Orchestra | Von Jürgen K. Groh

Von hinten nach vorne – Üben üben!

Üben

Üben Sie ein Stück immer von Anfang an bis zum Ende durch? Machen Sie es doch einmal genau umgekehrt! Das ist das Thema des mittlerweile 22. – und leider letzten – Beitrags von Üben üben! Die Serie befasst sich mit der Gestaltung bzw. Planung des Übens. 

Das nebenstehende Zitat ist sicherlich ein Satz, dessen wesentlicher Aussage sehr viele, wenn nicht sogar alle, zustimmen können. Nun ist mit dem Wort “Anfang” (siehe Duden) unter anderem auch der “Beginn” gemeint, also auch der “Beginn” eines Musikstücks. Eine Melodie oder ein ganzes Musikstück entwickelt sich “musiklogisch” von diesem Anfang aus und wenn man es musikalisch spielen will und Musikalität sowie “Ausdruck” in dieser Entwicklung liegt, so ist es absolut vernünftig, das Musikstück auch von vorne nach hinten zu üben.

Aber möglicherweise kennen Sie auch die folgende Situation: das Stück wird immer vom Anfang an geübt, an der Stelle des Scheiterns wird vielleicht etwas herumgedoktert (also planlos versucht, etwas an der Spieltechnik zu verbessern) und anschließend wieder von vorne begonnen – mit dem Effekt, dass man die vorderen Abschnitte des Stückes immer besser beherrschen lernt. Aber was ist mit den hinteren Teilen der Komposition?

Von hinten nach vorne üben

Man könnte nämlich auch “von hinten nach vorne” üben (siehe auch “Addieren der Töne von hinten” in BRAWOO 9/2020) – und das zu mindestens zwei Zeitpunkten in der Arbeitsphase an einem Stück:

  1. Wenn Sie das Stück zum ersten Mal üben, beachten Sie einfach den Anfang überhaupt nicht und fangen beim allerletzten Takt an, hängen dann den vorletzten dran und spielen ihn mit dem letzten zusammen, dann die letzten drei, die letzten vier usw. Dies hat den Vorteil, dass Sie nicht den Anfang des Stücks besser können als den Schluss und gegen Ende immer unsicherer werden, weil Sie den letzten Takt beim Üben von vorn ja am seltensten spielen, den ersten am öftesten.
  2. Der zweite Zeitpunkt wäre gekommen, sobald man sich die Noten und Technik des Stücks soweit erarbeitet hat, dass man es halbwegs flüssig durchspielen kann. Man kann es nun von hinten nach vorne (takt- bzw. phrasenweise) auswendig lernen. Der Effekt, dass man den Schluss häufiger übt als den Anfang tritt so ebenfalls ein und gegen Ende wird es beim Vorspielen immer leichter.

Bedenken Sie auch, dass Sie im Laufe eines Konzertes Konzentration “verbrauchen”. Wenn Sie wissen, dass die Konzentration nachlässt, die “schweren” Stellen aber noch kommen und Sie diese nicht wirklich sicher können, hilft auch die “von hinten nach vorne üben” Methode.

Überblick verschaffen

Zuerst sollte man sich selbstverständlich einen Überblick über das gesamte Stück verschaffen und dabei durchaus vorn beginnen, weil es ja jemand so auch komponiert hat. Nach diesem Überblick wissen Sie, was gleich geht und was mindestens technisch geübt werden muss. Diesen Stellen gilt dann Ihre besondere Aufmerksamkeit. Achten Sie von Anfang an darauf, immer musikalisch, also mit Ausdruck und Empfindung, zu spielen. Wenn die “schweren Stellen” weiter hinten liegen, üben Sie bevorzugt dort.

Prüfen Sie sich selbst, ob Sie von überallher einsteigen können, denn ein nur “automatisches Durchlaufen” des Stückes darf keinesfalls genügen.

Der Autor Jürgen K. Groh, Master of Arts, Dirigent, Moderator und Vizepräsident der WASBE Sektion Deutschland ist leider vor kurzem und völlig unerwartet verstorben. Hier lesen Sie einen Nachruf.