehend leichter eine CD einzuspielen? 
Dschungelbuch

Das Dschungelbuch ist zunächst ein Liveprojekt. Erst durch die Pandemie ist es zur CD geworden. Das Paket ist erst nach dem Livekonzert entstanden: Ich habe einen Verlag gesucht, konnte den Hessischen Rundfunk als Mitproduzent gewinnen. 

Aber es ist ja auch positiv, dass man etwas in den Händen hält, das bleibt. 

Klar, die CD verkauft sich natürlich auch eine gewisse Zeit lang und durch das ganze Streaming-Geschäft wird es hoffentlich auch ein Longplayer. Zumal das Dschungelbuch einfach ein Klassiker ist. 

Planen Sie noch weitere Literatur-Vertonungen?

Über die Reihe Jazz & Lyrik gab es schon eine Reihe an Liveabende und Lesungen. Meist ging es um Biografien, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald. Wir haben schon ein paar Ideen im Hinterkopf, aber das ist natürlich auch immer eine Kostenfrage. Wenn das Dschungelbuch gut läuft und der Verlag sagt: “Wir vertrauen euch und geben euch ein Haufen Geld!” – dann soll es an uns nicht scheitern.