Brass | Von Klaus Härtel

Jörg Wachsmuth über die Riesentuba und andere Rekorde

Tuba
Foto: Ludwig Angerhöfer

Der Mann liebt Herausforderungen. Denn dass Jörg Wachsmuth “aus der Nummer nicht mehr rauskommt”, beklagt er nicht wirklich. Er freut sich, dass er dazu bei­tragen kann, musikalische Rekorde zu brechen. Die größte spielbare Riesentuba, der schnellste “Hummelflug” und ganz neu: das Riesenhorn von Riesa. Wir sprachen mit dem – im normalen Leben – Solotubisten der Dresdner Philharmonie. 

Herr Professor Wachsmuth, ihr Name ist nahe­zu untrennbar mit der Markneukirchener Riesentuba verbunden. Wie kam es dazu und wer kam eigentlich wann und warum auf die Idee, eine Riesentuba zu bauen?

Ich bin durch Gerhard A. Meinl auf das Instrument gestoßen. Der hatte mir vor etwa zehn Jahren mal eine Mail geschrieben und mich gefragt, ob ich verrückt genug sei, die Riesentuba auszuprobieren. Denn es war ja gar nicht klar, ob das Ding überhaupt geht! Die Idee zur Riesentuba hatte der Klingenthaler Metallblasinstrumentenmacher Hartmut Geilert schon zehn ­Jahre zuvor. Man kannte eine verkleinerte Tuba und Geilert war der Ansicht, dass es möglich sein müsste, ein doppelt so großes Instrument zu bauen.

Seine Mitstreiter waren unter anderem der Maschinenbauer Manfred Paulus und Jürgen Voigt, der damals in Markneukirchen die einzige Maschine hatte, auf der man solch ein riesiges Schallstück herstellen konnte. Auf den vier Ventildeckeln wurden die Hauptakteure sowie insgesamt 21 Firmen und 15 Privatpersonen als Mitwirkende, Helfer und Sponsoren namentlich eingraviert. Und nun stand das Instrument als Dauerleihgabe im Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen, 50 Kilogramm schwer, 2,05 Meter hoch, hinter einer Signalschranke und mit 140 000 Euro versichert. 

“Dieses Instrument zieht wahnsinnig viel Luft. Das ist wie ein Staubsauger.”

Bevor ich die Tuba gespielt habe, musste ich erst einmal überlegen, wie ich das mit dem Mundstück mache. Muss das auch doppelt so groß sein? Denn das Instrument ist ja 2 zu 1! Ich habe es dann einfach gewagt und bin hingefahren. Und dann war da schon die gesamte Presse versammelt! Die haben mir nicht mal die Chance gelassen, dass ich eine Stunde für mich habe. (lacht) Zunächst brauchten wir einen Stuhl, damit ich bequem an das Mundrohr herankam. Die Ventile erreichte ich gerade so und mein erster Gedanke war: Das geht nicht! Aber das konnte ich natürlich nicht sagen, weil dann alle enttäuscht gewesen wären. Hartmut Geilert brachte mir einen Adapter für das Mundstück und ich habe mir gesagt, weil es sich ja um eine B-Tuba handelt: Jetzt spielst du einfach ein B. Ohne zu wissen, was überhaupt passiert. Und dann kam tatsächlich ein B! 

Aber nur mal eben zwei bis drei Töne spielen hat Ihnen nicht gereicht, richtig?

Genau. Durch kleine Zusätze wie etwa anschraubbare längere Drückerplatten, einen zusätzlich verlängerten Daumenring und einen Mundstück-Adapter wurde die Riesentuba für den Konzertsaal optimiert. Das Mundstück wurde von der Mundstückmacherfirma Bernhard Schmidt gefertigt – und wie eine Glocke gegossen. Ich habe nach den ersten Tönen erst einmal viel ausprobiert und dadurch Appetit bekommen. Der “Hummelflug” von Nicolai Rimski-Korsakow kam mir in den Sinn und die Idee war geboren. Und ab da kam ich aus der Nummer nicht mehr raus. Hans-Reiner Schmidt hat dann den “Hummelflug” für Blasorchester arrangiert. 

Wichtig ist die Fingertechnik. Denn trotz der Ventilverlängerung hält man den “Hummelflug” beispielsweise nicht zwei oder drei Mal durch. Das kannst du gar nicht so viel trainieren, weil du dann eine Sehnenscheidenentzündung bekommst. Ich habe zu Trainingszwecken die Rosen und die Hecken geschnitten. 

