Orchestra | Von Klaus Härtel

VMB-NRW-Präsident Paul Schulte über Lockerungen

Leerer Saal
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Die Lockerungen in der Corona-Krise schreiten voran. Zwar ist immer noch nicht sofort klar, wer wann wieder musizieren darf, aber Abstandsregeln und Hygienevorschriften sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Normalität. Die Lockerungen sind zudem von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Wir sprachen mit Paul Schulte, Präsident des Volksmusikerbund NRW über die Lage der Amateurbläser in Nordrhein-Westfalen.

Nach wie vor ist die Erwartungshaltung der Bevölkerung – und somit auch der Musikvereine – der Politik gegenüber sehr unterschiedlich. Während die einen gern möglichst schnell zur Normalität zurückkehren möchten, würden die anderen gerne lieber etwas langsamer und mit mehr Vorsicht lockern. Wie geht man damit um?

Im Volksmusikerbund NRW (VMB-NRW), dem größten Fachverband für Blas- und Spielleutemusik in NRW, sind etwa 1000 Vereine mit insgesamt circa 50000 Musikerinnen und Musikern aus dem Laienbereich organisiert. Daher ist es naheliegend zu vermuten, dass die Meinungen der Mitglieder stark auseinander gehen. Das ist aber bei diesem Thema nicht der Fall.

Paul Schulte

Durch Einbindung unserer Mitgliedsvereine, durch Umfragen (jeweils mit hohen Rücklaufzahlen) und durch gute Erläuterungen der Vorgaben erlangen wir Akzeptanz und Einsicht. Die nach und nach gelockerten Bestimmungen sind stets zeitnah über unseren Newsletter und über unsere Homepage an die Musiker im Lande gelangt.

Für die Unterstützung des VMB-NRW haben wir in persönlichen Gesprächen, Telefongesprächen und Emails zwischen Vereinsmitgliedern und der Landesgeschäftsstelle, sowie Ansprechpartnern aus dem Präsidium viele Dankesworte erfahren. 

Der Volksmusikerbund NRW ist gut vernetzt mit dem Landesmusikrat NRW, dem Kulturrat NRW und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft in NRW. Zudem stehen wir in Kontakt mit den Dachverbänden Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände und dem Bundesmusikverband Chor & Orchester.

In diesen Organisationen vertreten wir Interessen unserer Mitglieder um auf Landes- und Bundesebene das bestmögliche zur Unterstützung unserer Musikvereine zu erreichen. 

Wir konnten auf die finanziellen Probleme unserer Mitgliedsvereine aufmerksam machen und erreichen, dass unsere Vereine in dem Förderprogramm berücksichtigt wurden.Das Programm zur Unterstützung in Not geratener Vereine, nimmt langsam Form an. Auch das Heimatministerium NRW hat ein Unterstützungsprogramm angekündigt, das vielleicht für den einen oder anderen Verein passen könnte.

Der Volksmusikerbund NRW hat kürzlich eine Übersicht der Regelungen für die Probenarbeit und Konzerte veröffentlicht. Darin werden 2 Meter Abstand bzw. 10 Quadratmeter pro Person verlangt. Gibt es diesbezüglich Rückmeldungen? 

Seit 21. Mai gilt in NRW: Bei Proben in Theatern, Opern- und Konzerthäusern und anderen Einrichtungen sind weiterhin geeignete Vorkehrungen zur Hygiene und zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen (bei Sprechtheater: 2 Meter) sicherzustellen; Zuschauer dürfen nicht in die Proberäume. Bei Proben in atmungsaktiven Fächern (insbesondere Gesang, Blasinstrumente) ist ein Abstand von 2 Metern zwischen Personen (beim Singen ein Abstand von 3 Metern zwischen Personen und von 6 Metern in Ausstoßrichtung) sowie eine Raumgröße von mindestens zehn Quadratmetern pro Person vorzusehen.

Das bedeutet, dass auch Laienmusikvereine unter den strengen Vorgaben ihre Probenarbeit aufnehmen können. Konzerte und Aufführungen in geschlossenen Räumen können nur mit Ausnahmegenehmigung und einer Begrenzung von 100 Zuschauern durchgeführt werden. Proben/Aufführungen im Freien sind unter strengen hygienischen Vorschriften und mit Genehmigung der zuständigen Behörde erlaubt. Die aktuellen Regelungen zur Lockerung gelten bis zum 15.Juli

Wie praktikabel sind diese Abstandsregelungen. Denn nicht jeder Verein hat Probenräume dieser Größe.

