Orchestra | Von Klaus Härtel

Renold Quade über das Landesblasorchester NRW

Landesblasorchester NRW

Seit dem Jahr 1995 ist Renold Quade künstlerischen Leiter und Chefdirigent des Landesblasorchester NRW. Unter seiner Führung entwickelte sich das Orchester zu einem herausragenden Ensemble sinfonischer Blasmusik in Nordrhein-Westfalen. Renold Quade hat die Messlatte für das Orchester sehr hochgelegt: “Wir möchten zeigen, welch enormes kulturelles Potenzial und welche künstle­rischen Möglichkeiten in der konzertanten Blasmusik stecken.” Jetzt hört er auf. 

Nach fast 30 Jahren als Dirigent beim Landesblasorchester NRW – welche Momente oder Aufführungen bleiben Ihnen besonders in Erinnerung und haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen?

Es sind beileibe nicht nur die “großen Momente”. Natürlich sind etwa die China-Reisen, Wettbewerbe in Prag, Bamberg und Trossingen, “Metropolis” in der Kölner Philharmonie, TV-, Hörfunk- und CD-Produktionen, Solistenkonzerte, die Partnerschaft mit dem Musikkorps der Bundeswehr, Musikfeste, Uraufführungen oder erst gerade jetzt die Filmproduktion unvergessliche Meilensteine. Solche Höhepunkte sind für alle im Orchester gleichermaßen unverzichtbar. Der Mensch – so ganz im allgemeinen und speziell natürlich auch ein Orchester – braucht Ziele und Herausforderungen. Nur so gelingt es, Energie, Motivation, Ehrgeiz, Freude und musikalische Freundschaft zu entfachen.                 

Es sind aber vielleicht noch viel wichtiger, eben auf dem Weg zu diesen Höhepunkten, die “kleinen Momente des Glücks”, die in Proben und in ganz normalen Konzertsituationen erreicht werden. Immer, wenn etwas herausragend gut läuft und die Mannschaft sich in den Himmel spielt. Das kann man nicht “erzählen”, man darf das nur “erleben” und “spüren”. 

Wie hat sich die Dynamik und die Beziehung zu den Musikerinnen und Musikern im Laufe der Jahre entwickelt, und gibt es bestimmte künstlerische Höhepunkte, die Sie als besonders bedeutend betrachten?

Wir waren uns immer einig, dass “schneller, höher, weiter” nicht unsere Antriebsfeder ist. Natürlich suchen wir alle etwas “Besonderes”, suchen Qualität, wenn wir uns aus ganz NRW auf den Weg zu Proben und Konzerten aufmachen. Da betreibt ein jeder großen Aufwand und da kommen in Summe mal schnell 10 000 Kilo­meter Anreise zu einem Termin zusammen. Musikalisch an Grenzen gehen, ja, aber sie nicht permanent überschreiten. Das Repertoire für große Konzertblasorchester ist so vielfältig wie die Aufgabenprofile, die an uns herangetragen werden. Vom Konzert in der Philharmonie in Essen bis zur festlichen Verleihung der Zelter-Plakette in Leverkusen oder vergleichbare Jubiläumseinladungen im Sauerland. Wir wollen immer überraschen, faszinieren, hochwertig abliefern, aber auch das Publikum mitnehmen und gemeinsam mit ihm Spaß an vielen Nuancen der Musik haben. 

Landesblasorchester NRW
Verleger Gerd Außem (links), Komponist Guido Rennert (rechts) und Dirigent Renold Quade bei den Aufnahmen.

Ein Auswahlorchester ist ein “Durchlauferhitzer”, und über die Jahre haben viele, viele Musikerinnen und Musiker diese Ideale mitgetragen. Ich bin jedem dafür unendlich dankbar. Wir haben uns alle viel gegeben und haben alle viel zurückbekommen. Egal wo wir gespielt haben.

Welche Veränderungen haben Sie in der Welt der Musik und im Orchesterbetrieb während Ihrer Amtszeit bemerkt, und wie haben diese Veränderungen ihre Herangehensweise an die Musik beeinflusst?

Puh, das ist in diesem Interview-Format eher nicht so leicht und kompakt zu beantworten. Was natürlich auch unser Tun beeinflusst, ist – gesamtgesellschaftlich gesehen – die große Bandbreite der Möglichkeiten. Und das ist durchaus sowohl Segen als auch Fluch. Nein, ich möchte nicht zu den »alten weißen Männern« zählen, die lediglich zurückblickend alles besser wissen und ich bin auch nicht der Überzeugung, dass früher alles besser war. Was ich aber klar für mich feststellen möchte, ist, das heute definitiv nicht alles, was irgendwie geht oder “aufploppt”, auch besser ist. Es gab schon immer viele, aber noch nie so viele “richtig”. 

