Brass | Von Kristin Thielemann

Hermann Baumann im Alter von 89 Jahren verstorben

Baumann
Fotos: Hermann Baumann privat

1934, ein Jahr bevor Hamburgs immer noch berühmter Park “Planten und Blomen” eröffnet wird, erblickt in der alten Hansestadt Hermann Baumann das Licht der Welt. Der klavierspielenden Mutter fällt das musikalische Talent ihres Sohnes früh auf. Der Vater, ein Arzt, und Großvater, Organist, raten dem musikbegeisterten und häufig singenden Jungen, zunächst einmal eine Laufbahn als Lehrer einzuschlagen. In seiner Kindheit und Jugend erhält er Klavier- und Cellounterricht, spielt Schlagzeug in verschiedenen Bands und kommt erst mit 17 Jahren mehr durch einen Zufall zum Horn – das Instrument, welches er mit seinem Wirken verändern und revolutionieren wird. In den Nachkriegsjahren dirigiert er einen Männerchor, macht Tanzmusik und erlernt das Hornspiel bei einem Postbeamten, der vor dem Krieg an der Hamburger Hochschule studiert hat. 18-jährig, zu diesem Zeitpunkt neben seinen musikalischen Tätigkeiten immer noch Schüler, bekommt er von seinem Vater ein Kruspe F-Horn geschenkt. 

Nach zweijährigem Privatunterricht bei Heinrich Keller, Solohornist des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, schlägt ihm dieser vor, doch besser Tonmeister zu werden. Doch Baumann wird dadurch nur noch stärker zum Üben angespornt. Wenig später nimmt er sein Studium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg auf. Dort unterrichtet zur damaligen Zeit Frith Huth, ebenfalls Solohornist des Philharmonischen Staatsorchesters, auch heute noch durch seine Hornschule bekannt. 

Felix Klieser

Nach erst drei Semestern Studium, mit 22 Jahren beginnt er zunächst eine Orchesterkarriere: Von 1957 bis 1961 steht er im Städtischen Orchester Dortmund und von 1961 bis 1967 im Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart als Solohornist unter Vertrag. 1964 gewinnt er den ersten Preis des ARD-Musikwettbewerbs. In den folgenden Jahren beginnt seine steile internationale Karriere als Solist: Er hat mehr als 40 unterschiedliche Solokonzerte im Repertoire und zahlreiche Meisterkurse. Festspiele im In- und Ausland können auf seine Mitwirkung zählen. Als Professor lehrt er an der Folkwang Universität der Künste Essen. Seine Studierenden spielen in namhaften Orchestern, verfolgen ihrerseits Solokarrieren und unterrichten. 

Meilensteine 

Hermann Baumanns Wirken kann man auf zahlreichen Tonträger erleben. Zu den spannendsten zählen sicherlich die im Jahr 1984 aufgenommenen Hornkonzerte von Richard Strauss mit dem Leipziger Gewandhaus Orchester unter Kurt Masur. Meilensteine setzt er ebenfalls mit den Aufnahmen der Mozart- und Haydn-Hornkonzerte. Aber auch Barockes und Kammermusik zählen zu seinem Repertoire, mit dem er die Hornwelt nachhaltig geprägt hat. Auch als Dirigent macht sich Baumann einen Namen und leitet häufig und gerne Konzertwochen in Profiorchestern; Ehrensache, dass hier häufig das Horn im Zen­trum seiner Arbeit steht.

Hermann Baumann verstarb am 29. Dezember 2023 im Alter von 89 Jahren. 

Die Initialzündung für Baumanns Naturhornspiel war eine äußerst ungewöhnliche Begegnung mit einem Besucher auf dem ARD-Musikwettbewerb 1964. Der Chuzpe dieses Konzertbesuchers ist es zu verdanken, dass Baumann zum Pionier des Naturhorns wurde. Auf seiner Webseite hat Hermann Baumann diese Anekdote in eigenen Worten zusammengefasst (im Original auf Englisch). 

