Orchestra | Von Klaus Härtel

Stefan Kollmann über 75 Jahre Grundgesetz

Grundgesetz

Seit 75 Jahren gibt es in Deutschland nun das Grundgesetz. Vor fünf Jahren bereits – zum 70. – hat Guido Rennert eine herausfordernde und äußerst emotionale Kompo­sition geschaffen. Besondere Bedeutung ­haben aufgrund der Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat die im Grundgesetz verankerten Grundrechte. Während in vielen deutschen Städten Hunderttausende auf die Straße gehen, um für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren, weiß der Dirigent Stefan Kollmann, dass man auch und vor allem im Alltag Flagge zeigen muss. Und das Sinfo­nische Jugendblasorchester Karlsruhe ist (auch) sein Alltag. Also stand das Rennert-Werk auf dem Programm der 47. Dreikönigskonzerte.

Wir haben im Nachgang der Konzerte mit Stefan Kollmann gesprochen.

Herr Kollmann, können Sie unseren Leserinnen und Lesern etwas über die musikalischen Elemente der Komposition 75 Jahre Grundgesetz – Eine deutsche Geschichte von Guido Rennert erzählen? Wie setzt der Komponist die Emotionen und Herausforderungen in der Musik um?

Guido Rennert schafft es immer wieder, besondere Atmosphären zu kreieren: Viele unterschiedliche Klangfarben, unter anderem auch mit üppig und geschickt eingesetztem Schlagwerk, Harfe, Klavier, elektronisch erzeugten Klängen, mit einer Gesangssolistin, mit Kombinationen von instrumentaler und Vokalmusik, mit einer melodischen und harmonischen Vielfalt, die ins Ohr geht und beeindruckt. So werden zum Beispiel in dem Abschnitt “Kunst, Kultur und Heimat” Zitate aus Beethovens 5. Sinfonie, Bachs Toccata und Fuge, Wagners Meistersinger und das Volkslied “Keiner schöner Land” effektvoll eingesetzt. Zusätzlich entstehen durch die Installationen von Texteinspielungen aus dem Grundgesetz und Bildern zum historischen Ablauf besondere Erlebnisebenen – Sportnation Deutschland, Erinnerungskultur und Verantwortung. Das Werk wird in gewisser Weise zum klingenden Geschichtsbuch. Dabei kommt es – vom Komponisten so gewollt – automatisch zu andachtsvollen, ehrfurchtsvollen Momenten, aber auch zu Szenen der Freude und der Zuversicht. Es sind knapp 30 Minuten voller Energie, Überraschungen, packenden Abläufen, berührenden Momenten und viel schöner Musik!

Warum hat das SJBO Karlsruhe gerade das Grundgesetz als Motto für seine 47. Dreikönigskonzerte ausgewählt? Bzw. wie wurde das Werk und seine Bedeutung innerhalb des Orchesters gesehen/diskutiert?

Ganz einfach wegen des Jubiläums: Genau vor 75 Jahren am 23. Mai 1949 wurde mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Für mich Anlass genug, dieses großartige Werk im Dreikönigskonzert 2024 zu präsentieren.

Kollmann

Bei den Orchestermusikern war sofort große Begeisterung zu spüren, zumal zwei unserer Mitglieder – Felix Knebel und Moritz Mildenberger – in ihrer freiwilligen Praktikumszeit beim Musikkorps der Bundeswehr dieses Werk mehrfach mit aufführen durften. Von der kulturpolitischen Bedeutung und Bewusstseinsförderung für unser Land und unser demokratisches Verständnis, die in diesem Werk immer wieder intensiv verdeutlicht wird, waren alle Mitwirkenden von Anfang an absolut überzeugt.

Welche Rolle spielte die Vizepräsidentin des europäischen Parlaments, Katarina Barley? Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Politikerin?

Bereits im Sommer 2022 hatte ich die Idee, dieses Werk – damals noch »70 Jahre Grundgesetz – Eine deutsche Geschichte« – von Guido Rennert aufzuführen. Anfangs war es noch eine Option, eventuell eine bekannte Persönlichkeit zum Verlesen der Präambel des Grundgesetzes live im Konzertablauf einzubinden.

Aufgrund einiger Absagen und den technischen Bedingungen haben wir uns dann auf die Einspielung dieses Textes festgelegt. In den Aufführungen des Musikkorps der Bundeswehr machte das Konrad Adenauer, der Enkel des ehemaligen Bundeskanzlers Adenauer. Unter anderem auch durch die Tatsache, dass Katarina Barley meine Nachbarin ist, war es für mich sehr schnell klar, sie über ihr Büro zu kontaktieren und anzufragen. Das hat dann auch hervorragend unkompliziert funktioniert und hat unseren Aufführungen eine ganz besondere Note und Charme verliehen, wofür wir Frau Barley in ganz besonderer Weise äußerst dankbar sind.

