Orchestra, Wood | Von Sandra Engelhardt

Üben! Was übst du eigentlich, wenn du übst?

Üben
Mach dir klar, was "Üben" für dich heißt. Hilfreich ist dabei eine Mind-Map.

Eine seltsame Frage. Im ersten Moment scheint die Antwort lächerlich klar: “Üben? Na, mein Instrument!” oder “Dieses Stück, diese Stelle”, vielleicht auch “Technik”, “Finger”, “Atmung”. Aber wenn wir mit der Frage einen Schritt weitergehen: “Und was passiert denn dabei genau?” Dann wird’s in­te­ressant.

Also: Was übst du? Überlegst du vorher genau, was du heute machen möchtest? Welche “Trainingseinheiten” zurzeit wichtig sind? Und spielst du dich ein? Warum? Was versprichst du dir davon? Worauf achtest du dabei? Und was ist anders, wenn du dich nicht einspielst? 

Schon irgendwie nervig, diese Fragen über eigentlich selbstverständliche Abläufe. Wie bei einem kleinen Kind, das immer nur “Waru-hum?” fragt. Ein “Das macht man eben so” wird in der Regel nicht als Antwort akzeptiert. Seltsamerweise beobachte ich aber genau dies, wenn ich zum Beispiel meine Erstsemester nach deren Übegewohnheiten frage. “Einspielen, Technik, Zunge, Tonleitern, Stück…” Ein “Und warum übst du das?” führt meist zu großer Verwirrung. “Aber macht man das denn nicht so?”

Sicher ist Routine wichtig. Auch Rituale und ­immer wiederkehrende Übungen haben ihre Berechtigung und sind für den Lernerfolg nötig. Voraus­gesetzt, ich bleibe mit wachem Kopf dabei, bin mir bewusst, was ich in diesem Moment üben bzw. trainieren will. Sonst öffne ich Fehlern und ungünstigen Gewohnheiten die Tür! 

Warum? Und was?

Starten wir in die Praxis: Nimm dir doch einmal einen Moment, um deine Übeeinheiten zu durchdenken. Und dabei ist es völlig egal, ob du täglich übst oder nur ein- bis zweimal die Woche. 

Zwei Fragen begleiten dich dabei: 

  1. Warum?
  2. Was genau?
Ein Beispiel für eine “Warum”-Kette 

Starten wir ganz allgemein: Warum spiele ich mich ein? Weil ich mich aufwärmen will. 

Was bedeutet das genau? Ich will mich aufs Flötespielen einstimmen. 

Warum ist das nötig? Es soll mir helfen, mich zu konzentrieren. 

Worauf will ich mich konzentrieren? Na, aufs Flötenspiel. 

Ja und worauf da genau? Auf die Haltung zum Beispiel. 

Aha, worauf da genau? Dass sie gut ist. 

Und was heißt das? Dass etwa die Schultern nicht hochgezogen werden. 

Warum ist das ungünstig? Weil ich dann verkrampfe.

Was tust du dagegen? Ich achte darauf, dass die Schultern nicht hochgezogen werden. 

Warum ziehst du die Schultern eigentlich hoch?…

Symptome und Ursachen

Du merkst schon: Das nimmt kein Ende. Aber da beginnt für mich das Üben: Wissen, was ich warum wie machen will. Und mit diesen “Warum”- Fragen kommt man schnell zum Kern: Was genau trainiere ich da eigentlich?! Für effektives, nachhaltiges und damit freudebringendes Üben ist es wichtig, sich bewusst zu sein, welche Muskelgruppe, welche Koordinationsebenen gefordert werden. 

Und dann kann ich beginnen, an diesem Punkt zu arbeiten. Ich lerne, zwischen Symptomen (zum Beispiel “hochgezogene Schultern”) und Ursachen (zum Beispiel “mangelnde Stabilität in Beinen und Rumpf”) zu unterscheiden. 

