Brass | Von Klaus Härtel

Alison Balsom mit neuem Repertoire für Trompete

Alison balsom
Foto: Parlophone Records Ltd

Natürlich hat sie das Fußballspiel angeschaut. Und natürlich hat sie gejubelt, als England das Finale der Fußball-EM für sich entscheiden konnte. Vermutlich hätte sich Alison Balsom auch gefreut, wenn Deutschland gewonnen hätte, denn was sie besonders beeindruckte, waren die Atmosphäre, der Enthusiasmus, die Freude, die vom Fußball und dem Drumherum ausgingen. Atmosphäre, Enthusiasmus, Freude – das trifft auch auf die Musik zu. Auf das aktuelle Album “Quiet City” der Engländerin definitiv. 

Der Sport spielt eine nicht unerhebliche Rolle im Leben der Musikerin Alison Balsom. Die Engländerin scheint dahingehend fast eine Art Adrenalinjunkie zu sein – zum Segeln, zum Wasserskifahren und zum Surfen muss immer Zeit sein. Auch das Trompetespielen hat sie im wettbewerbsgeprägten Umfeld der englischen Brassband-Szene gelernt. Doch die Trompetenvirtuosin würde man trotzdem nicht der “Schneller-höher-weiter-Fraktion” zurechnen – wenngleich sie da mehr als nur mithalten könnte.

“Quiet City” ist in der Hinsicht auch ein Statement. Die Engländerin räumt auf ihrem neuen Album besinnlicher und ruhiger Musik einen großen Raum ein. In seinem Werk für Trompete, Englischhorn und Streicher von 1939 schuf Copland Musik, “die an die Nostalgie und innere Not einer Gesellschaft erinnert, die sich ihrer eigenen Unsicherheit zutiefst bewusst ist”. Balsom beschreibt es als “eine wahre Melancholie, die nur ein bestimmter Stil des Trompetenspiels erreichen kann.”

Der Klang der Trompete ist singend, erfreulich und angenehm

“Schon als Teenager habe ich mich in Coplands ‚Quiet City‘ verliebt”, erinnert sich Alison Balsom. Klar hatte sie damals auch Vorbilder wie Hakan Hardenberger, Miles Davis oder Louis Armstrong, die einem zeigten, zu was die Trompete imstande ist – doch dieses Werk ist es, das sie von diesem Instrument überzeugte. “This is it!” Das Stück suggeriert die Stille einer schlafenden Stadt. Ihr entsteigt der Klang einer einsamen Klarinette, dann flackern die Töne einer Trompete auf. “Der Klang der Trompete ist singend, erfreulich und angenehm.” “Quiet City” ist unglaublich. Das Werk ist eigentlich nicht schwer. Aber irgendwie doch.” Sie lacht. “Für mich ist es alles!”

Quiet City
Quiet City

Insgesamt widmet sich die Engländerin auf ihrem neuen Album der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. Die Werke stammen aus einer Zeit, als der Jazz “explodierte”. Vor allem der Klang der Solotrompete in klassischer und Jazzmusik war zu dieser Zeit stilistisch kontrastierend. Fasziniert vom Zusammentreffen dieser beiden Stile zu dieser Zeit zwischen Komponisten und Interpreten, möchte Balsom ihre tiefe Liebe zu diesem besonderen Charakter des Instruments teilen, das sich über Genres hinwegsetzt. Neben Copland sind Leonard Bernstein, George Gershwin und Charles Ives vertreten. Auch Miles-Davis-Stücke – . das von Gil Evans für ihn arrangierte “Concierto de Aranjuez” ist dabei. “Ich liebe Jazz”, erklärt sie. Und schiebt lachend hinterher: “Aber ich bin beim besten Willen keine Jazzmusikerin! Denn ich improvisiere nicht.” 

“Gesunder Respekt” vor “Rhapsody in Blue”

Ein Highlight dieser Aufnahme bildet eine geniale Neubearbeitung von George Gershwins Jazz-Kulthit “Rhapsody in Blue”, bei der die Trompete im Mittelpunkt steht. Die “Rhapsody in Blue” verbindet erfolgreich Jazz, Blues und konzertante Sinfonik. Das sehnsuchtsvoll aufblühende Erkennungsmotiv der Rhapsodie, mit dem eine Klarinette das Werk eröffnet, interpretiert Alison Balsom auf ihrer Trompete. Dafür hatte Alison Balsom für das Werk, ursprünglich für zwei Klaviere, ein neues großangelegtes Orchesterarrangement des Arrangeurs Simon Wright in Auftrag gegeben. Eine Neu-Interpretation, gewissermaßen eine Neu-Entdeckung verlangt immer auch eine gewisse Portion Mut bei Werken dieses Bekanntheitsgrades. Angst habe sie davor sicherlich nicht gehabt, “aber einen gesunden Respekt. Ich bin froh, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe”, schwärmt sie. Sie habe viel Zeit in die Entdeckung gelegt.

Apropos Dankbarkeit. Alison Balsom ist generell sehr froh, dass sie Musik machen darf. Gerade “in diesen Zeiten, in denen man vor ein paar Monaten nur vom Balkon spielen durfte…” Ob Musik gleich die Welt verändern könne – diese Frage lässt sie unbeantwortet. Doch durch Musik verändere sich im Menschen etwas zum Positiven. “Musik kann begleiten, Musik kann Dinge ausdrücken, die sonst schwer auszudrücken sind.”

Alison Balsom empfindet die Aufnahmen zu “Quiet City” als Meilenstein in ihrer Karriere. Anders als bei ihren vorherigen Alben ging sie die Dinge recht entspannt an und überließ bis in die Nachbearbeitungsphase viel mehr dem Zufall als früher.

Alison Balsom
Foto: Hugh Carswell