Die Einhaltung der empfohlenen Abstände und auch die Einhaltung des Schutzes gegen Aerosole mit dem Ploppschutz sind praktikabel. Dazu braucht man allerdings sehr viel Platz, der in den eigenen Proberäumen meist nicht vorhanden ist. Unseren Vereinen wurden z.B. Schützenhallen, große Räume in Firmen und Foyers von Schulen zur Verfügung gestellt.

Dabei wurde die gute Vernetzung der Vereine in den Orten und auch ihre Kreativität sichtbar. Vororchester und Jugendorchester, Egerland- Besetzungen proben in entsprechend geeigneten Räumen. Weitere Möglichkeiten bieten die Ausweitung von Registerproben statt Tutti, große Orchester in sinfonischer Besetzung starteten die Proben Ende Juni im Freien.

Eine Abfrage des VMB bei den Mitgliedsvereinen zur Wiederaufnahme des Probebetriebes fand sehr gute Resonanz.

Wie der Austausch über Erfahrungen in der Arbeitsgemeinschaft der Laienmusikverbände im Landesmusikrat NRW in einer Videokonferenz Mitte Juni zeigte, gibt es ähnliches Verhalten auch in den anderen Laienmusikverbänden in NRW.

Viele Lockerungsmaßnahmen (wie zum Beispiel die Wiederaufnahme der Bundesliga) sind für die Bevölkerung nur sehr schwer zu verstehen – vor allem vor dem Hintergrund, dass in anderen Bereichen (wie zum Beispiel Kinderbetreuung oder auch Vereinswesen) kaum Erleichterungen erkennbar sind. Häufig entsteht so der Eindruck, dass wer am lautesten schreit, zuerst bedient wird. Ist das tatsächlich so?

Während in der Bundesliga langfristig angelegte Wettbewerbe und finanzielle Interessen im Mittelpunkt stehen, steht bei den Laienmusikern der Spaß am Musizieren an erster Stelle. Die geltenden Vorschriften und Empfehlungen sind geprägt durch die Verantwortung für die Gesundheit der Musikerinnen und Musiker im VMB-NRW und auch ihres Publikums, das verstehen unsere Mitglieder, die erarbeiteten Hygienekonzepte werden voll akzeptiert und beachtet. Die Einsicht in die Schutzmaßnahmen wird durch verbandsinterne Veröffentlichungen unterstützt.

Finanzielle Probleme der Vereine konnte der VMB durch die gute Vernetzung an die Behörden herantragen und haben erreicht, dass finanzielle Unterstützung erfolgt.

Zurzeit, in der letzten Juniwoche, wird zusammen mit anderen Verbänden der Laienmusikszene in NRW mit dem Landesmusikrat eine zweite Aktion zur finanziellen Unterstützung bedürftiger Vereine gearbeitet. 

Die Zuwendungen werden nicht dem Lautesten zuerst zukommen, das wird den Vereinen auch deutlich. 

Gibt es, wie etwa in Österreich, einen zeitlichen Stufenplan der Lockerung? Derzeit sind maximal 100 Personen zu Veranstaltungen zugelassen. Gilt das „bis auf weiteres“?

Auf der Grundlage der gültigen Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) des Landes NRW in der aktuellen Fassung ab dem 30. Mai 2020 bis 15. Juni 2020 hat der Volksmusikerbund NRW (VMB NRW) eine Übersicht der Regelungen für die Probenarbeit und Konzerte zusammengefasst. Wegen der kurzen Gültigkeitsdauern der CoronaSchVO wird diese Übersicht laufend aktualisiert.

Außerdem verweisen wir auf den „Leitfaden für die Erstellung eines Hygienekonzepts zur Durchführung von Instrumentalunterricht in Musikvereinigungen im VMB NRW während der Corona Pandemie“. Die dort geregelten und empfohlenen Maßnahmen lassen sich auf den Probenbetrieb sowie die Konzerte übertragen. 

Der aktuelle Leitfaden Auftritte und Proben des VMB-NRW  ist seit dem  30.06.2020  online.