“Es war 1964, während des ARD-Wettbewerbs in München. Wie Sie wissen, habe ich dort den ersten Preis gewonnen. Was Sie aber vielleicht nicht wissen, ist, dass mir bei diesem Wettbewerb noch etwas anderes passiert ist, was mein Leben und mein Hornspiel für immer ver­ändern sollte!                                                

Jeden Tag, an dem ich in München spielte, war ein Mann anwesend, der es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, immer am gleichen Platz im Saal zu sitzen, damit er nicht nur sehen und hören konnte, was ich spielte, sondern auch, wie ich Horn spielte. Er war selbst ein Hornist, der mehr über das Hornspiel wusste als ich damals – und das wusste er! Nur aus diesem Grund war er da. Er wollte mir helfen zu erkennen, was mir in meinem Spiel fehlte.

Am Ende des Wettbewerbs in München wurde dann bekannt gegeben, dass ich den ersten Preis gewonnen hatte; ich war der einzige Instrumentalist, der einen ersten Preis erhielt. Zu den Teilnehmenden in diesem Jahr gehörte Jessye Norman, die den zweiten Platz in der Kategorie Gesang belegte. Sie war wunderbar! Glücklicherweise gewann sie im folgenden Jahr den ersten Preis in der Kategorie Gesang. Ich habe mich sehr für sie gefreut. 

Der erste, der mir die Hand schüttelte, war Willi Aebi.

Wie Sie sich vorstellen können, ging ich nach der Ergebnisbekanntgabe auf die Bühne, wo die Leute Schlange standen, um mir zu gratulieren. Der erste, der mir die Hand schüttelte, war der Mann im Publikum – Willi Aebi.

Als er auf mich zukam, sagte er: ›Das haben Sie toll gemacht, aber man merkt, dass Sie keine Ahnung vom Hornspielen haben.‹ Das hat mich natürlich überrascht! Wir unterhielten uns weiter und dann sagte er: ›Würdest du mich zum Flughafen fahren? Ich muss jetzt zurück in die Schweiz fliegen.‹

Können Sie sich das vorstellen? Zuerst war ich verblüfft, aber dann sagte etwas in mir: ›Dieser Mann scheint eine Menge über das Hornspielen zu wissen; ich höre mir lieber an, was er zu sagen hat.‹ Als er am Flughafen aus meinem Auto ausstieg, sahen Hella und ich uns nur erstaunt an! (Anm. d. Red.: Baumanns Ehefrau, verstorben am 14. Juni 1997) Kurze Zeit später besuchten wir ihn und von diesem Tag an war es der Beginn einer wunderbaren, wunderbaren Freundschaft. 

Willi Aebi

Hier noch ein paar Hintergrundinformationen zu Willi: Er war ein großer Sammler von Naturhörnern und Besitzer einer Schweizer Firma, die sich auf die Herstellung von landwirtschaftlichen Geräten spezialisiert hatte (Anm. d. Red.: Willi Aebi, 1906 bis 1986, Diplom-Ingenieur aus Burgdorf, Kanton Bern, Schweiz)

Das gab ihm natürlich die finanziellen Mittel, um sehr, sehr seltene Naturhörner zu erwerben und zu erhalten. Seine Freizeit nutzte er dann, um seiner größten Leidenschaft, dem Hornspiel, nachzugehen. Als meine Frau und ich später in seinem Haus in der Schweiz ankamen und zum ersten Mal durch die Eingangstür traten, konnten wir nicht glauben, was wir sahen! Überall Naturhörner! Ich hatte noch nie eines gesehen, außer in Büchern. Und nun so viele an einem Ort! Fantastisch! Und dann passierte es:

In meinem Kopf begann es ›klick, klick, klick, klick‹ zu machen. Durch Willi Aebi kam ich spät in meiner Karriere, 1964, zum Naturhorn! Für Willi war es klar, was mir fehlte: Ich dachte nur in Begriffen des modernen Ventilhorns. Bach, Telemann, Händel, Chabrier, Rossini, Beethoven, Mozart, Schubert, Rosetti haben alle ihre Musik für das Naturhorn geschrieben, nicht für das Ventilhorn! Wenn man lange genug Naturhorn spielt, verändert es einen. Das Horn zeigt dir, wie die Musik gespielt werden sollte. Das Naturhorn gibt dem modernen Hornisten ein vollständiges Bild und verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart. 