Der Gedanke von Guido Rennert, durch diese Komposition ein Bewusstsein für die Demokratie zu stärken, hat Frau Barley in Ihrem Grußwort sehr sensibel und einfühlsam aufgegriffen und gekonnt mit dem europäischen Gedanken für Demokratie verbunden.

Grundgesetz

Das Grusswort 

Seit mehr als 70 Jahren gibt Europa den Menschen Stabilität, Wohlstand und Frieden. Das ist nicht selbstverständlich. Vorher war Europa jahrhundertelang ein kriegerischer Kontinent. Auch zwei Weltkriege gingen von Deutschland aus. Ihr und wir seid immer noch Teil eines Wunders, dieses friedlichen Europas. Unsere lebendige Demokratie kann uns alle mit Stolz erfüllen. Unser Rechtsstaat sorgt dafür, dass wir in Freiheit leben können und auch der Staat an Regeln gebunden ist, die Menschen Rechte haben auch gegenüber dem Staat. All das müssen wir immer wieder neu aushandeln, dafür sind Kompromisse nötig und die Verständigung auf das Gemeinsame, auf das was uns eint.

Es ist also so ein bisschen, wie bei der Musik: Jeder trägt etwas bei und am Ende ist es wichtig, dass das Gesamtbild stimmt und man ein harmonisches Miteinander hinbekommt. Ich bin optimistisch, dass auch die kommenden Generationen das schaffen werden. Gemeinsames Musizieren ist eine gute Grund­lage dafür. Ihr stimmt euch aufeinander ein, ihr hört einander zu, ihr schafft etwas Gemeinsames, so wie in Europa. Ich wünsche Euch hierfür und für alles weitere, was ihr so vorhabt, ein frohes Neues Jahr 2024.

Wie reagierte das Publikum auf solche speziellen und emotional geladenen Kompositionen, die einen geschichtlichen Bezug haben? Gab es bestimmte Erwartungen oder Zielsetzungen seitens des Orchesters in Bezug auf die Wirkung auf die Zuhörer?

Es war beinahe unbeschreiblich: Zunächst spannungsgeladene, aber friedliche, andächtige Stille, da am Schluss nur noch die Worte aus dem Artikel 1, Absatz 1, verlesen wurden: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Dann zunehmender, bis tosender Applaus, Standing-Ovations vor der Pause! Wir waren alle davon überzeugt, dass wir das Publikum mit dieser kostbaren Komposition und auch mitreißenden Musik absolut begeistern können. Natürlich wollten wir auch alles dafür tun, dass unsere eigene Begeisterung beim Publikum entsprechend ankommt. Deshalb haben wir uns in einer entsprechenden Arbeitsphase akribisch, intensiv und auch detailverliebt vorbereitet. Der Rest ist intrinsische Motivation, pure Begeisterung und Hingabe.

Wie hat sich eigentlich das Sinfonische Jugendblasorchester Karlsruhe im Laufe der Jahre entwickelt? Welche Bedeutung haben die Dreikönigskonzerte in seiner Geschichte?

Wir stehen eigentlich kurz vor dem 50. Dreikönigskonzert, im Jahr 2027 wird das stattfinden. Seit über 50 Jahren gibt es dieses Orchester und die dazugehörigen Dreikönigskonzerte. Einige Konzerte mussten wegen »Corona« und 1996 wegen des plötzlichen Todes des Gründers und ersten Dirigenten Manfred Keller, ausfallen. Den Verantwortlichen des SJBO Karlsruhe und natürlich auch mir war es immer sehr wichtig, dass wir den interessierten und leistungsfähigen Jugendlichen den Zugang zu anspruchsvoller und hochwertiger Orchesterliteratur ermöglichen und sie dann durch möglichst professionelle Probenarbeit, man könnte auch sagen »Orchesterschulung«, weiterzubilden. 

Die beiden Dreikönigskonzerte am 5. und 6. Januar helfen dabei, als Jahreshöhepunkt, diese pädagogisch orientierten Ziele nachhaltig und erfolgreich umzusetzen. Das haben gerade wieder die sehr gut besuchten Dreikönigskonzerte eindrucksvoll belegt. Darüber hinaus tragen natürlich auch die anderen Programmpunkte wie Konzertreisen, unser »Side by Side«-Programm als quasi Schnupperproben-Wochenende, internationale und nationale Wettbewerbe, Gastkonzerte bei Musikvereinen, oder wie am 6. Oktober diesen Jahres durch ein Galakonzert mit dem Eufonium-Solisten Steven Mead, zu einer gezielten Weiterentwicklung der Musikerinnen und Musiker bei.

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