Wir hoffen, dass nicht im Herbst eine neue Infektionswelle durch das Land zieht. Viele Konzerte und Auftritte wurden vom Frühjahr auf den Herbst verschoben. Es wäre schade, wenn die Veranstaltungen auch zu dem neuen Termin nicht stattfinden könnten. Es kommen in der Regel wesentlich mehr als 100 Zuhörer. Jubiläen zum 100. Bestehen wurden überwiegend für das kommende Jahr 2021 terminiert. Man feiert dann halt den 101. Geburtstag des Vereins.  

Wie schafft man es, besonders gefährdete Personengruppen – die es ja mit Sicherheit auch in den Vereinen gibt – weiterhin zu schützen, ohne diese vom gesellschaftlichen Leben auszugrenzen und komplett zu isolieren? 

Wir sind ein junger Verband. Im VMB-NRW sind in etwa 1000 Vereinen 50000 Menschen organisiert.  In unseren Vereinen ist etwa die Hälfte der Musikerinnen und Musiker unter 18 Jahre alt. Eine besondere Verantwortung sehen wir im Schutz dieser jungen Menschen.  Die Einhaltung der Hygienemaßnahmen ist für uns sehr wichtig. Einzelunterricht und gemeinsames Üben in kleinen Gruppen sind möglich, wenn die Raumaufteilung dies zulässt.

Ältere Vereinsmitglieder oder zwischenzeitlich Erkrankte und Gesundete starten später mit Probenbesuch im Orchester.  Sie erhalten die Noten und Hinweise für das Üben zu Hause. Um diese Mitglieder trotzdem in die Aktivitäten des Vereins, wie z.B. Konzerte, miteinzubeziehen, kann ihnen angeboten werden, bei den nächsten Konzerte auf Wunsch wenigstens teilweise mitzuspielen.

Welche Funktion haben die jeweiligen Kreisverbände vor dem Hintergrund der aktuellen Lage? Und wer ist für die Vereine überhaupt erster Ansprechpartner?

Die Mitglieder des VMB-NRW sind die Kreisverbände. Wir arbeiten mit dezentralen Verantwortlichkeiten. Die Kreisverbände werden von ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern geleitet. Hier liegen die fachlichen Schwerpunkte in der Zusammenarbeit der Vereine. Bei Schulungen der Mitglieder unterstützen sie die Vereinsmitglieder. Lehrgänge im Bereich D1 und D2, bei großen Kreisverbänden auch im Bereich D3. Der erste Ansprechpartner der Musikerinnen und Musiker ist immer eine Person im Kreisverband. 

Die Landesgeschäftsstelle des VMB-NRW übernimmt Serviceaufgaben. Sie ist die Zentrale für die Organisation der landesweiten Kommunikation. Über die regelmäßigen Newsletter und über die homepage haben wir in der aktuellen Situation die Bedarfe der einzelnen Vereine erfragt, teils über die Kreisverbände teils direkt. Die Auswertungen gab die Geschäftsstelle weiter an die helfenden Organisationen in NRW und an die bundesweiten Dachverbände. Die jeweils aktuellen Hinweise und Veröffentlichungen der Behörden geben wir über die Geschäftsstelle an die Kreisverbände und Vereine an die einzelnen Mitglieder.

Mitte Juni haben wir auf Bitte des Landesmusikrates eine Umfrage bei den einzelnen Vereinen durchgeführt zum Thema Wiederaufnahme des Probebetriebs in den Vereinen. Mit Hilfe einer Umfrage- und Auswertesoftware erzielten wir innerhalb von 5 Tagen eine Rücklaufquote von über 63 %.  

Unter dem Titel Aktuelle Informationen zur Coronakrise informiert die homepage über den aktuellen Leitfaden zum Hygienekonzept und über das Thema Proben und Auftritte.

Diese heutige Struktur des VMB-NRW basiert auf alten gewachsenen Zusammenschlüssen von Musikvereinen. In der Einladung zur Gründungsversammlung des Sauerländer Musikbundes am 14.10.1956 heißt es: „Auf Anregung mehrerer Musikvereine bzw. Kapellen sind wir gebeten worden, einen Zusammenschluss anzustreben, wie er bei anderen Kultur-und Sport treibenden Vereinen schon lange besteht.“ 

Weitere Zusammenschlüsse entstanden überwiegend im ländlichen Raum. In den beiden Landesteilen entstanden die Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe Diese fusionierten im Jahre 1990 zum heutigen Volksmusikerbund NRW e.V.

Wo finden Vereine denn momentan Hinweise über aktuelle Hilfsangebote oder Antworten auf aktuelle Fragen?