Wachsmuth

Jörg Wachsmuth 

enstammt einer thüringischen Musikerfamilie und wuchs in Potsdam auf. Er studierte Tuba an der Hochschule für Musik “Hanns Eisler” Berlin bei Dietrich Unkrodt und war 1988 zweiter Preis­träger sowie 1992 erster Preisträger beim Internationalen Instrumentalwettbewerb Markneukirchen. Seit 2000 ist er Mitglied der Dresdner Philharmonie und Honorarprofessor für Tuba an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Er ist außerdem Mitglied im Melton Tuba Quartett

professorjoergwachsmuth.de

Geübt und ausprobiert habe ich immer im Museum, habe mich da ganze Tage eingeschlossen und sogar für eine Woche den Urlaub verlegt. Denn es bringt nichts, sich auf einem normalen Instrument einzuspielen, die Spielbarkeit ist eine völlig andere. Nach der Vorbereitungszeit komme ich dann zur ersten Probe mit dem Blas­orchester in der Musikhalle Markneukirchen – und ich habe keinen Ton getroffen.

Die Riesentuba war einen halben Ton zu hoch. Ich habe wirklich an mir gezweifelt. Im Museum war einen halben Meter über der Tuba eine Art Empore. Und durch den Schalldruck lag das B exakt bei 443 Hertz. Auf der Bühne war dann Platz nach oben und es kam ein H. Was macht man da vier Tage vor dem vor dem Konzert? Wir mussten also versuchen, einen Meter dran­zu­bauen. Das Mundstück hat schon mal einen langen Schaft – das bringt schon fast einen Viertelton. Über Nacht wurde dann noch ein halber Meter Zugverlängerung drangebaut… Danach hat es dann wieder gestimmt.

Wenn die Riesentuba doppelt so groß wie eine normale B-Tuba ist – braucht man dann eigentlich auch doppelt so viel Luft, um Töne herauszubekommen?

Genau gemessen habe ich es nicht, aber da geht eine Menge Luft durch. Je nach Tagesform war auf der Riesentuba nach der Hälfte der Zeit die Luft alle. Dieses Instrument zieht wahnsinnig. Das ist wie ein Staubsauger. Und du kannst auch nicht genau fokussieren. Das erinnert an einen Kaugummi oder einen Gummiball, die Mitte zu treffen ist wirklich eine Suche gewesen. Da musste ich echt trainieren. Ich arbeite ohnehin viel mit Luftführung und Atemtechnik. Und das hat mir da geholfen. Du bist hinterher wirklich alle! Beim ersten Mal ist mir schwarz vor ­Augen geworden. 

Dann wollten Sie deshalb den “Hummelflug” immer möglichst schnell hinter sich bringen? Sie halten den Weltrekord mit 53,82 Sekunden – für die 101 Takte braucht ein normal spielendes Orchester rund drei Minuten… 

(lacht) Nein, das war nicht der Grund! Der Grund war wirklich der Weltrekordversuch. Ich habe das einfach mal ausprobiert. Bis dahin hatte David Garrett mit der Geige über eine Minute gebraucht. Und sind wir ehrlich: Da geht es ja nicht mal um Musik. Mit der Geschwindigkeit machst du die Leute völlig baff. Das macht schon Spaß. Ich habe eine super Pianistin, die mir das Tempo vorgibt. Ich kann da gar nicht mehr agieren, ich kann nur losfeuern und das Ohr am Klavier haben. 

Zum direkten Duell mit David Garrett kam es bislang nicht?

Das habe ich immer versucht. Wenn die Anfrage kam, habe ich das Duell ins Spiel gebracht – das wurde stets abgewiesen. Ich habe sogar bei Thomas Gottschalk eine Wette eingereicht: “Ich wette, dass ich den ‘Hummelflug’ von Rimski-Korsakow auf der Riesentuba schneller spielen kann als David Garrett auf der Geige!” Aber nie im Leben setzt sich der Garrett in einer Fernsehsendung hin und verliert dann auch noch… Aber ich habe es probiert. 

Warum heißt die Riesentuba eigentlich Ilse? Heißt die Frau des Erbauers so? 
Riesentuba
Foto: Ludwig Angerhöfer

Nein, heißt sie nicht. (lacht) Immer, wenn ich zur Riesentuba gefahren bin, habe ich mich ein bisschen so gefühlt, als würde ich zu einer neuen Frau fahren. Ich weiß, dass meine Tagesform wichtig ist, aber manchmal schieben wir es auch aufs Instrument. Und so eine Tuba kann schon eine Zicke sein. Wir brauchten einen Namen. In Dresden wird über die Sächsische Zeitung immer das »Sächsische Wort des Jahres« gekürt. Und im Rahmen einer solchen Veranstaltung hat man auch einen Namen für die Riesentuba gesucht. Drei Namen – Elfriede, Regina und Ilse – standen zur Wahl und durch einen »Beifalls­barometer« wurde es “Ilse”. 