Mind-Mapping

Deine nächste Aufgabe lautet: Mach dir klar, was “Üben” für dich heißt. Hilfreich ist dabei eine Mind-Map (Abbildung oben). Starte mit dem zentralen Begriff “Üben” in der Mitte und platziere “Unterbegriffe” so, wie sie dir in den Sinn kommen, sodass Gedankenketten entstehen können. Schreibe drauflos, lasse deine Gedanken schweifen. Vielleicht ergeben sich daraus später hilfreiche Zusammenhänge. Es ist deine Liste, es sind deine Assoziationen – und es geht nicht um richtig oder falsch! 

Es wird so sein, dass Begriffe bzw. Aspekte mehrfach auftauchen. Daher sieht der zweite Schritt dieser Übung so aus: Experimentiere mit Verknüpfungen zu deinen Unterbegriffen und erstelle “Zusammenhangsketten” (Abbildung 2).

Üben
Experimentiere mit Verknüpfungen zu deinen Unterbegriffen und erstelle “Zusammenhangsketten”

Gerhard Mantel prägte in seinem Buch “Einfach üben” (Mainz, 2001) den Begriff “rotierende Aufmerksamkeit” als eine Übetechnik. Da wir uns beim Üben unmöglich auf alle Aspekte gleichzeitig konzentrieren können, empfiehlt er, sich einen Punkt herauszugreifen, dem unsere ganze Aufmerksamkeit gilt. Und deine Mind-Map unterstützt dich dabei, einzelne Aspekte bewusst herauszugreifen:

  1. Wenn du an deiner Haltung arbeiten möchtest, nimm einen Punkt vom Ende der Kette. Mach dir vor dem Spielen eines Abschnitts klar, worauf du genau achten möchten (zum Beispiel stabil auf beiden Füßen stehen zu bleiben, um die Schultern bzw. den Nacken zu entlasten) – und achte auch wirklich nur darauf!
  2. Wichtigster (und vielleicht schwierigster) Aspekt: Falsche Rhythmen, ein abgebrochener Klang oder falsche Töne werden lediglich regis­triert, aber nicht bewertet. Bleibe mit deiner Konzentration bei dem einen Punkt und ärgere dich nicht über etwas, auf das du gar nicht geachtet hast. Verbuche es unter “interessant”, dass dich zum Beispiel die Konzentration auf deinen Stand so sehr in Anspruch nimmt.
  3. Wenn der Ausgangspunkt zufriedenstellend gelingt, widme dich diesen anderen Punkten – nach dem gleichen Prinzip.
  4. Mit der Zeit werden die einzelnen Punkte ­weniger Aufmerksamkeit benötigen, sodass es gelingen wird, auf mehrere Aspekte gleichzeitig zu achten. 

Deine Mind-Map zeigt dir den Weg auf, wie du an einem Aspekt zunächst sehr detailliert (vom Ende der Kette aus) und später immer allgemeiner arbeiten kannst. Sie hilft dir dabei, Symptome von Ursachen zu unterscheiden und deine Übungen bewusst durchzuführen. Und damit effizient zu üben.

Viel Spaß beim Üben wünscht

Sandra Engelhardt

http://www.sandraengelhardt.de

www.jupiter.info

Sandra Engelhardt

trat im Frühjahr 2015 mit der Veröffentlichung ihrer Unterrichtskonzeption “Wir flöten QUER!” (Breitkopf & Härtel, Wiesbaden) an die flötenpädagogische Öffentlichkeit.

Die diplomierte Instrumentalpädagogin und Flötistin unterrichtet an der Musikschule der Stadt Langenhagen. An der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover lehrt sie Flöte im Haupt- und Nebenfach und leitet das Seminar “Didaktik des Flötenunterrichts”. 

Als zertifizierter Prüfungs- und Auftrittscoach PAC unterstützt sie Musizierende dabei, Auftrittsängste zu überwinden und mehr noch: deren Entstehung zu vermeiden.

Instagram: @mit_sandraengelhardt

www.sandraengelhardt.de