Brass | Von Klaus Härtel

German Hornsound über Heimat

German Hornsound
Foto: Marian Lenhard

Das Ensemble “German Hornsound” hat ein neues bemerkenswertes Projekt am Start. “Heimat” ist das Thema. Ein großes Thema, dem sich die Musiker von mehreren Seiten nähern. Sie haben Lieder und Arien aus über 500 Jahren Musik- und Zeitgeschichte, über alle Grenzen und Genres hinweg eingespielt. Neben den vier Hornisten sind der international renommierte Tenor Daniel Behle sowie der Schauspieler Mario Adorf mit von der Partie. Wir trafen den Hornisten Christoph Eß bei einem Zwischenstopp am Münchner Flughafen.

Herr Eß, was bedeutet Heimat persönlich für Sie? 

Der Tenor Daniel Behle hat für unsere CD ein Lied komponiert: “Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt”. Das trifft es ganz gut, finde ich. Für mich ist es seit 15 Jahren das Frankenland und Bamberg. Meine Familie fühlt sich dort wohl. Für uns ist Bamberg mehr als “nur” eine Wahlheimat. Aber natürlich fühle ich mich auch in Tübingen, wo ich aufgewachsen bin, heimatlich verbunden. 

Heimat kann ein Ort, die Menschen, die Kultur, die Sprache sein. Der Heimatbegriff ist in der Vergangenheit gelegentlich negativ behaftet gewesen. Auch weil er aus dem rechten Spektrum für sich reklamiert wurde. Möchte German Hornsound hier einen Gegenpol entwickeln?

Absolut. Wir wollen den Heimatbegriff, der eine jahrhundertlange Tradition hat, so darstellen, dass man sich auch trauen darf, Heimat Heimat zu nennen. Und natürlich gehört da das Dritte Reich und die DDR-Zeit dazu. Das kann auch nicht einfach weggenommen werden. Der Begriff an sich ist etwas, das schöne Erinnerungen und Gefühle in jedem und jeder weckt. Übrigens: Das deutsche Wort “Heimat” gibt es in kaum einer anderen Sprache in einer eindeutigen Übersetzung. Das englische “homeland” meint eigentlich etwas anderes.

Welche Rolle spielt beim Heimatbegriff die Musik ganz allgemein? 

Das spielt eine ganz große Rolle. Ich bin zwar Berufsmusiker, aber ich glaube, dass die Musik in Menschen Gefühle erwecken kann, die sie mit Heimat verbinden. Es gibt ja nicht umsonst die Heimatlieder beispielsweise. Der Tenor Daniel Behle ist selber gelernter Posaunist und für ihn war bei diesem Thema vollkommen klar, dass das Thema nicht mit Klavier funktioniert, sondern dass er mit Blechbläsern zusammenarbeiten möchte. Wenn Hörner lyrisch spielen und weich, dann trifft es die Seele doch noch mal ganz anders …

Wie kam die Zusammenarbeit mit Daniel Behle eigentlich zustande? 

Den Daniel, den kennen wir von unterschiedlichen Seiten schon sehr lang. So hat er früher mit meinem Schwiegervater schon mal im Ensemble zusammengespielt. Zu dem Heimat-Projekt kam es dann, als Daniel und Stephan Schottstädt, der bei uns die Arrangements schreibt, abends mal zusammensaßen. Da ging es dann unter anderem darum, dass man den “Erlkönig” von Schubert für Tenor und vier Hörner arrangieren könnte. Das war der Ausgangspunkt und dann hat sich das so entwickelt. Während der Pandemie hatten wir alle plötzlich viel Zeit zum Nachdenken und zum Neue-Dinge-Spinnen. Recht bald stieß dann der Münchner Alexander Krampe dazu – ein fantastischer Arrangeur und ein sehr belesener und vielseitig denkender Mensch.

