Für Generationen von Blechbläserinnen und Blechbläsern war das Üben mit dem Mundstück ein wesentlicher Aspekt ihrer Überoutine. Mittlerweile ist es bei vielen Musizierenden aber in Verruf geraten. Rémi Gaché findet, dass es sich trotzdem lohnt – wenn man dabei fünf entscheidende Fehler vermeidet!
Samstagnachmittag, Philharmonie von Paris, Probe. Neue Noten werden verteilt und ich werfe einen kurzen Blick darauf, während ich mein Eufonium aus dem Koffer hole. Takt 26: eine lange Phrase in hoher Lage, die piano gespielt werden muss. Ich weiß, dass in hoher Lage leise zu spielen nicht meine Stärke ist und ich hatte keine Zeit, mich aufzuwärmen. Schnell hole ich mein Mundstück heraus und beginne damit, ein paar Noten mit dem Mundstück zu summen, um mich aufzuwärmen, während die anderen Musikerinnen und Musiker sich unterhalten, sich hinsetzen und ihre Instrumente herausholen.
Vor einer Probe herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Jeder bereitet sich vor, ein Musiker spielt ein paar Töne, ein anderer erzählt von seinem gestrigen Konzert, ein dritter bricht in Gelächter aus. Es ist eine Musik vor der Musik. “Warum summst du denn? Du spielst ja Tuba, nicht Mundstück!”, ruft mir mein Trompetenkollege zu. Ich zucke mit den Schultern und antworte ausweichend, dass ich mich aufwärmen muss.
Wir beginnen mit der Probe und bald kommen wir zu der Passage, vor der ich mich gefürchtet hatte. Das Tempo ist langsam und es ist sehr schwierig, ein Legato in dieser Höhe mit einer Nuance piano zu bewältigen. Ich darf mir keine Fehler erlauben. Zu viel Luft und schon wird es zu laut. Zu wenig und ich setze mich der Gefahr aus, einen Ton zu verpassen. Die Instrumentierung verdünnt sich, jetzt bin ich dran. Ich höre den Klang meines Instruments, der deutlich im Raum hallt. Endlich endet der Satz und alles ist gut gelaufen. Der Trompeter schaut mich an und mimt mit seinen Händen ironisch ein Herz, der Klarinettist setzt das Thema fort und ich denke: “Gut, dass ich vor dem Spielen ein paar Töne am Mundstück summen konnte.”
Diese Anekdote erwähne ich, um eine Situation zu schildern, die uns allen schon tausendmal passiert ist: eine Probe ohne Aufwärmen, ein riskantes Blattspiel… Aber ich möchte die Aufmerksamkeit auf ein Detail lenken: Ist der “Buzz”, die Arbeit am Mundstück, wirklich effektiv? Hat er die positiven Eigenschaften, die man ihm normalerweise zuschreibt?
“When you practice on the mouthpiece, you practice a horrible sound.” In einem kurzen Video stellt Christian Lindberg die Lehrmethode mehrerer Generationen von Blechbläserinnen und Blechbläsern infrage, die aus dem “Buzz” einen Eckstein ihres Übens gemacht haben. Für ihn sind das Üben am Mundstück und das Üben am Instrument zwei völlig verschiedene Dinge: das Erste hilft bei dem Zweiten gar nicht. Er ist einer der einflussreichsten Posaunisten des 20. Jahrhunderts und hat mit der Arbeit am Mundstück aufgehört, als er 23 war. Mit ein paar lakonischen Sätzen und einem Lächeln zerstört Lindberg den “Buzz” und seine positiven Effekte.
Positive Aspekte
Lindberg ist nicht der Einzige, der die Arbeit am Mundstück infrage stellt. Nach meiner Erfahrung gibt es aber auch positive Aspekte:
- Der “Buzz” macht es möglich, vom Instrument Abstand zu nehmen und sich auf die wesentlichen Punkte des Übens zu konzentrieren, wie zum Beispiel die Atmung und den Lippenansatz.
- “The instrument stimulates the old ways” (Arnold Jacobs). Das Instrument verleitet dazu, alte Gewohnheiten zu reproduzieren. Mit dem Mundstück kann man sich von den alten Gewohnheiten lösen und neue aufbauen.
- Das Instrument verstärkt und verschönert den durch die Lippen erzeugten Klang. Ohne das Instrument muss man die richtige Tonhöhe finden und die Intervalle mit absoluter Präzision spielen. Dies erfordert ein sehr gutes inneres Gehör.
