Brass, Orchestra, Wood | Von Stefan Dünser

Durch Fehler lernen wir!

Fehler
Cartoon: Martin Rhomberg

In der Schule haben wir gelernt: Fehler sind “falsch”, und darum müssen wir sie vermeiden. Dabei sind sie die großartigste Lernhilfe überhaupt – weil sie uns einen Weg zeigen und keine fertige Lösung, das ist viel effizienter und nachhaltiger. Die Kids haben kein Problem damit, durch Fehler zu lernen, nur wir Erwachsene neigen dazu, ihnen dieses fantastische Lerntool zu vermiesen.

Zum Anfang: Der Fehler ist die größte “Erfindung” der Natur. Ohne Fehler, in diesem Fall spontan auftretende Fehler in der Genreproduktion, wären wir über das Stadium eines Einzellers nie hinausgekommen. Die Entwicklung vom Primaten zum Homo sapiens in der afrikanischen Savanne konnte nur funktionieren, weil diese Genfehler immer wieder auftraten und sich für unsere Spezies positiv ausgewirkt haben. Beim Lernen eines Instruments ist das genau gleich. Lernen über Versuch und Irrtum ist »natürlich« und effizient.

Thomas Watson, der Gründer von IBM, sagte einmal: “Wenn du Erfolg haben willst, dann verdoppele deine Fehlerrate.” Ein erfolgreicher Mensch ist einer, der 10 000-mal hingefallen ist und 10 001-mal aufgestanden ist. Klingt das in ihren Ohren übertrieben?

Wie erlernt ein Kind das Gehen? Genau – “von Fall zu Fall”. Was den Erfolg bringt, sind genügend Fehlversuche, die so oft toleriert werden, bis der erste tadellose Schritt gelingt und das Kind gleich mehrere Schritte hintereinander schafft. Auch wenn etwas nur ein einziges Mal gelungen ist, wissen wir: Es ist möglich. Das treibt uns an, gibt uns Kraft und Mut weiterzumachen.

Warum “Fehler” kein großes Thema sein sollten

Sind wir im Lernprozess hauptsächlich damit beschäftigt “zu vermeiden”, “auszumerzen” und zu korrigieren, fokussieren wir völlig unnötig unsere Konzentration auf das, was wir nicht wollen. Das ist jetzt wirklich mal ein fataler Fehler! Wenn wir unserem Gehirn Fehler verbieten, steuern wir geradezu auf diese zu. Warum? Ganz klar: Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.

Was der Fehlerfokus auch bewirkt: Ein vertieftes Gefühl für “dieses” oder “jenes” Problem, das wir dann fortan als gespeicherten Gefühlskomplex mit uns herumtragen. Gerade in herausfordernden Momenten reproduziert dann unser Körper mit Begeisterung diese “Fehlergefühle”. Darum: Immer volle Konzentration nur auf das gewünschte Ergebnis!

Der Mut zum Risiko ist etwas Essenzielles beim Musizieren. Dieses Risiko beinhaltet eben auch die Bereitschaft, Fehler zu riskieren. Das Gegenteil wäre auf Dauer fatal und würde unsere Freude am Spielen und Üben schwer beeinträchtigen. Gönnen wir unserem Gehirn nach einem Fehler “gute Gedanken”! “Ahh, das probiere ich gleich noch mal, langsam und richtig” ist wesentlich besser als “Oh nein, schon wieder schlecht gespielt”. Unsere richtige Vorstellung der verpatzten Stelle ist dabei der Clou, die sollte gleich unseren Kurzzeitspeicher belegen dürfen.

Was wir unseren Schülerinnen und Schülern vermitteln wollen, ist ein begeisterter, lustvoller Zugang zur Wiederholung – da hilft uns die “Fehler-Willkommens-Kultur”, die gute Laune und den richtigen Fokus beizubehalten. 

Wenn wir versuchen, perfekt zu sein, wird jeder Fehler zu einer Katastrophe. Was sagte der Kommunikationstrainer Marshall Rosenberg? “Das Ziel von Lernen ist es nicht, Perfektion zu erlangen, sondern schrittweise weniger dumm zu werden.” Wohltuend oder?