Wie immer über ihren Kreisverband und auf unserer Homepage, sowie durch unseren Newsletter. Dort haben wir auch links zu den Homepages der beteiligten Behörden. Partner im Netzwerk der Laienmusikverbände arbeiten zusammen im LMR. Briefe und Newsletter vom Kulturrat und LMR gehen über die GST an die KVs weiter an Vereine über die Homepage.

Schwierig und arbeitsreich waren vor allem die ersten Tage der Coronabestimmungen, als viele Vereine plötzlich vertragliche Verpflichtungen, wie Konzerte mit bereits verkauften Eintrittskarten und verpflichteten Solisten, oder Probewochenenden mit Dozentenverpflichtungen und Buchungen bei Beherbergungsbetrieben, nicht mehr erfüllen durften. Da mussten in Zusammenarbeit mit dem LMR Lösungen gefunden werden. Wir konnten die Probleme der Laienmusik an die Politik herantragen.

Der Landesmusikrat NRW fördert mit Landesmitteln Jahr für Jahr an die 250 Musikprojekte vor allem in der Laienmusikszene und auch hier hat die Corona-Krise zu großen Problemen geführt. Die Zuschüsse zu viele Projekte waren bewilligt, die Projekte durften aber nicht mehr durchgeführt werden. Der Erlass vom 23. März bahnt hier pragmatische Wege: Ausgaben für nur teilweise oder nicht durchgeführte Veranstaltungen und Projekte sind zuwendungsfähig. Und die bewilligenden Stellen dürfen Einnahmeausfälle und erhöhte Ausgaben durch Verschiebungen mit einer erhöhten Zuwendung kompensieren.

Für viele Vereine brechen aufgrund abgesagter Veranstaltungen wichtige Einnahmequellen weg. Trotzdem hat auch jeder Verein seine Fixkosten – unter anderem etwa für GEMA oder Versicherungen. Was wird hier auf die Vereine noch zukommen? Können die Vereine auf finanziellen Erleichterungen hoffen?

Unsere interne Erhebung im VMB mit dem Titel „Einnahmeausfälle“ startete am 30. März per Email aus unserer Geschäftsstelle. Neben GEMA und Versicherungen wurden uns die folgenden Kosten genannt: 

  • Stornierungskosten wegen ausgefallener Probewochenenden in JHV s
  • Mieten und Nebenkosten für Proberäume
  • Zinsen und Tilgungen für eigene Probenräume
  • Löhne für Unterrichtende
  • Reparaturen von Instrumenten
  • Wegfall von Einkommen wegen Ausfall von Schützenfesten und Konzerten im Frühjahr und Sommer

Als mögliche Lösungsansätze wurden genannt:

  • Vernetzung in den Orten
  • Musikgruppen, die Feierlichkeiten wie Prozessionen der Kirchengemeinden und Feiern der politischen Gemeinden mitgestalten, gewinnen dadurch an Ansehen und können so leichter Unterstützung durch Spenden aus der Bevölkerung erhalten. 

Es sind viele kreative Ideen zur digitalen Spendensammlung aufgetaucht. 

Was würden Sie sich persönlich von der Politik, aber auch von den Vereinen wünschen?

Ansprechpartner aus der Politik sind für uns im Wesentlichen Ministerien, Bezirksregierungen und nachgeordnete Stellen.

Den vielen ehrenamtlichen Musikerinnen und Musikern Im Lande würde helfen: Unterstützung beim Vereinsmanagement, z.B. Übernahme von Versicherungen bzw. Versicherungsbeiträgen

Unterstützung der Vereine in den Kommunen bei der Vereinsverwaltung z.B. bei der Beantragung der Hilfen 

Von den Vereinen: In einer großen Anzahl unserer Mitgliedsvereine steht das Musizieren im Mittelpunkt. Das ist auch der Schwerpunkt im Alltag. Bei dieser Pandemie wird deutlich, dass ein Vorstand innerhalb kurzer Zeit vor ganz anderen Aufgaben steht. Viel verwaltungsorientierte Arbeit kommt plötzlich dazu.  Anträge ausfüllen ist nicht unbedingt angenehm, wenn man das als Vorstandsmitglied bisher selten oder nie tun musste. Durch mehr Flexibilität in der Aufgabenteilung im Verein und Hinzubitten von weiteren Mitgliedern könnte die Vereinsverwaltung besser organisiert werden.