Der hat sich dann ein Vierteljahr lang in seinen Komponierhäuschen am Walchensee eingesperrt und hat 50 Arrangements geschrieben. Wie am Reißbrett, es war wirklich toll. Der war fix und fertig danach (lacht). Dann haben wir uns mal in Hamburg zum Proben getroffen und einen Tag nur gelesen und durchgespielt. Einige Dinge haben wir verworfen, weil sie mit vier Hörnern doch nicht so gut funktionierten. Andere haben plötzlich sehr gut funktioniert. Der “Erlkönig” etwa ist ein fantastisches Arrangement geworden! Diese Sextolen, die im Klavier echt schwierig sind, sind mit den Hörnern fast einfacher zu lösen, weil das Arrangement so geschrieben ist, dass wir eben nie alle durchspielen. Sonst würde auch die Zunge irgendwann lahm.

German Hornsound
Foto: Marian Lenhard
Waren die Arrangements fertig oder wurde auch während der Aufnahmen daran gefeilt?

Beim “Erlkönig” hat Alexander Krampe uns zuerst teilweise über lange Strecken diese Sextolen spielen lassen. Im Livekonzert wäre so etwas sicherlich nicht darstellbar. Dieser Prozess war für ihn ganz wichtig, weil er uns als Spieler kennenlernte und erkannte, was als Blechbläser geht und was eben auch nicht … Am »Erlkönig« haben wir sozusagen in einer guten Symbiose zusammengearbeitet. Die anderen Arangements sind einfach fantastisch geworden, ohne dass man da groß was ändern musste. Rausgefallen aber ist zum Beispiel die “Mondnacht” aus Schumanns “Liederkreis”. Das ist wirklich eines meiner Lieblingslieder. Das ist aber so zart und ziseliert gehalten, dass es mit dem Horn ein bisschen zu wuchtig rüberkam. Es gibt auch Lieder, die aus rechtlichen Gründen nicht auf der CD sind. Die gibt es jetzt nur digital, “Griechischer Wein” von Udo Jürgens etwa oder Ernst Moschs “Mondschein an der Eger”.

Und von welchen Stücken waren Sie überrascht, gerade weil sie funktionierten?

Der Popsong “Heimat” von Johannes Oerding funktionierte erstaunlich gut. Vier Hörner geben dem Ganzen eben auch einen anderen Touch. Auch “Heimat deine Sterne” oder “Wien ohne Wiener” von Georg Kreisler bekommen durch die Hörner eine tolle Vielfalt an Farben und Gestaltungsmöglichkeiten. Da war ich total positiv überrascht.

Man muss sich das wahrscheinlich einfach trauen …

Klar. Und natürlich bekommt etwa der “Erlkönig” bei uns eine neue Lesart. Und manchem gefällt eben die Klavier- oder die Streicherversion besser. Das ist ja vollkommen klar und auch in Ordnung. Wir wollen ja auch nicht die Originalversion kaputt machen, sondern den Leuten einfach etwas Neues bieten. 

Mario Adorf rezitiert Texte von Mascha Kaléko, Friedrich Nietzsche, Theodor Storm und anderen. Wie kam es dazu? Denn den ruft man ja nicht mal eben an …

Diese Zusammenarbeit haben wir Alexander Krampe zu verdanken, weil er Mario Adorf gut kennt. Uns war es wichtig, dass diese Texte eine Person spricht, die viel Lebenserfahrung hat. Diese Gedichte erzeugen teilweise Gänsehaut und sind auch gar nicht “schön”, in dem Sinne. Mario Adorfs sonore und unbeschreibliche Stimme gibt dem Ganzen schon einen wahnsinnigen zusätzlichen Effekt. 

Zumal Mario Adorf sicherlich auch seine Meinung zum Thema Heimat hat, oder?

Er fand das Thema spannend. Er ist ein sehr offener Mensch. Bei ihm erzeugte das Thema auch noch ganz andere Empfindungen als jetzt bei uns, die wir viel später geboren sind. 

“German Hornsound” ist nicht der Hauptberuf der vier Hornisten. Und erst jetzt gab es den allerersten Wechsel nach 12 Jahren. Wie kam es dazu?

Die Gründung unseres Quartetts beruht auf der Tatsache, dass wir zu viert gemeinsam studiert haben und viel miteinander gemacht haben – auch außerhalb der Musik. Irgendwann hatte jeder seine Stelle und wir haben uns kaum mehr gesehen. Wir wollten dann mal so zwei Konzerte im Jahr organisieren, damit wir uns wenigstens treffen. Daraus wurde dann so viel, weil uns nie die Ideen ausgingen. Diese Freundschaft aber war immer der wichtigste Punkt. Und doch wurde alles professioneller und damit der Aufwand für jeden einzelnen sehr hoch. 