Die körperliche Komponente

Das “Fehler vermeiden wollen” macht auch etwas mit unserem Körper. Sicher haben sie schon Fehler-verunsicherte Kinder (oder sich selber) beobachtet. Die unterwürfige Körperhaltung raubt uns schier den Atem. Mit der Einstellung, entspannt und unbelastet spielen zu dürfen, passieren überhaupt viel weniger Fehler. Aber der wichtigste positive Nebeneffekt ist, dass sich unser Klang und unsere Musikalität so erst richtig frei entfalten können.

Nun zur Praxis

Sollen wir jetzt bewusst viele Fehler machen? Nein, das nicht, aber wir sollen sie nicht “bewusst vermeiden”. Es ist eigentlich ganz einfach.

Stellen wir uns zuerst in Ruhe vor, wie etwas gelingt. Dann gleich mal langsam ausprobieren. Der große Hornmeister Wolfgang Gaag sagt: “Ich spiele alles zuerst ein paar Mal langsam durch”, so erzeugt er zuerst seine gewünschte “Vor-Stellung” – wie einfach und effizient. In Folge dann das Langsame sacken lassen, nicht gleich schneller spielen … unser Oberstübchen brauch genügend Zeit zum Verankern.

Wenn Kinder im Unterricht Fehler machen, sollte man nicht immer gleich reagieren. Darin liegt ein großer Zauber. Kinder darf man nicht unterschätzen, sie sind “Lernmaschinen” par excellence. Sie müssen zuerst ausprobieren, sich orientieren. Dann erst optimieren sie bereitwillig. Wenn wir Lehrer immer gleich eingreifen, wenn Fehler passieren, erzeugen wir eine ganz bestimmte Haltung in der gegenseitigen Beziehung. Die Kinder erwarten dann ständig Korrektur und spielen auch dementsprechend vorsichtig und unsicher – kein angenehmer und kreativer Lernraum.

Für Kinder sind Fehler etwas Lustvolles, mit dem man spielen und langsam wachsen kann. Unser voreiliges Deklarieren von Fehlern nimmt ihnen schnell jede Freude am Entdecken. Ein anderer Vergleich: Was meinen sie, wo mehr Kreativität entsteht: In einer pingelig und steril aufgeräumten Wohnung oder in einem Lebensraum, in dem viele unterschiedlichste Gegenstände “unordentlich” herumliegen? Tja, unser Gehirn liebt das Chaotische eben auch, so kann es nach Lust und Laune neu entdecken und kombinieren.

Noch etwas ist in unserer Gedankenhygiene bedeutend: Das Gute muss gut bleiben, wer immer nur das Perfekte sucht, tötet das Gute. Und in der Realität spielt sich unser Leben zu 95 Prozent und mehr in diesem Bereich ab. Und erst unsere ehrliche Begeisterung für das Gute ist der Nährboden für das, was dann an Steigerung noch möglich ist.

Conclusio

Wenn ein Fehler passiert ist:

  • Weiter spielen lassen, nicht immer sichtbar reagieren. So bekommt der Schüler die Chance, den Fehler selber zu bemerken und bleibt im Fluss.
  • Meist ist unser beruhigender Aviso »Spiel es einfach noch mal« der unmittelbarste Weg zu Verbesserung.
  • Wenn wir korrigieren, dann immer nur mitteilen (und denken), was wir uns wünschen und nicht, was wir nicht mehr hören wollen. So ersparen wir uns und den Lernenden eine sinnlose Schelte und fokussieren sie ohne Umwege auf das erwünschte Ergebnis.

“Mach es so, wie du denkst, dass es richtig ist!” In dieser Anweisung an die Schülerinnen und Schüler liegt auch ein großer Zauber. Wieso? Weil wir so die Hauptverantwortung für gutes Spiel an die Schüler oder die Band weitergeben. Wie hieß es nochmal weiter oben? Laufen lernt man auch von »Fall zu Fall«. Wie wohltuend diese Einsicht doch ist!

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