Orchestra | Von Klaus Härtel

Die Macht der Mimik beim Musizieren

Mimik

“Du hast ganz ordentlich gespielt, aber diesmal bitte mit etwas mehr Gefühl!” Klingt bekannt? Vermutlich haben jede Musikerin und jeder Musiker diese Aussage der musikalischen Leitung schon einmal gehört. Klingt plausibel? Eher “jein”, oder? Dass emotional “irgendwas”« beim Musizieren passieren soll, ist klar, aber können Lehrer und Dirigenten vermitteln, welches Gefühl genau gemeint ist? Und wie kann ich es reproduzieren, falls es denn mal funktioniert hat, mit Gefühl zu musizieren? Welche Rolle spielt die Mimik? Mit dieser Thematik beschäftigt sich Mona Köppen.

Sie weiß: “Emotionen sind wie Musik ebenso kulturübergreifend. Emotionen bedürfen keiner Worte. Es ist doch schade, dass wir in der Ausbildung nur selten ein wirkliches Emotionsausdruckstraining bekommen. Wie toll wäre es, ein Tool zu haben, mit dem man nicht erst eine emotionale Erfahrung machen muss, um diese mit der Musik auszudrücken?2 Mona Köppen zeigt in ihren Kursen, wie es geht, wie man Emotionen “von außen, fast mechanisch aktivieren kann”. Sie findet, das erleichtere nicht nur das eigene Musizieren, sondern ergebe auch fürs Publikum ein authentisches Gesamtbild. Wir haben mal nachgefragt.

Jede Musikerin und jeder Musiker haben sicherlich schon einmal den Ausruf gehört: »Spiel mal mit mehr Gefühl!« Aber warum ist dieser Ausruf nicht wirklich hilfreich, Mona?

Die Aufforderung “Spiel mal mit mehr Gefühl” ist sehr unspezifisch und vage. Welche Emotion ist gemeint? Trauer, Angst, Freude, Ärger? Um nur einige Arten von Emotionen zu nennen. Ich kann mich selbst noch sehr genau daran erinnern, wie sehr mich diese Aussage von meinen Lehrern im Instrumentalunterricht früher gestresst hat. Weil ich es einfach nicht hinbekommen hab, “mit Gefühl zu spielen”. 

Doch selbst wenn das Gefühl definiert wird, bleibt die Frage offen: “Wie kann ich es zeigen und reproduzieren?” Musikern, aber auch Dirigenten, fehlt es oft an Wissen darüber, wie sich Emotionen im Gesicht ausdrücken und welche enormen Auswirkungen diese Darstellung hat. 

Aber das sieht man doch! 

Natürlich wissen wir alle, dass ein Mensch, der weint, traurig ist. Aber wenn ich dich jetzt frage, welche Muskeln du genau bewegen musst, um Trauer auszudrücken, wirst du es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zeigen oder mir sagen können. Ebenso fehlt oft die Fähigkeit, genau zu benennen, welche Emotionsfamilie gemeint ist. Es fehlt das Verständnis, dass es überhaupt möglich ist, Emotionen von außen – also quasi mechanisch – zu zeigen und so das Gefühl nach innen zu erzeugen. Das Wissen über die sogenannten Spiegelneuronen und das Facial Feedback ist oft nicht vorhanden.

Das ist sehr schade, denn Musik ist Emotion, eine nonverbale Sprache, die weltweit verstanden wird. Genauso sind Emotionen, die wir im Gesicht durch sogenannte Mikro- oder Makro-Expressionen zeigen, nonverbal und kulturübergreifend gleich. Musik und Emotionen sind somit überall auf der Welt nonverbal verständlich. Es ist erstaunlich, dass es kein Fach in der Ausbildung gibt, das sich mit der Mimik und Körpersprache, also dem Ausdruck von Emotionen, beschäftigt.

Wir lernen zwar, dass wir uns innerlich etwas vorstellen sollen – eine Geschichte, ein Erlebnis. Dies zeigt sich dann auch – wenn es gut läuft – in unseren äußeren Emotionen. Aber ich bin ehrlich: Ich habe nicht immer das Bedürfnis, meine inneren Gefühle hervorzurufen, um dann vielleicht Glück zu haben, dass ich bei einem Konzert oder während des Übens emotional mit dieser Vorstellung in Resonanz gehen kann. Ich finde es viel entspannter, ein Werkzeug zu haben, mit dem ich meine Mimik von außen ansteuern kann, um die entsprechende Emotion zu zeigen und dann auch innen zu spüren. Dies ist ein wissenschaftlich gut erforschter Aspekt. 

Also muss ich nicht zum Beispiel Freude und Trauer spüren, um Freude und Trauer musikalisch zu vermitteln?

