Orchestra | Von Alexandra Link

Die Schweiz! Ein Land ist stolz auf seine Werke

Schweiz
Foto: RS-Film-Roger Stöckli

Bisweilen schaut man etwas neidisch auf die Eidgenossen. In der Schweiz hat man mit dem Alphorn nicht nur ein “Nationalinstrument”, dort legt man auch Wert auf “eigene” Werke “eigener” Komponisten. Das hat nichts mit Abgrenzung zu tun, sondern mit Förderung. Frei nach der Ricola-Werbung: “Wer hat’s erfunden?” stellen auch wir uns die Frage: Wie machen die das? Alexandra Link ist der Frage mal nachgegangen.

Das Jahr der Schweizer Blasorchesterliteratur 2023 neigt sich dem Ende entgegen. Die Verantwortlichen im Schweizer Blasmusikverband SBV und in den Blasorchestern haben viel dafür getan, die Werke ihrer Schweizer Komponisten im Jahr 2023 ins Rampenlicht zu setzen.

Die Unterstützung Schweizer Kompositionen für Blasorchester und Brassbands hat jedoch eine längere Geschichte und beschränkt sich keinesfalls auf dieses eine Jahr! Die Schweizer Blasmusikverantwortlichen haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel für die Erneuerung des Blasorchester-Repertoires in der Eidgenossenschaft getan. Die Grundlagen dafür wurden vor langer Zeit in der Schweiz gelegt.

Es gibt viele Faktoren, warum in der Schweiz eine sehr große Vielfalt an Werken und besonders auch an bedeutenden Originalwerken für (Sinfonische) Blasorchester entstehen konnten. Für Komponisten braucht es Unterstützung, damit sie Werke für Blasorchester schreiben. Nicht nur Auftraggeber, sondern auch Dirigentinnen und Dirigenten sowie Blasorchester, die gewillt sind, die Werke aufzuführen! Und es braucht Gelegenheiten…

Eidgenössisches Musikfest

Seit 1864 finden in regelmäßigen Abständen die Eidgenössischen Musikfeste statt, seit 1966 alle fünf Jahre. Nachdem das 35. Eidgenössische Musikfest 2021 wegen Corona ausfiel, wird das nächste im Jahr 2026 in Interlaken stattfinden. Eine unbedingte Empfehlung: hinreisen! Etwa 500 Blasorchester und Brassbands nehmen bei jeder Ausgabe der Eidgenössischen Musikfeste teil. Dies entspricht etwa einem Fünftel bis zu einem Viertel aller im Schweizer Blasmusik­verband organisierten Orchester. Verglichen mit Deutschland, müssten sich etwa 2500 Musikvereine (Blasorchester, Spielmanns- und Fanfarenzüge, u. ä.) für das Deutsche Musikfest 2025 in Ulm/Neu-Ulm anmelden. Beim Deutschen Musikfest 2019 in Osnabrück beteiligten sich ca. 300 Musikvereinigungen.

Schweiz

Für Eidgenössische Musikfeste werden traditionell Auftragskompositionen für Pflichtstücke (in der Schweiz heißen die Aufgabenstücke) vergeben – nicht immer nur, aber in der Regel an Schweizer Komponisten. Franco Cesarinis Karriere als Komponist begann auch mit einer Auftragskomposition des Schweizer Blasmusikverbands. Für das Eidgenössische Musikfest 1991 in Lugano komponierte er – damals 30-jährig – das heute immer noch viel gespielte Werk »Convergents«. Neben »Convergents« waren auch die »Bulgarian Dances I« (2006, Luzern, 1. Klasse Harmonie) und »Colorado« (2016, Montreux, 3. Klasse Harmonie) Auftragswerke an Franco Cesarini für Eidgenössische Musikfeste. Neben Franco Cesarini seien hier Mario Bürki und Oliver Waespi beispielhaft genannt, weil diese drei zurzeit die international am Häufigsten gespielten Schweizer Komponisten sind.

Usus, Kompositionsaufträge zu vergeben

Mario Bürki komponierte folgende Werke als Aufgabenstücke für Eidgenössische Musikfeste im Auftrag des SBV: »Pompeji« (2006), »Der Magnetberg« (2011) und »La Corrida de Torros« (2016). Oliver Waespi bekam die folgenden Aufträge: »Hebridean Rhapsody« (2001), »Fanfare and Funk« (2006), »Divertimento« (2011), »Friendly Takeover« (2006).