Sebastian Schorr hat während der Coronazeit angefangen zu dirigieren und leitet mehrere Posaunenchöre und Musikvereine. Darin ist er so aufgegangen, dass er nicht mehr die Zeit hatte, sich so vorzubereiten wie er das selber will. Nachfolger ist nun Andrés Eloy Aragón Ayala, ein gebürtiger Venezolaner von den Düsseldorfer Symphonikern. Der passt menschlich und hornistisch hervorragend. German Hornsound ist nun quasi zu einem Viertel südamerikanisch … 

Die Ideen gehen “German Hornsound” nie aus. Was gibt es sonst noch zu berichten?

Im Frühsommer 2022 haben wir “Primetime in der Wolfsschlucht” veröffentlicht, sozusagen die Fortsetzung des Verdi-Wagner-Programms “Siegfried und Violetta”. Wie damals wollten wir eine Oper auf die Kammermusikbühne bringen. Diesmal war Carl Maria von Webers “Freischütz” Thema, der 2021 sein 200. Jubiläum feierte. “Primetime” besteht aus drei Akten, die mit aktuellen Fernsehformaten vermittelt werden. Der erste Akt ist eine Nachrichtensendung – hier werden die Klassiker Mozart, Beethoven und Haydn erwähnt, die zur Zeit von Webers Geburt aktiv waren. In der Talkshow im zweiten Akt sind Weber und seine Zeitgenossen zu Gast. Und der dritte Akt ist ein Quiz-Duell zwischen Wagner und Brahms, die beide von Weber gelernt haben. 

Während der Pandemie haben wir ein großes Projekt begonnen: Wir veröffentlichen kleine Notenbücher, mittlerweile gibt es fünf Bände, die für jedes Level sinnvoll sind. Ein Heft beinhaltet Noten für Geburtstage, Hochzeiten, Trauerfeiern. Es gibt ein Opernheft, eins für “Jagd und Natur”, einen “Weihnachtsband” und schließlich eine Ausgabe mit Märschen, Polkas und Walzern. Die Hefte werden in der Hornwelt extrem gut angenommen. Denn trotz aller Digitalisierung: Noten sind am Ende etwas, das immer bleibt … Während Corona haben wir zudem eine fast achtstündige Masterclass aufgenommen, in der wir alle Themen des Hornspiels thematisieren. Da geht es um technisch-musikalische Inhalte, das Ensemblespiel und viele solche Dinge. In der Hinsicht war Corona für als Ensemble sehr fruchtbar.

Heimat

German Hornsound: Heimat 

Der international renommierte Tenor Daniel Behle widmet sich diesem großen Thema gemeinsam mit dem Hornquartett German Hornsound über alle Grenzen und Genres hinweg mit Liedern und Arien aus über 500 Jahren Musik- und Zeitgeschichte. Von später Renaissance bis Pop. Vom Volkslied bis zum Schlager. Vom Kunstlied der Romantik bis zum Couplet aus dem Kabarett. Vom Propagandalied bis zur Exilkomposition. Vom Wienerlied bis zum Lohengrin. Vom Volkstümlichen bis zur Moderne. 

Die Frage, was Heimat ist, kann nicht einfach beantwortet werden, weil zu viel Gegensätzliches in einer Antwort gleichzeitig formuliert werden müsste. Heimat ist nicht, Heimat kann sein. Und zwar vieles: Ein Ort, Natur oder Landschaft, Erinnerung, Menschen, Freunde und Familie, eine Sehnsucht, Schmerzen, ein Albtraum, Idylle, Verlust, Gewohnheit und Geborgenheit, Kultur, Sprache und Dialekt, Küche, Zuhause, Wurzeln, Sicherheit … und dies alles multipliziert mit Gefühlen und Ansichten, für jeden Menschen individuell und am Ende doch in manchem ähnlich.

www.germanhornsound.de