Baumann
Willi Aebi mit Hermann Baumann, vermutlich 1964

Baumann lernt das Naturhorn kennen

Willi Aebi sah, dass ich in München ein B-Alexanderhorn spielte. Er konnte hören, dass das alles war, was ich konnte. Und er hatte zudem ein großes Wissen über Doppelhörner, nicht nur über Naturhörner. Er hat sogar selbst ein Horn konstruiert, das Alexander dann gebaut hat; ich habe es oben auf dem Dachboden. Aber damals hat niemand Naturhorn gespielt. Keiner! Also hat er mir zwei seiner besten Hörner, die über 200 Jahre alt waren, mit nach Stuttgart gegeben. Und so habe ich dann angefangen, Naturhorn zu spielen.

Ich entschied mich, keine Bücher über das Naturhornspiel zu lesen. Ich wollte keine vorgefassten Meinungen darüber in meinem Kopf herumschwirren haben. Es war mir sehr wichtig, das Naturhornspiel auf meine Art zu lernen. Es dauerte drei Jahre, bis ich mich bereit fühlte, öffentlich aufzutreten. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon ziemlich gut. Dann begann ich in Harnoncourts Ensemble ›Concentus Musicus Wien‹ zu spielen, wo ich mein Spiel noch weiterentwickeln konnte. 1972 nahmen Harnoncourt und ich die Mozart-Konzerte mit dem Naturhorn auf, und nun ja, den Rest kennen Sie.

Um aber auf Willi Aebi zurückzukommen, möchte ich Ihnen noch etwas mitteilen, was Sie vielleicht nicht über diesen bemerkenswerten Mann wissen. Er brachte nicht nur mich zum Naturhorn, sondern ebnete auch den Weg für eines unserer wertvollsten Konzerte, das Hornkonzert von Othmar Schoeck. Er war gut mit Othmar Schoeck befreundet und Willi hatte ihn seit Jahren gebeten, ein kleines Stück für Horn zu komponieren. (Anm. d. Red.: Othmar Schoeck, Schweizer Komponist, 1886 bis 1957)

Werk von Othmar Schroeck

Er bat ihn immer: ›Othmar, komponiere nur ein kleines Stück… nur ein kleines!‹ Das war Willi wichtig. Also gab Schoeck eines Tages nach und begann zu schreiben, und zu schreiben, und zu schreiben, und nach zwei vollen Monaten mit Schoeck am Klavier und Willi am Horn in seinem Wohnzimmer wurde dieses kleine Stück zu dem Mammutstück, das wir heute alle kennen. Ha, ha,… es sollte eigentlich nur ein kleines Lied sein, aber es ent­wickelte sich dann zu einer großen Herausforderung für Hornisten bis heute!

Pausen im Stück zum Ausruhen? Die gab es nicht! Willi war ein sehr guter Hornist. Er hatte eine gute Technik, aber Othmar hat ihn an seine Grenzen gebracht! 1970 habe ich das Schoeck-Konzert zusammen mit dem Schumann-Konzertstück und dem Weber-Concertino mit den Wiener Symphonikern aufgenommen. Seitdem bin ich Mitglied der ›Othmar-Schoeck-Gesellschaft‹ in Zürich. Da haben Sie es: Den Mann, der mir eine Lektion im Hornspiel erteilt hat, die ich nie vergessen werde, Willi Aebi.

Nun hoffe ich, dass die Hornisten in aller Welt wissen, wer dieser wunderbare Mann war und was er für uns alle getan hat.”