Auch bei Kantonalen Musikfesten ist es Usus, Kompositionsaufträge für Pflichtstücke zu vergeben. Stefan Roth, Präsident der Musikkommission im Thurgauer Kantonal-Musikverband erklärt: »Wir vergaben gemeinsam mit dem Waadtländer Kantonalverband Kompositionsaufträge für die Kantonalen Musikfeste 2023. Diese nutzte auch der Schaffhauser Blasmusikverband für sein Kantonalmusikfest.«

Bedeutung der Musikfeste

Die permanente Wettbewerbs-Kultur in der Schweiz hat nachhaltig dazu beigetragen, dass ein lebhaftes, sich immer erneuerndes Blasorchesterrepertoire Schweizer Herkunft entstehen konnte. Außerdem sind die Eidgenössischen und Kantonalen Musikfeste für die Blasorchester auch immer Gelegenheiten, überhaupt Originalwerke für Blasorchester zu spielen. Es gibt ja nicht nur die Aufgabenstücke, sondern auch die Selbstwahlstücke.

In Vorbereitung auf die Musikfeste veranstalten die Blasorchester und Brassbands Konzerte. Die beiden Wettbewerbswerke (Aufgabenstück und Selbstwahlstück) werden außerdem in das Programm der sowieso stattfindenden Konzerte der Blasorchester aufgenommen. Zusammen mit den Musikfesten sind das natürlich die Anlässe bzw. Konzerte, die die oben genannten Gelegenheiten darstellen. Blasorchester bzw. deren Dirigentinnen und Dirigenten werden durch die Wettbewerbe ermuntert, auf diese Werke in den Konzerten zurückzugreifen.

WASBE Schweiz

Weltweit gibt es etwa 500 WASBE-Mitglieder, davon leben 111 in der »kleinen« Schweiz. Die Schweizer Reisegruppe, die sich jährlich zur MidWest nach Chicago aufmacht, ist schon seit Jahrzehnten groß. Das Interesse an der speziellen Blasmusik-Sparte der Originalkompositionen hat in der Schweiz eine sehr viel längere Tradition als in Deutschland. Während der WASBE-Konferenz 2001 in Luzern wurden zehn Werke uraufgeführt, davon zwei Schweizer Werke: »Prospero« von Thüring Bräm und »Tom Sawyer Suite« von Franco Cesarini. Neuartig war damals die hohe Medienpräsenz durch das Schweizer Radio DRS1 (heute SRF). 

Die Schweizer Sektion der WASBE mit ihrem Präsidenten Stéphane Delley ist sehr aktiv und die Unterstützung der Schweizer Komponisten und Kompositionen steht regelmäßig im Blickpunkt. Auch im Jahr der Schweizer Blasorchesterliteratur 2023 wurde die WASBE Schweiz tätig. Sie vergab Auftragskompositionen an Oliver Waespi (»Deep Space«) und Theo Schmitt (»EchoSystem«).

Kompositionswettbewerbe

Pflichtstücke bzw. Aufgabenstücke für Eidgenössische oder Kantonale Musikfeste und auch für die Wettbewerbe des Schweizer Brass Band Verbands entstehen auch durch Kompositionswettbewerbe für einzelne Sparten. Der Luzerner Kantonal-Blasmusikverband und der Musikverband beider Basel schrieben zusammen etwa im Jahr 2020 einen Kompositionswettbewerb aus. Einerseits mit dem Ziel, musikalisch gehaltvolle und konzertante Musik zu fördern, andererseits sollten diese dann als Aufgabenstücke verwendet werden.

Für die Musikfeste des Kantonalen Musikverbands Wallis, der Fédération Jurassienne de Musique und des Bernischen Kantonal-Musikverband 2024 schrieben diese drei Verbände einen Kompositionswettbewerb für die 3. Klasse Brassband aus. Der Schweizer Brassband Verband schrieb dieses Jahr den Kompositionswettbewerb für die 1. Klasse Brassband für den Schweizer Nationalen Brassband-Wett­bewerb aus. Und im Rahmen des Jahres der Schweizer Blasmusikliteratur wurde vom Schweizer Blasmusikverband ein Kompositionswettbewerb ausgeschrieben, den der 24-jährige Waadtländer Adrian Perera gewann. Sein Werk »Résilience – Le jour d’après« wurde beim Festival aVENTura uraufgeführt und erhielt ein Preisgeld von 5000 Schweizer Franken.