Nein, das ist gerade der schöne Effekt. Es muss mich nicht unbedingt morgens die Muse küssen, um abends ein emotionales Konzert zu spielen. Ich nutze das Emotionstraining als Werkzeug, als Technik, genauso wie ich andere Artikulationszeichen benutze, um meine Musik, meine Geschichte zu erzählen. Es ist sehr befreiend. Das bedeutet natürlich nicht, dass der andere Weg – von innen nach außen – der falsche Weg ist. Ganz und gar nicht. Sich etwas vorzustellen und dann in das entsprechende Gefühl zu kommen ist ja auch machbar. Aber durch das Mimiktraining und damit die Fähigkeit von »außen« die Emotionen zu steuern, erreicht man eine großartige Erweiterung seiner emotionalen Ausdrucksfähigkeit.

Kann man das wirklich lernen?

Ja, kann man. Ein Beispiel dafür ist das Mimikresonanztraining oder in spezieller Form für Dirigenten und Orchester oder Musiklehrer und Schüler der Workshop »Die Macht des Gesichts beim Musizieren«. Dort lernen Musiker, wissenschaftlich fundierte Emotionstypen mittels Gesichtsmuskeltraining anzusteuern. Am Anfang ist das nicht ganz einfach, denn viele Muskelbewegungen sind »zuverlässig«. Das bedeutet, nicht jeder Mensch kann diese Muskelbewegungen auf Anhieb bewusst nachahmen. Dafür bedarf es Übung und vor allem Verständnis. Doch diese Übung hilft uns, Emotionen im Gesicht mittels Mimik darzustellen und auch genau zu differenzieren. Wir lernen zudem eine Sprachgenauigkeit. Das bedeutet: Wir haben Emotionsfamilien. Ärger ist zum Beispiel eine solche Familie. Zum Ärger gehören auch andere Gefühlsbegriffe, wie etwa »energisch« oder »gefrustet«. Dementsprechend passe ich dann auch meine Gesichtsmuskulatur an. Dennoch bedarf es eines bewussten Trainings. 

Welche Macht hat die Mimik beim Musizieren?

Die Mimik besitzt beim Musizieren eine immense Macht. Sie ist in der Lage, die emotionale Wirkung der Musik zu intensivieren, die Verbindung zwischen Musizierenden und Publikum zu vertiefen und die Interpretation des jeweiligen Stücks zu beeinflussen. Darüber hinaus trägt die Mimik dazu bei, eine Geschichte oder Botschaft innerhalb der Musik effektiver zu vermitteln. Die Mimik ist eine hervorragende Möglichkeit zur Ausdruckssteigerung. Als Musiker nutze ich sie, um meine Musik so authentisch wie möglich zu vermitteln. Das Publikum sieht dabei, wie die Mimik mit der Musik harmoniert, was eine Art Synchronisation oder »Einrasten« erzeugt. Es entsteht somit ein Doppeleffekt.

Ist das auch der Grund, dass es mich nicht zwingend berührt, wenn Musik zwar technisch perfekt gespielt ist, die Emotionen aber hinter einer »Maske« verbleiben? 

Musik ist mehr als nur Technik. Sie ist eine Form des emotionalen Ausdrucks und der Kommunikation. Natürlich müssen wir unser Instrument können und auch üben. Mentaltraining in Form von Emotionsregulation oder Emotionsdarstellung ersetzt nicht das Üben! 

Aber wenn die Emotionen nicht gezeigt werden und wir in maskenhafte Gesichter schauen, geht ein wesentlicher Teil der Musik und Kommunikation verloren. Man erzählt eine Geschichte »ohne Gefühl«. Auch wenn die Worte korrekt sind, fehlt etwas Entscheidendes. Daher ist es so wichtig, dass Musiker lernen, ihre Emotionen effektiv zu vermitteln – durch ihre Musik und ihre Mimik.

Verändert sich die Musik durch die Mimik –aus Musiker- aber auch aus Publikumssicht?

Aus der Perspektive des Musikers kann die bewusste Nutzung der Mimik dazu beitragen, die eigenen Emotionen besser zu kontrollieren und zu vermitteln. Sie kann auch dabei helfen, das eigene Spiel zu verbessern, indem sie die emotionale Verbindung zur Musik verstärkt. Als Musiker können wir durch Üben und Spielen des Stücks aus verschiedenen Blickwinkeln erreichen, dass sich der Klang mit den wechselnden Emotionen verändert.

Aus Sicht des Publikums kann die Mimik des Musikers die Wahrnehmung der Musik erheblich beeinflussen. Sie kann die durch die Musik vermittelten Emotionen intensivieren und die Beziehung zum Musiker stärken. Man bekommt das Gefühl, dass alles »einrastet«. Die Spiegelneuronen werden aktiviert. Das sogenannte »Facial Feedback« – wir fühlen innen, was unsere Mimik anzeigt – tritt in Aktion. Und wenn Musik, Emotion und Mimik zusammenpassen, wird das Erlebnis für den Zuschauer authentisch und passend.

Und der Dirigent kann darauf einwirken?

Dirigenten, oder auch Musiklehrer, haben natürlich einen erheblichen Einfluss auf ihre Orchester. Allein das Wissen um die verschiedenen Arten von Emotionen und Unterbegriffe der Gefühle steigert die Fähigkeit zur Kommunikation und damit die Interpretation eines Musikstücks enorm. Je präziser der Ausdruck, desto klarer und besser die Umsetzung. Wenn der Dirigent beispielsweise verlangt, dass eine Phrase mit mehr Energie gespielt wird und das ganze Orchester dann die entsprechende Mimik einsetzt, hat dies eine enorme Wirkung auf den Ausdruck und Klang der Musik. 