- Es ist eine Übung, die die Zunge und die Lippen sehr stark beansprucht. Deshalb kann man den Klang auf dem Instrument nach einer »Buzz-Session« viel besser kontrollieren.
Fehler vermeiden
Bei der Arbeit am Mundstück muss man jedoch darauf achten, dass man bestimmte Fehler vermeidet:
1. Fehler: Die Lippen zu sehr zusammenzupressen.
Das Instrument ist nicht nur ein Resonator, sondern erzeugt auch einen leichten Widerstand, der die Vibration der Lippen ermöglicht. Die Resonanz sorgt dafür, dass diese Schwingung aufrechterhalten wird. Fehlt dieser Resonator, muss man sich zusätzlich anstrengen, um die Lippen in Schwingung zu versetzen. Christian Lindberg zeigt dies in seinem Video: Er spielt ein mittleres F und hebt seine Lippen vom Mundstück ab, während er weiterbläst. In dem Moment, in dem seine Lippen das Mundstück nicht mehr berühren, verschwindet die Vibration. Später im Video spielt er den Ton mit dem Mundstück und während er spielt, steckt er das Mundstück in die Posaune: Der Ton ist geschlossen und verstopft. Die Arbeit mit dem Mundstück erfordert eine zusätzliche Anstrengung der Lippen. Beim Üben ist es wichtig, die Lippen nicht zu fest zusammenzupressen, damit der Klang auf dem Instrument nicht geschlossen und gedämpft ist.
2. Fehler: Hals und Nacken eng halten und die Kiefermuskeln anspannen.
Der Summton entsteht ohne den Widerstand des Resonanzkörpers (das Instrument). Wenn dieser Widerstand nicht vorhanden ist, sollte man nicht versuchen, künstlich einen neuen Widerstand zu erzeugen. Die Halsmuskeln müssen gut entspannt, der Kiefer locker und der Hals offen sein. Dazu muss das System Hals-Kehle-Kiefer bei der Einatmung bereits vollständig entspannt sein.
3. Fehler: Das Mundstück in einem neuen Winkel ansetzen.
Damit die Arbeit am Mundstück mit dem Spiel auf dem Instrument effektiv wird, sollte man das Mundstück im selben Winkel halten, in dem man auch spielt. Es gibt kleine Zubehörteile, die am Mundrohr befestigt werden und mit denen man summen kann, während man die gewohnte Spielposition beibehält. Dadurch kann man auch den Fingersatz der Note spielen, während man summt, um noch näher an die Realität des Instrumentalspiels heranzukommen.
4. Fehler: Einen “schönen” Klang beim Summen anstreben.
Die Musikerin bzw. der Musiker baut die Klangqualität in Bezug auf ihr bzw. sein Instrument auf. Diese Arbeit muss mit dem Instrument und nicht mit dem Mundstück erfolgen – egal welche Klangqualität angestrebt wird. Aber: Nebengeräusche und eventuelle Doppelklänge beim Summen loszuwerden kann die Tonqualität am Instrument verbessern.
5. Fehler: Zu viel “Buzz” üben.
Intensives Üben mit dem Mundstück wird dazu führen, dass man sich an eine Realität gewöhnt, die ganz anders als das Spiel mit dem Instrument ist. Wer zu viel mit dem Mundstück übt, läuft Gefahr, sich unbemerkt eine schlechte Angewohnheit anzueignen. Nach einer “Buzz-Session” sollte man immer versuchen, das, was man am Mundstück geübt hat, auf das Instrument zu übertragen. Man darf das Wichtigste nicht vergessen: den Klang, der aus dem Schallstück kommt!
Für mich hat das Üben am Mundstück eine wichtige Rolle in meinem Lernprozess gespielt; es hilft mir, mir bestimmter Details meines Spiels bewusst zu werden, es hilft mir, mich unauffällig aufzuwärmen und – wie in der Philharmonie – es beruhigt mich. Es gibt einige Fehler, die man bei dem Üben am Mundstück unbedingt vermeiden sollte, aber vor allem sollte man bedenken, dass es nicht unbedingt notwendig ist und dass es Alternativen gibt, wie zum Beispiel Singen und Visualizer. Beim Singen verbessert man seine Musikalität und schult sein Gehör. Der Visualizer, ein einfacher Metallring, hilft, den Lippenansatz zu verbessern und zu überprüfen, ob die Lippen symmetrisch sind.
Viel Spaß beim Summen!