Auftragskompositionen

Ein recht neues Auswahl-Blasorchester mit semi- und professionellen Musikerinnen und Musikern ist das Swiss Symphonic Wind Orchestra SSWO. Gründer und Dirigent ist Niki Wüthrich. Niki Wüthrich zu den Herbstkonzerten 2023: »Auch wenn wir im SSWO jedes Jahr den Fokus auf Schweizer Literatur und eine entsprechende Auftragskomposition legen, sind dieses Jahr mit der Uraufführung von Stephan Hodels Werk ›Information Overload‹, der Erstaufführung der BO-Fassung von Schoecks ›Präludium‹ und Oliver Waespis ›Deep Space‹ drei besondere Leckerbissen der Schweizer Literatur am Start.« 

Als weiteres Beispiel Aufträge gebender Orchester sei die Jugendmusik Kreuzlingen und die Stadtmusik Kreuzlingen genannt. Für das Blasorchester der Jugendmusik Kreuzlingen entstand »Wind-Owed« von Fabian Künzli (2013) und für das SBO Kreuzlingen »Short Ride in Ecstasy« von Manuel Renggli (2016))

Die Rolle der Schweizer Verlage

Bisher zumindest brauchte es für die Veröffentlichung von Originalwerken für Blasorchester immer Verlage, die gewillt waren, das Risiko der Herausgabe zu übernehmen und auch für das entsprechende Marketing zu sorgen. Es gibt viele Verlage in der Schweiz, die sich auch dem zeitgenössischen Material annehmen und nicht nur Polka, Walzer, Marsch und Bearbeitungen jeglicher Unterhaltungsmusik von Rock, Pop, bis hin zu Film und Show veröffentlichen. Da sind zunächst die »alteingesessenen« wie zum Beispiel der Ruh Musikverlag (gegründet 1908), der Bichsel-Verlag (dessen Verlagsarchiv im Besitz von Hal Leonard ist), der Obrasso Musikverlag (1983), die Edition Marc Reift (1983), Musikverlag Frank (1997) und neue Verlagsgründungen wie zum Beispiel Lucerne Music Editions ( 2005) Symphonic Works, Edition Franco Cesarini, um nur einige zu nennen.

In diesem Zusammenhang sei auch Mitropa Music genannt, seine Gründung fand 1989 in Walchwil, Kanton Zug, als Dependence des damaligen De Haske-Verlags in der Schweiz statt. Die Schweizer Komponisten Franco Cesarini (bis zu seiner eigenen Verlagsgründung), Marc Jeanbourquin, Gilbert Tinner und Bertrand Moren sind bei Mitropa Music verlegt. Die Zugehörigkeit zum damaligen De-Haske-Verlag bzw. dem heutigen Hal Leonard stellte und stellt den Schweizer Komponisten ein weltweites Marketing- und Vertriebsnetz zur Verfügung.

Festivals

Wie früh in der Schweiz schon damit begonnen wurde, Originalkompositionen für Blasorchester zu fördern, zeigen die Internationalen Festlichen Musiktage Uster. Ab 1960 bereits sorgte dieses Festival im Kanton Zürich für die Erneuerung der originalen Blasorchesterliteratur. Gründer des Festivals war Albert Häberling (1919 bis 2012), der in der Schweiz immer noch einen klangvollen Namen, begründet auf seinen Verdiensten für die Stadtmusik Uster und dem Zürcher Blasorchester sowie den eigenen Kompositionen für Blasorchester, hat. Von 1989 bis 2000 war Felix Hauswirth künstlerischer Leiter des Festivals. Im Jahr 2000 wurde es aus diversen, aber vor allem finanziellen Gründen eingestellt. In Uster wurden zwar auch internationale Komponisten gefördert und aufgeführt, überwiegend aber Schweizer Komponisten. Ein weiteres Statement setzte im September das Festival »aVENTura« in Luzern, das als Höhepunkt des Jahres der Schweizer Blasorchesterliteratur 2023 gilt. (Der Schweizer Blasmusikverband SBV hat einen Youtube-Chanel eingerichtet mit den in Luzern aufgeführten (neuen) Werke.)

