Wood | Von Klaus Härtel

Asya Fateyeva spielt Beatles. Darf die das?

Asya
Asya Fateyeva (Foto: Marco Borggreve)

Dass die Beatles eine der einflussreichsten Bands der jüngeren Musikgeschichte sind, dürfte Konsens sein. Dass Lennon/McCartney die großartigsten Songs ­geschrieben haben, die je geschrieben ­wurden, ist zumindest dem Autor dieses Beitrags klar. Und jetzt nimmt sich die Berliner lautten compagney mit “Time Travel” die “Fab Four” vor und bringt sie mit Henry Purcell zusammen. Solistin und Melodiestimme der Beatles-Hits ist die Saxofonistin Asya Fateyeva. Da stellt man sich die Frage: Darf die das? Wir organisieren gleich mal ein Video-Interview und fragen ganz direkt: Darf man das?

Beatles und Purcell. Pop und Barock. Darf man die Klassiker der Beatles – und das sind in meinen Augen fast alle ihre Songs – verfremden, neu interpretieren, in die Barockzeit “übersetzen”?

Die meisten Arrangements der Beatles-Songs hat Bo Wiget geschaffen. Ich finde das ganz toll! Er hat sie so arrangiert, dass sie wirklich gut zum Ensemble passen. Die Beatles-Bearbeitungen kann man als Kommentare, eigene Meinungen oder auch Reflexionen sehen. Durch eine Be­ziehung zum Song sowie eigene Ge­danken ­wurde quasi ein Filter darübergelegt. Einiges wird “vermollt” und besticht durch zusätzlichen Humor.

Asya Fateyeva

Wir hatten nie vor, eine Eins-zu-Eins-­Cover-Version anzubieten. Meiner Meinung nach haben unsere Versionen mit diesem persön­lichen Touch auf jeden Fall ihre Berechtigung. Wir machen unsere eigene Aussage. Vor allem sind wir ja nicht in einem Wettbewerb, irgend­etwas gleich gut oder gar besser als die Beatles machen zu wollen. Dahingehend ist es eben nur ein Kommentar und sicher auch eine Hommage, um Respekt zu zeigen. Wir zeigen mit unserer Version: “Wir lieben das auch! Sogar so sehr, dass wir es so verinnerlicht haben, um es zu kommentieren.” 

Seit über 50 Jahren gibt es die Beatles nicht mehr als Band. Ihre Musik aber ist allgegenwärtig. Welche Beziehung hast du zu den Beatles? 

Ich bin nicht Teil der Beatlemania gewesen, das stimmt. (lacht) Aber natürlich kennt man die Bilder, wie die Fans wie verrückt geschrien haben. Ich mag die Beatles schon sehr lange. Als Kind war mein Lieblingssong “Michelle”. Den habe ich wirklich in Dauerschleife hunderte Male gehört. Auch mein Mann und ich haben unseren gemeinsamen Song: “Here comes the Sun”. Solche Songs wählt man zunächst unbewusst aus, aber das zeigt: Die Beatles waren und sind immer da. Und das gilt für all die anderen Songs natürlich auch. Man singt gemeinsam mit Freunden, man erlebt sie, egal aus welcher Generation man ist.

Für das Album wurden Songs ausgewählt, die nicht tagtäglich im Radio laufen. Jeder kennt “Let it be”, “Hey Jude” oder “Strawberry Fields Forever”. Ich denke, dass Songs wie “Another Girl”, “Because”, “Tomorrow never knows” nicht unbedingt die bekanntesten Beatles-Songs sind. Wurden für das Projekt bewusst unbekanntere Songs gewählt?

Ja, auf jeden Fall. Genau das war unsere Über­legung! “Tomorrow never knows” war wirklich lustig. Dieses Arrangement hat nicht Bo Wiget geschrieben, sondern unser Schlagzeuger Peter A. Bauer. Der kommt eher aus dem Jazz und brachte genau eine Zeile mit. Er hat erklärt, dass er ein bisschen dies und ein bisschen das haben möchte. Das zu machen war wirklich cool, weil ich keine Jazz-Saxofonistin bin. Ich fand es total spannend, das mal zu erleben. Ich brauchte zwar ein paar Anläufe, aber durfte wirklich machen, was ich wollte. Die Herangehensweise war total frei. Wir haben einfach eine Idee genommen und damit gespielt. Das war ein künstlerischer Spaß!

Foto: Marco Borggreve
Wie war die Herangehensweise an die anderen Songs? 