Es ist von großer Bedeutung, dass der Dirigent die gewünschte Emotion selbst durch seine Mimik anzeigt. Dadurch können die Musiker mithilfe der Spiegelneuronen und des Facial Feedbacks in Resonanz treten. Wie oft sehe ich Dirigenten mit ernster Miene, die dann von ihren Musikern erwarten, lieblich-innig zu spielen. Oftmals bleibt es bei der Aufforderung, »mit mehr Gefühl« zu spielen.

Doch Dirigenten sollten dies jetzt nicht falsch verstehen. Wer das noch nicht so handhabt, macht es nicht unbedingt schlechter. Vielleicht war es bis jetzt nicht bewusst, welche Auswirkung die eigene Mimik auf das Orchester haben kann, welche enorme Wirkung eine klare Darstellung von Emotionen in der Mimik auf die Musik hat. Ich betrachte dies als eine Schlüsselkompetenz für jeden Musiker und Dirigenten.

Was bedeutet denn nun »Emotionsausdruckstraining« ganz konkret? 

Emotionsausdruckstraining beinhaltet Übungen, die darauf abzielen, die Fähigkeit zu verbessern, Emotionen in der Mimik mittels der jeweiligen Ansteuerung der Muskulatur auszudrücken und auch zu erkennen. Diese Emotionsarten werden im Training mit dem Spiegel eingeübt und dann auf das Instrument übertragen. Eine andere Übung ist, ein Musikstück zu spielen und dabei bewusst verschiedene Emotionen in der Mimik anzuzeigen, um zu sehen, wie dies die Performance beeinflusst.

Spannend ist zudem, dass wir so auch unseren Stress regulieren können. Durch die Fähigkeit, die Emotionen in der Mimik bewusst anzusteuern, lernen wir zu erkennen, wann etwa eine Angstexpression kommt. Und wenn wir das merken, können wir auch mit einer anderen Expression dagegen steuern oder uns auch eines Stressthemas bewusst werden, das wir durch eine Emotionsregulation im Mentaltraining bearbeiten können.

Wie setzt du das Emotionstraining in deiner Mentaltraining-Arbeit ein? 

Neben der Emotionsregulation, zum Beispiel bei Auftrittsstress, ist die Emotionserkennung und das Emotionstraining ein wichtiger Faktor in meiner Arbeit. Ich arbeite beispielsweise mit Musikstudenten im 1:1-Training an der Bühnenpräsenz und schaue mir die Auftritte in Bezug auf Körpersprache und Mimik an. Gerade da gibt es sehr viel Potenzial zur »Optimierung« des Auftritts. Auch schicken mir die Studenten Videos von Stücken, die ich dann analysiere und genau sehe, wenn entweder keine Emotionen oder Emotionen gezeigt werden, die nicht zum Stück passen. 

Wann setze ich die »Emotionsartikulationszeichen«, wie du sie nennst, ein? 

Immer dann, wenn es notwendig ist. Natürlich spiele ich kein ganzes Stück traurig oder energisch. Ich setze meine Mimik nur da ein, wo ich etwas verstärken will oder betonen möchte. Eben genauso wie alle anderen musikalische Ausdruckszeichen.

Aber wie kann ich denn Emotionen in der Mimik zeigen – meist ist ja der Mund durch das Instrument »besetzt«?

Doch die zuverlässigen Muskelbewegungen finden vor allem mit den Augen und Augenbrauen statt. Beispiel: Um Trauer zuverlässig zu erkennen, müssen sich die Augenbraueninnenseiten nach oben ziehen. Das sich in einer Vollexpression von Trauer auch die Mundwinkel nach unten ziehen vervollständigt zwar das Bild, aber wenn ich nur die Augenbrauen sehe, die sich innen schräg nach oben zieht, weiß ich und spüre ich: Das ist Trauer.

Wie lange dauert ein Mimiktraining, bis man die verschiedenen Emotionen erlernt hat und im Gesicht bewusst mit der Muskulatur ansteuern kann?

Das geht in der Tat recht schnell, da wir alles von Geburt an in uns tragen. Da die Emotionsarten kulturübergreifend sind, kann es nicht anders sein. Im Training werden wir uns dieser Fähigkeit bewusst. Unbewusst können wir alle die Emotionen zeigen. Immer dann, wenn wir eben von innen heraus fühlen, wird es außen angezeigt. Wenn es uns bewusst ist, welches Muskulatur wie angesteuert werden muss, braucht es halt etwas Übung. Schon in wenigen Stunden können wir die Muskulatur besser und besser ansteuern. Natürlich brauchen wir auch da ein ­regelmäßiges Training, um diese bewusst gemachte Fähigkeit weiter zu vertiefen und schneller abrufen zu können.

www.ichbinmusik-akademie.de