Unser Geschäft, die praktische Musikausübung auf traditionellen Instrumenten, ist immer noch eine eher analoge Angelegenheit und muss rein mit Kopf, Hand, Fuß und Luft praktiziert werden. Tolle Instrumentenentwicklungen, digitale Unterstützung in der Kommunikation oder zum Beispiel in der Musikausbildung sind definitiv ein Segen. Ein kluger Mix im Umgang und in der Pflege unserer Notwendigkeiten ist aber das, was uns voranbringen wird und uns weiter neue Türen öffnen wird. Beliebigkeit, zu starke Abhängigkeiten von Modeerscheinungen, ein Schwinden und Degenerieren von elementaren Sinneswahrnehmungen, das Unterschätzen der Wichtigkeit von wiederkehrenden Arbeitsprozessen beim Musizieren, das Vernachlässigen wie das Überhöhen von Traditionen, … mir fallen da noch viele Aspekte ein, deren aktuelle Entwicklungen mir durchaus Sorgenfalten auf die Stirn treiben.

“Wir brauchen Geduld, viel gemeinsame Zeit und besonnen auf- und miteinander abgestimmtes Handeln, um unsere Ideen und Fähigkeiten gut entwickeln zu können.”

Nicht, dass es nicht schon zu allen Zeiten Brüche gab. Mich treibt aber eine Sorge um ob der Rasanz und der Dimension unserer Tage. Wir sind und bleiben Ausdauersportler und es macht Sinn, sich dessen bewusst zu sein. Wir brauchen Geduld, viel gemeinsame Zeit und besonnen auf- und miteinander abgestimmtes Handeln, um unsere Ideen und Fähigkeiten gut entwickeln zu können.

Mich beunruhigen tendenziell von Schnelllebigkeit getriebene, aus dem Boden gestampfte »Events«, denen allzu leicht so etwas wie Seele abhandenkommen kann. In meiner hauptberuf­lichen Eigenschaft als Musiklehrer, und da bin ich in meiner Zunft sicher nicht der Einzige, muss ich, bei inhaltlich eigentlich konstanten Grundanforderungen in Sachen Kommunikation immer wieder neu reagieren, nuancieren und meine Klientel neu verstehen. Bei Auswahlensembles werden diese Phänomene zukünftig auch stärker ankommen. Das ein oder andere durchaus lang bewährte Organisationsformat halte ich daher für überdenkenswert. 

Wie möchten Sie Ihre “musikalische Erbschaft” und Ihren Einfluss auf das Orchester sehen, wenn Sie auf diese fast 30 Jahre zurückblicken, und welche Ratschläge würden Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?

Charakter, Empathie und Kompetenz sind und bleiben Trumpf. Ich brauche keiner Nachfolgerin und keinem Nachfolger kluge handwerkliche Ratschläge zu geben, wie er/sie seinen/ihren Job zu machen hat. Da hat meine Generation insgesamt doch recht gute Vorarbeit geleistet und gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker hervorgebracht. 

Ich habe im LBO NRW, wie sagen die Schweizer so schön, um “Demissionierung” gebeten, weil frische Akzente langfristig angelegt sein müssen. Für mich, nicht nur nach den so mühsam wie erfolgreich überwundenen Coronazeiten, lag der Ball nach 28 Jahren mit dem tollen Abschluss des CD- und Filmprojektes quasi auf dem Elf­meterpunkt. Ich musste ihn im Sinne eines guten Überganges für alle »nur noch reinmachen«. Einen schöneren, harmonischeren und sinnhafteren Zeitpunkt konnte ich nicht finden. 

Und was machen Sie nun ohne dieses Orchester?

Wer glaubt, dass mir diese ach so konsequente und kluge Entscheidung menschlich leichtgefallen ist, der irrt. Auf der letzten Probe, bei der herzlichen Verabschiedung von den Musikerinnen und Musikern habe ich geheult wie ein Schlosshund und mich keiner Träne geschämt. Auch das war einer der besonderen LBO-­Momente. Unsere Gemeinschaft hat sich auch als Sozialgemeinschaft immer bewährt. Engagiert, sich inhaltlich ständig erneuernd, wenn es sein musste gerne auch mal streitbar, aber am Ende immer geeint, konnten wir herausragend agieren. 

Natürlich werde ich dem LBO NRW und dem Volksmusikerbund NRW, wer hätte das gedacht, weiterhin eng verbunden sein. Es wechselt halt nun Funktion und Perspektive. Hauptberuflich bin ich weiterhin mit vielen Aufgaben in der Musikschule Düren betraut, wovon mir das Orchester SBO eine meiner liebsten ist. Und natürlich musiziere ich als Posaunist weiterhin in Ensembles wie etwa “Eifelblech”. Ich werde auch weiterhin als Dozent und Beobachter in der Szene aktiv sein und mich über jeden schönen Ton, den mein Ohr erreicht, von Herzen freuen.