Orchestra | Von Redaktion

Neue Reize setzen mit Gastdirigentin Mallory Thompson

Mallory Thompson

Vielen Orchestern geht es ähnlich: Oftmals stellt sich nach vielen Jahren eine gewisse Routine in der musikalischen Jahresplanung ein. Ein Jahreskonzert ist Pflicht sowie manchmal ein Osterkonzert, ein Open-Air-Konzert oder ein Kirchenkonzert sorgen für Abwechslung bei Publikum, Musikverein und dem Dirigenten. Um aus dem Gewohnten auszubrechen und musikalisch das Beste herauszukitzeln, sind Wertungsspiele oder Wettbewerbe enorm wichtig. Zudem können Konzertreisen oder Mitgliederausflüge die Gemeinschaft des Orchesters stärken. Reize von außen sind jedoch selbst bei musikalisch hochstufig spielenden Orchestern rar, können dem Orchester jedoch wertvolle Impulse in vielerlei Hinsichten bieten. 

Auch bei der Miliz- und Trachtenkapelle Oberharmersbach stehen viele Regeltermine in ihrem jährlichen Terminkalender. Neben dem traditionellen Weihnachtskonzert sind unter dem Jahr vor allem Kurkonzerte und Brauchtumsauftritte in der rund 2500-Seelen-Gemeinde zu absolvieren. Der Verein misst sich regelmäßig auf Wertungsspielen und nahm auch schon erfolgreich (Goldmedaillen) am World Music Contest in Kerkrade teil. So ist der Verein im Schwarzwald über die Region hinaus bekannt. 

Neue Akzente setzen – das hat sich der seit 2019 im Verein tätige Dirigent Rüdiger Müller auf die Fahne geschrieben. Dies ist enorm wichtig, um die rund 80 Musikerinnen und Musiker bei der Stange zu halten und stets Jahr für Jahr Spielfreude und Übefleiß zu fördern sowie eine gestärkte Gemeinschaft zu bilden. 

Amerikanische Literatur mit Mallory Thompson

So hat Rüdiger Müller seine vorhandenen Kontakte genutzt, um mit dem Verein einen neuen Weg in der Konzertgestaltung zu gehen – eine amerikanische Gastdirigentin, die gemeinsam mit dem Musikverein ein Galakonzert geben wird. Die amerikanische Dirigentin Dr. Mallory Thompson aus Chicago wird ein Konzertprogramm mit fast ausschließlich amerikanischer Literatur mit der Miliz- und Trachtenkapelle Oberharmersbach erarbeiten. 

Doch wieso ist es für Orchester wichtig, neue Wege zu gehen und neue Impulse zu setzen? Dirigent Rüdiger Müller sieht zwei Lerneffekte in der Vorbereitung und Ausübung des besonderen Galakonzertes: Zum einen ist es das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit neuer Literatur und Blasmusikkultur – in diesem Fall die aus Amerika. In den USA gehört ein Blasorchester zu fast jeder Universität, seit Jahrzehnten sind Studiengänge wie Dirigieren für Blasorchester an den Universitäten fest etabliert. Folglich besitzen Blasorchester einen hohen Stellenwert, was beispielsweise die »Presidents Own Marine Band« belegt.

Auch die wohl berühmteste Konzerthalle der Welt, die Carnegie Hall in New York, wurde bereits Mitte des 20. Jahrhunderts regelmäßig von Blasorchestern bespielt. Dieser hohe Stellenwert der Blasmusik in Amerika brachte schon zahlreiche bekannte sinfonische Komponisten wie Ralph Vaughan Williams oder Paul Hindemith dazu, Orchesterwerke eigens für Blasorchester zu schreiben. Was daraus folgte, waren Werke wie Gustav Holsts First Suite in E-Flat oder Vaughan Williams Folk Song ­Suite, die prägende und Weichen stellende Werke für die Blasorchesterliteratur auf der gesamten Welt darstellten. 

Weiterentwicklung in der musikalischen Ausgestaltung

Das Erlernen neuer Blasorchester-Literatur und -kultur ist für etablierte Orchester enorm wichtig, um sich in der musikalischen Ausgestaltung weiterzuentwickeln. Rüdiger Müller möchte den Musikerinnen und Musikern diese musikhisto­rischen Entwicklungen in der Vorbereitungs­phase näherbringen, zudem besteht das Konzertprogramm fast ausschließlich aus amerikanischen Werken, unter anderem des Komponisten Jay Kennedy, dem Ehemann der Gastdirigentin Dr. Mallory Thompson.

Der zweite Lernaspekt bezieht sich auf die Probenarbeit und auf das Konzert mit Dr. Mallory Thompson. Nach vielen gemeinsamen Proben und Auftritten sind ein Musikverein und sein Dirigent ein eingeschweißtes Team – die Probenarbeit und das Dirigat sind den Musikerinnen und Musiker bekannt. Neue Impulse können vom Dirigenten zwar gesetzt werden, jedoch kann ein Reiz von außen in Form eines Gastdirigenten die Musikerinnen und Musiker neu sensibilisieren. Plötzlich befindet man sich wieder auf unbekanntem Terrain: Jeder muss sich neu beweisen, denn der Gastdirigent macht sich ein eigenes Bild über die einzelnen Musiker und das Orchester.

Neben einer neuen musikalischen Interpretation ist ein anderes Dirigat für das Orchester eine Herausforderung, aber auch eine tolle Möglichkeit, neues Wissen zu erlernen und das gemeinsame Zusammenspiel zu verbessern. Im Falle der Musikerinnen und Musiker aus Oberharmersbach kommt zudem hinzu, dass Dr. Mallory Thompson ihre Proben in englischer Sprache leitet, was eine Offenheit Neuem gegenüber verlangt. Neben der Sprache wird es für das Orchester zudem spannend sein, ob und wenn ja, inwieweit die Probenarbeit der Gastdirigentin auf anderen kulturellen Eigenschaften beruht. 

Galakonzert am 22. Juli

Die Miliz- und Trachtenkapelle freut sich auf das erste Konzert der Vereinsgeschichte mit einer Gastdirigentin. Die während der Vorbereitungsphase mit Vereinsdirigent Rüdiger Müller erarbeiteten Werken stellen die Grundlage für die drei Probenabende mit der Gastdirigentin Dr. Mallory Thompson direkt vor dem Konzertabend dar. Ihre langjährige Dirigiererfahrung, die die Professorin unter anderem am Lehrstuhl an der Northwestern University in Chicago an aufstrebende Dirigenten weitergibt, wird viele neue musikalische Erkenntnisse aus den Musikerinnen und Musikern des Vereins mit sich bringen. Diese werden auch über das Galakonzert am 22. Juli 2023 hinaus Früchte in der Probenarbeit von Rüdiger Müller und der Miliz- und Trachtenkapelle Oberharmersbach tragen.

Text: Carina Mark