Die Suisa

Die Suisa (die Schweizer Verwertungsgesellschaft, wie in Deutschland die GEMA) fördert Auftragskompositionen bis etwa zur Hälfte des Komponisten-Honorars. Stefan Roth dazu: »Grundsätzlich ist die Suisa sehr blasmusik-freundlich.« Von bislang drei Anträgen für Fördermittel – zwei Mal für den Verband und einmal für einen Auftrag der Stadtmusik Kreuzlingen. wurde die Förderung jedes Mal bewilligt. Im Stiftungszweck der Suisa-Foundation steht: »Die Stiftung bezweckt die Förderung des schweizerischen und liechtensteinischen Musikschaffens in allen Gattungen. Sie verfolgt weder Erwerbs- noch Selbsthilfezwecke. Der Begriff ›aktuelles Musikschaffen‹ im Sinne der Fondation Suisa bedeutet das Kreieren und/oder Verbreiten von schweizerischem und/oder liechtensteinischem Musikrepertoire mit Bezug zur heutigen Zeit.«

Die Rolle von Blasorchestern und Brassbands

Es braucht nicht nur Auftraggeber für Kompositionen, sondern auch Dirigentinnen und Dirigenten sowie deren Blasorchester, die gewillt sind, die Werke aufzuführen! Und zum »Wollen« gehört das »Können«.

Die Entwicklung der vielfältigen Schweizer Blasmusikliteratur konnte in den vergangenen Jahrzehnten zum großen Teil dadurch entstehen, dass die Dirigenten-Ausbildung für Blasorchester und Brassband in der Schweiz schon sehr früh professionalisiert wurde. Bereits Jahrzehnte bevor in Deutschland überhaupt nur daran gedacht wurde, dieses Fach an die Musikhochschulen des Landes zu bringen, konnte man in der Schweiz Blasorchesterdirektion studieren. Sehr stark in diesem Bereich sind die Konservatorien bzw. Hochschulen in Basel, Bern, Luzern, Fribourg und früher auch Zürich.

Zusammen mit der Professionalisierung der Dirigentinnen und Dirigenten entstand in der Schweiz eine große Dichte an hervorragenden Blasorchestern. Im Juni veranstaltete ein eigens gegründeter Verein den »Lucerne Symphonic Wind Band Contest«. Hier traten acht Blasorchester der Höchstklasse an. (Es gibt natürlich noch mehr – beispielsweise die Civica Filarmonica di Lugano oder das Blasorchester Siebnen, die in Luzern nicht dabei waren.) 

Schweizer Blasmusikdirigenten-Verband BDV

Um die Qualität der Dirigentinnen und Dirigenten allgemein sorgt sich der Schweizer Blasmusikdirigenten-Verband BDV. Gegründet wurde dieser 1945 in Olten – mit dem Ziel, den nebenberuflichen Dirigenten eine Stimme zu geben. Bei der Gründung umfasste der BDV 119 Mitglieder, heute sind es rund 1050. Über das Ziel des BDV gibt die Website weiter Auskunft: »Der BDV ist bestrebt, Talente zu fördern. Dazu werden nationale Anlässe, wie etwa der Schweizerische Dirigentenwettbewerb, unterstützt. Zudem fördert der Verband die Schaffung von schweizerischen Blasmusikkompositionen.«

Die alle zwei bis drei Jahre stattfindenden Kongresse haben zum fachlichen auch einen gesellschaftlichen Aspekt – denn der Austausch ist ein zentrales Anliegen. Die Dirigentinnen und Dirigenten sollen nicht nur durch Vorträge, sondern auch im Gespräch Anregungen bekommen und Probleme klären. Neben einem Dirigenten-Pool, Dirigentenchoachings, dem Vermitteln von Stellvertretungen und weiteren Fortbildungsmaßnahmen gibt der BDV auch Gehaltsempfehlungen an seine Mitglieder.

Wichtiger Bestandteil in der Förderung der Dirigentinnen und Dirigenten ist der Schweizer Dirigentenwettbewerb. Bereits zum 10. Mal fand dieser im Jahr 2022 statt. Diesen gewann die in der Region Basel tätige Dirigentin Emilie Chabrol. Der Schweizer Dirigentenwettbewerb wird von einem Verein aus engagierten Musikerinnen und Musikern sowie Dirigentinnen und Dirigenten, die sich der Förderung der schweizerischen Blasmusikszene verschrieben haben, organisiert. Neben dem Verein Schweizerischer Dirigentenwettbewerb sind es vor allem zwei große Verbände, die hinter dem Anlass stehen und diesen auch finanziell unterstützen: Der Schweizer Blasmusikverband SBV und der Schweizer Blasmusikdirigenten-Verband BDV.

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Emilie Chabrol (Foto: Schweizerischer Dirigentenwettbewerb)