Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Musette. Das Stichwort

Musette
"Gaspard de Gueidan spielt auf der Musette" (Gemälde von Hyacinthe Rigaud, 1738, Musée Granet, Aix-en-Provence)

Ob mit Oboe, Sackpfeife oder Akkordeon: Beim Stichwort “Musette” spielen Winddruck und Luftsäule eine wichtige Rolle. Aber Musette ist noch weit mehr.

Der Dudelsack heißt im Französischen “cornemuse” (Hornsack) oder kurz: “muse”. Eine “musette” ist also ursprünglich nichts anderes als eine kleine Sackpfeife. Der Begriff kam im 16. Jahrhundert auf und bezeichnete damals ein Instrument, dessen Blasebalg an den Arm geschnallt war. Die Luft wird mit einer Armbewegung “gepumpt” und nicht mit dem Mund geblasen. In der Rokokozeit, als die gehobene Gesellschaft der Meinung war, dass einfache, ländliche Traditionen “chic” seien, erlebte die Sack-Musette dann noch einmal eine Neubelebung. Die höfische “musette de cour” war ein besonders hübsch gestalteter Armbeugen-Dudelsack und klang ausgesprochen fein und leise. Man konnte beim Spielen nebenher Konversation betreiben, denn man hatte ja den Mund frei. Dieses Instrument hieß auch “cabrette” (kleine Ziege) und ist verwandt mit den schottischen Smallpipes oder Shuttle-Pipes und den irischen Uillean Pipes. 

Stimmpfeifen mit doppeltem Rohrblatt

Der feine, leise Ton des kleinen Arm-Dudelsacks verdankte sich seinen zylindrisch gebohrten Stimmpfeifen mit doppeltem Rohrblatt. Diese Pfeifen dienten dann auch als Vorbild für ein Blasinstrument, das man als frühe Pikkolo-Oboe beschreiben könnte und das – als Nachahmung des Dudelsack-Tons – ebenfalls Musette genannt wurde (z.B. “musette du Poitou”). Die Musette-Oboe – einen Ganzton bis eine Quinte höher als die normale Oboe – war besonders im 17. Jahrhundert im Pariser Raum beliebt. Später – im 19. und 20. Jahrhundert – hat man sie gelegentlich noch nachgebaut, um einen »historischen« Klang zu beschwören oder besondere Oboen-Orchester damit auszustatten. (Auch der Jazzsaxofonist Dewey Redman spielte als Zweitinstrument eine Oboe, die er Musette oder »French Musette« nannte – er hatte den Namen wohl in Paris aufgeschnappt. Tatsächlich handelte es sich bei seinem Instrument aber um eine chinesische Suona, konisch gebohrt und mit einem Schalltrichter aus Messing.)

Typische Stücke der ursprünglichen “kleinen Sackpfeife” waren bäuerliche Tänze mit durchgängigem Bordunton. Auch solche Stücke wurden daher irgendwann “Musette” genannt. Meistens waren es einfache Gavotte- oder Menuett-Tänze, die “en musette” gespielt wurden, oder kleine Rondo-Kompositionen (“musette en rondeau”). Auch Barock-­Komponisten – sogar ein Bach oder Händel – haben gelegentlich einen Konzert- oder Suitensatz mit “Musette” überschrieben. In die Opern und Ballette der Rokokozeit wurden solche Musette-Tänze gerne als idyllische “Schäferszenen” eingefügt. Obwohl dabei selten ein Dudelsack oder eine Drehleier benutzt wurden, sollte die getanzte Musette Assoziationen an genau solche Instrumente wachrufen.

Tänze eroberten die urbane Kultur von Paris

Im 19. Jahrhundert eroberten sich die Musette-Tänze – aus der ländlichen Auvergne kommend – erneut die urbane Kultur von Paris. Dabei war anfangs auch die Cabrette, die “kleine Ziege”, wieder im Spiel. Typisch für diese neue Musette-Mode waren triolische Melodien, die häufig als Walzer oder Bourree getanzt wurden. Wanderarbeiter aus Italien griffen in Paris diese Musik dann auf, spielten sie auf ihren Akkordeons und mischten sie mit ihren eigenen und anderen populären Melodien. Beliebte Pariser Tanzveranstaltungen hießen um 1900 daher “Bal Musette”. Im sequenzfreudigen Musette-Stil erklangen Walzer (“Valse musette”), Tangos (“Tango musette”), Pasodobles oder Javas. Bis heute ist der Klang des Musette-Akkordeons ein Wahrzeichen für Pariser Kultur – und das nicht nur in den Kommissar-Maigret-Verfilmungen. Seit dem Aufkommen des Jazz im 20. Jahrhundert sind auch Vermischungen von Musette und Swing üblich. Akkordeonisten wie Gus Viseur, Jo Privat oder Richard Galliano wurden bekannt für ihre “Jazz musette”.

Bisher erschienen: “Stichwort Rohrblatt-Trio“, “Stichwort Saxofonquartett“, “Stichwort Marsyas” und “Stichwort Tristantrompete”, “Stichwort Naturtonreihe”, Stichwort Saxofonkonzert, Stichwort Sarrusofon, Stichwort Gucha, Stichwort Jazzsolo, Stichwort Orgel, Stichwort Posaune, Stichwort Multiphonics, Das Blechbläserquintett, Die Duduk. Die Aida-Trompete, Das Xaphoon, Der Rattenfänger, Der Zink, Die Sackpfeife, Der Hardbop, Das Flügelhorn, Der Stimmton, Die Windkapsel, Der Dämpfer, Das Flötenkonzert, Die Wagnertuba, Die Mundharmonika, Das Bathyfon