Wood | Von Klaus Härtel

Gemischtes Quartett

Für Saxofonquartette gibt es heute eine reichhaltige Spielliteratur. Sie umfasst Bach-Fugen genauso wie Dance-Hits, Swing-Arrangements ebenso wie neue Kammermusik. Das Problem ist nur: Manchmal findet man partout nicht die richtigen Leute, um ein komplettes Saxofonquartett zu bilden. Der eine oder die andere ist vielleicht nicht gut genug für die eigenen Ansprüche, hat zu wenig Zeit für Proben im Ensemble oder harmoniert einfach menschlich nicht optimal. Bevor man nun aber die Idee eines Quartettprojekts gleich wieder aufgibt, sollte man sich fragen: Müssen es denn wirklich vier Saxofone sein? Lassen sich nicht vielleicht eines oder zwei der Saxofone durch andere Blasinstrumente ersetzen? Könnten dabei möglicherweise sogar ganz neue Klang- und Spielideen entstehen? Ausprobieren!

Das Quatuor Mixte de Lyon wurde 1979 gegründet. Es bestand aus zwei Saxofonisten und zwei Blechbläsern an Trompete und Posaune. Diese ungewöhnliche Mischbesetzung entstand allerdings nicht deshalb, weil zum Saxofonquartett zwei Saxofonisten gefehlt hätten. Den Kern des Quartetts bildeten vielmehr die beiden Brüder Félix und Roger Michel-Frédéric – Trompeter der eine, Saxofonist der andere. Ich stelle mir vor, dass die beiden von klein auf gemeinsam musiziert hatten und mit der Kombination von Trompete und Saxofon bestens vertraut waren. Um diese Kombination etwas vielseitiger zu gestalten, holten sie sich dann einfach aus dem Umfeld des Lyoner Konservatoriums jeweils einen Instrumentalkollegen dazu. Georges Aubert, der Posaunist, startete damals gerade in dem Ort Villefranche bei Lyon eine Bigband, die noch heute besteht. Gilles Raymond, der vor allem Altsaxofon spielt, leitet heute ein eigenes Jazzquartett und ist Mitglied des Quatuor de Saxophones de l’Océan Indien.

1986 entstand die einzige Platte des Quatuor Mixte de Lyon – sie wurde bereits digital aufgenommen. Die Formation hatte damals immerhin schon eine Reihe von Auslandsauftritten absolviert, unter anderem in Minsk, Istanbul, Damaskus, Athen und Nürnberg. Stilistisch bewegte sich das Quartett im Grenzbereich zwischen Neuer Musik und komponiertem Jazz. Improvisierte Teile, zusätzliche Percussion und Sound-Zuspielungen vom Band sorgen auf der Platte für weitere Abwechslung. Zwei der Stücke des Albums stammten von Félix Michel-Frédéric, dem Trompeter des Quartetts: »Les Éléments«, ein musikalisches Porträt der vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft, und »Les Effets« mit einem eingestreuten Kanon auf diversen Perkussions-Instrumenten. Auch ein drittes Stück, »Géométries«, war speziell fürs Quartett geschrieben, und zwar von niemand Geringerem als Lucie Robert-Diessel, der Rom-Preisträgerin von 1965. Der Mittelsatz ihres Stücks heißt »En deux duos successifs«: einem Duo der Saxofone folgt ein Duo der Blechbläser, beide sparsam begleitet. Lucie Robert-Diessel hat zahlreiche Werke für Bläser komponiert, vor allem fürs Saxofon, aber auch ein Quartett für vier Tuben.

Das letzte Stück der Platte schließlich ist die Adaption eines Werks für Saxofonquartett – es geht also! Der Jazzmusiker Phil Woods komponierte »Three Improvisations« im Jahr 1962. Wer den Altsaxofonisten kennt, entdeckt in der Musik einige für ihn typische Figuren. Komplette Einspielungen seiner Komposition gibt es unter anderem vom New York Saxophone Quartet, vom Prism Quartet und vom Quartetto di Sassofoni Accademia. Das »gemischte Quartett« aus Lyon beschränkt sich hier auf den ersten Satz (»Presto«) und geht ihn dabei recht gemütlich an. Letzteres schadet jedoch nicht: Das entspannte Tempo verleiht dem Stück eine erdige Medium-Swing-Färbung. Außerdem haben die Lyoner eine Improvisation des Sopransaxofons eingebaut – warum auch nicht?