Und jetzt gibt es das nächste Rieseninstrument! Das Riesenhorn von Riesa. Was hat es damit auf sich?

Dieses Riesenhorn steht seit etwa zwei Jahren in Riesa an der Elbe vor Freyler-Halle im ehemaligen Stahlwerksgelände. Riesa ist eine sächsische Stahlstadt und alle zwei Jahre gibt es dort ein Bildhauersymposium für Künstler, die mit Stahl arbeiten. In dem Zusammenhang ist auch dieses Instrument entstanden – wobei es ja primär eigentlich kein Instrument ist, sondern ein Kunstwerk mit dem Titel “Resonanz” von Matthias Seifert. Das Teil ist 2,4 Tonnen schwer, man kann es nicht transportieren, auch weil es auf einem Fundament fixiert ist. Der Schalltrichter hat einen Durchmesser von zweieinhalb Metern. Als die Idee aufkam, darauf zu spielen, habe ich mir erst einmal Fotos schicken lassen und bin dann einfach mal im roten Anzug hingefahren – weil ich dachte, die warten doch bestimmt… (lacht). 

Foto: Riesa und die Welt e.V.

Ich habe das Horn also ausprobiert und tatsächlich ist Stahl noch eine Stufe höher. Denn da kannst du gar nichts mehr drücken. Der Künstler hat mir dann ein Mundrohr gebaut, damit ich wenis­tens ein bisschen fokussieren konnte. Und bei dem Ding bist du ganz tot. Das ist von der Luftintensität noch mal eine Nummer größer. Vor allem steht das Instrument im Freien – da hast du keine große Rückmeldung mehr. Ich habe aber ein paar Töne gespielt und dann war für die klar: “Wir machen das!”

“Irgendwas spielen? Nein! Ich habe ja auch einen Ruf zu verlieren!” 

Für den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde war schließlich alles vorbereitet. Mehrere Notare waren vor Ort und das Riesenhorn wurde akribisch vermessen. Als die Verantwortlichen meinten, es sei ganz egal, was ich da spiele, habe ich empört abgewehrt – ich habe ja auch einen Ruf zu verlieren. (lacht) Ich war fünf Mal da zum Üben – immer so eine halbe Stunde, bis ich nicht mehr konnte. Okay, der “Hummelflug” würde schwierig ohne Ventile, schließlich ist ein Horn ist ja auch keine Tuba. Ich habe mich dann für “Der einsame Hirte” von James Last im Halbplayback entschieden, ich brauchte irgendetwas, auf das ich mich “draufsetzen” konnte. 

Ich spiele das also an diesem Montag, die ganze Presse war da und es hat super funktioniert. Während die letzten Töne erklingen, kommt eine Frau mit dem Fahrrad um die Ecke. Als ich fertig bin, fragt sie sächselnd: Können Sie auch ohne die Begleitung spielen? Stille. Alle ­gucken. Die Presse wartet. Ich also ganz spontan: “Auf vielfachen Wunsch einer einzelnen Dame hören sie jetzt noch die Titelmelodie aus dem Film ‘Drei Haselnüsse für Aschenbrödel’.” Das zweite Stück ist dann, wenn ich ehrlich bin, noch besser angekommen als der “Einsame ­Hirte” mit der Halbplayback-Untermalung.

Aus der Rekord-Nummer kommen Sie nicht mehr raus, haben Sie schon erwähnt. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Sie diese Dinge bereuen…

Nein, das sicherlich nicht. Und natürlich hat sich das auch für mich gerechnet. Nicht in barer ­Münze, aber in Bekanntheit. Und darum geht es ja bei diesen Dingen. Ich war damals bei Stefan Raab und TV Total. Ich war bei Stefanie Hertel und natürlich bleibst du auch im Fokus, weil sich immer irgendeine Fernsehanstalt meldet. In der Corona-Zeit hat sich auch Kai Pflaume mit “Kaum zu glauben” gemeldet. Ich mache das für die Instrumente. Die Riesentuba ist für Mark­neukirchen, sein Museum, aber auch für den Tourismus dort nicht ganz unwichtig. Und beim Riesaer Riesenhorn ist das ganz genauso.