Die anderen waren für das Ensemble ausnotiert. Wir haben schon immer wieder ein bisschen ausprobiert, was geht und was nicht. Mal wurde mit Harfe oder Orgel begleitet, bei “Because” unterstütze ich nur mit Saxofon. Wir haben versucht, so zu denken, wie sie damals gedacht ­haben. Die Beatles waren ja fast schon revolu­tionär. Für “Being for the Benefit of Mr. Kite!” haben sie im Archiv der Abbey Road Studios Tonbänder mit Ausschnitten von Märschen, gespielt von Dampf- und Jahr­markts­orgeln, gefunden. Da wurde gebastelt und zusammengeschnitten. Und unsere Idee war eben, wirklich so zu denken wie sie damals. 

Wenn man heute Songs neu interpretiert, geht es oft in die “moderne” Richtung. Es entstehen Remixe, die etwa mit einer Bassdrum oder Loops unterlegt sind. Ihr aber habt die Beatles nicht “nach vorne” übersetzt, sondern eher “nach hinten” in die Vergangenheit und sie mit Henry Purcell zu­sammen­gebracht. Wie findet man die gemeinsame Sprache zwischen Barock und Pop? Schließlich trennen diese Epochen etwa 300 Jahre.

Die lautten compagney ist ein Spitzenensemble und deshalb war das gar nicht so schwer. Wir haben uns auch nicht übermäßig viele Gedanken gemacht, diese Sprache zu finden. Barock ist kein Museumsexponat! Das war und ist sehr lebendig! In der Barockmusik konnte man sich sehr viel Freiheit erlauben. Es war möglich, viel zu improvisieren, sich die verschiedensten Ornamente zu nehmen. Einfach so, wie in der Popmusik heutzutage. Da ist Pop schon sehr nah am barocken Spirit. Viel näher auf jeden Fall als an klassischer Musik. Und dieser Spirit hat sehr ­viele Gemeinsamkeiten, sodass das echt selbstverständlich war.

Der Spirit ist die große Gemeinsamkeit zwischen Purcell und Lennon/McCartney? Vordergründig ist die Gemeinsamkeit ja sonst nur, dass es sich um Komponisten aus England handelt…

Es ist der Spirit! Beides ist so zugänglich, es groovt. Diese Musik ist da für Leute, die ein-
fach ge­nießen möchten. Es sind Gassenhauer. Schon Henry Purcells Tunes wurden nach­ge­sungen und überarbeitet. Wie bei den Beatles 300 Jahre später. Die Menschen brauchen immer Musik.

Die lausten compagney mit Asya Fateyeva (Foto: Ludwig Olah)
Das Saxofon liegt rein historisch betrachtet irgendwo zwischen Barock und Pop, wurde 145 Jahre nach Purcells Tod erfunden und 120 Jahre vor dem Auftauchen der Beatles. Purcell kannte es also noch nicht, die ­Beatles haben es nur gelegentlich verwendet, in “Lady Madonna” beispielsweise. Kann man das Saxofon deshalb als eine Art Bindeglied zwischen den beiden Epochen ansehen?

Gute Frage. Ich denke: ja, das kann man so ­sehen. In der Barock-Zeit war es in der Praxis oft so, dass man die Instrumente gespielt hat, die eben gerade vor Ort waren. Und genau so hat man auch komponiert. Es wurde für ein Melodieinstrument komponiert – allerdings ohne Präzision, für welches genau. Deswegen passt Saxofon so gut dazu, denn es ist eine Mischung aus Zink, Flöte, Oboe, allem Möglichen. (lacht) Diese Mischung ist sehr faszinierend und vom Geist her passt es wunderbar. 

Was entgegnest du Puristen, die nur rein die Musik der jeweiligen Zeit mögen? Diskutierst du mit denen? Muss man sich da recht­fer­tigen? Oder soll einfach jeder hören, was er gerne hört?

Ich finde schon, dass jeder das hören soll, was er gut findet. Aber es wäre für mich schade, nichts anderes auszuprobieren. Mit einer solchen Eingrenzung beraubt man sich doch ge­radezu selbst! Ein breiteres Feld ist spannend. Und was ist “reiner Barock”? Die Instrumente von damals haben ja kaum überlebt. Selbst die Musik des 20. Jahrhunderts wurde teilweise noch mit anderen Instrumenten gespielt. Es ist alles nicht so puristisch, wie man denkt. Ich finde, dass Musik leben soll. Sie wurde von lebenden Menschen komponiert – für lebende Menschen! 

Ist das auch der Grund, warum du dich nicht auf ein Genre festlegst? Du spielst Barock, Klassik und Jazz… Und du darfst die Beatles neu interpretieren?

Ja! Auf jeden Fall! Die Musik lebt!

Zum Vergleich: die lauten compagney und die Beatles mit “Another Girl”